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lundi, 03 novembre 2014

Heidelbergs Heldentenor

Heidelbergs Heldentenor

von Daniel Bigalke

Ex: http://www.blauenarzisse.de

 

Der Literaturhistoriker und Dichter Friedrich Gundolf war ein Charismatiker im deutschen Geistesleben bis 1933. Sein Wirken und seine Aura blieb nicht nur Studenten in Erinnerung.

Dieser auffallende Mensch hatte einen genialen Kopf und eine gewölbte Denkerstirn – gleich derjenigen des Philosophen Immanuel Kants. Dies und seine leuchtenden Augen müssen wohl, zumindest äußerlich, der Vorstellung entsprochen haben, die sich viele Studenten von ihm gemacht haben.

Heldentenor der Heidelberger Universität

Vielleicht waren es aber auch seine gleichsam als übermenschlich empfundene Persönlichkeit, seine Angewohnheit, mit Siegesschritten an den Katheder zu treten, das längere Haar zurückwerfend, um in den aufgeschlagenen Skripten zu lesen, was viele Studenten zu dem glühenden Entschluss kommen ließ: „Ich will nach Heidelberg. Ich muss in Heidelberg studieren, wo Gundolf seinen Lehrstuhl innehat.” So zumindest äußerte sich Melitta Grünbaum gegenüber ihren Eltern. Sie war eine Wiener Studentin, die die Heidelberger Verhältnisse an der Universität 1924 bis 1927 eindrucksvoll in ihren 2012 erschienen Memoiren Begegnungen mit Gundolf beschrieb.

Grünbaum mochte vor allem die in großartige Gesten verkleidete Schüchternheit Gundolfs. Sie ist auch jene „Melitta“, die der Dichter Rainer Maria Rilke in seiner Lyrik besingt. Unaufhörlich wurden ihre und die Gedanken vieler Studenten geprägt. Sie wollten an Gundolfs sprachlicher Fülle teilhaben und an seinen Vorlesungen, welche immer bis auf den letzten Platz besetzt waren. Wer war dieser Gundolf, der sich selbst als „Heldentenor der Heidelberger Universität“ bezeichnete? Sogar im Familien– und Freundeskreis wurde er selten bei seinem Vornamen, sondern zumeist mit dem zum Vornamen transformierten Nachnamen „Gundolf” gerufen?

Stefan George als Mentor

Friedrich Gundolf, gebürtig Friedrich Leopold Gundelfinger, kam am 20. Juni 1880 in Darmstadt zur Welt. Heute gilt er als Literaturwissenschaftler. Er bedeutete der deutschen Hochschullandschaft seiner Zeit jedoch viel mehr – und auch seinen damaligen Lesern. Als Autor und Dichter prägte er in den 1920er und 1930 Jahren das Bild der Deutschen u.a. von Cäsar, Shakespeare, Goethe, Kleist und George. Bereits 1899 lernte der damalige Erstsemester Gundolf den rund dreißigjährigen Dichter Stefan George kennen. Er blieb zwanzig Jahre lang sein engster Vertrauter. Glaubt man der Biographie von Thomas Karlauf Stefan George. Die Entdeckung des Charisma von 2007, so war es George, der Gundelfinger 1899 bereits bei der ersten Zusammenkunft Gundolf nannte.

Gemeinsam mit George und dem ebenfalls später im gleichnamigen Kreis vertretenen Schriftsteller Karl Wolfskehl hatte Gundolf das Ludwig-​Georgs-​Gymnasium in Darmstadt besucht. Gundolf wurde schnell Teil des wachsenden Kreises von jüngeren Gleichgesinnten, die sich um George sammelten, um seine Ideale zu teilen. „Dichten heißt herrschen“, blieb das Credo Georges, der mit Gundolf eine – wie auch immer geartete – intimere Beziehung gepflegt haben soll. Diese Beziehung stellte zugleich eine Arbeits– und Wirkgemeinschaft dar.

Cäsar, Shakespeare und Hölderlin aus deutscher Sicht

Gundolf studierte in Heidelberg, München und Berlin deutsche Literatur– und Kunstgeschichte. Die bedeutendste Wirkstätte blieb Heidelberg. Meist um die Mittagsstunde tauchte er als bekannte Gestalt der Stadt in den Hauptstraßen auf, die Menge der Passanten überragend, weithin sichtbar: Wehendes Haar, offener Mantel, die obligatorische Büchertasche unter dem Arm. Dies ist das Bild eines Menschen, dessen obligatorisches Antwortlächeln auf das fortdauernde Gegrüßt-​Werden stets im Gesicht bereitlag. 1903 promovierte er mit einer Dissertation über Cäsar in der deutschen Literatur. 1911 folgte die Habilitation in Heidelberg mit der ebenso viel beachteten Schrift Shakespeare und der deutsche Geist. Seine Antrittsvorlesung über „Hölderlins Archipelagus“ hielt er im gleichen Jahr.

Von 1916 bis 1918 absolviert er den Heeresdienst im Ersten Weltkrieg, zuerst an der Westfront, dann in der Pressestelle des Generalstabs in Berlin. Doch die Pressearbeit war keine Perspektive für ihn – ebenso wenig das Denken und Schreiben im Dienste staatlicher Institutionen. „Institutionen sind immer gleich gescheit und gleich falsch. (…) Sie gewinnen ihre Stärke oder Schwäche nur aus den menschlichen Trägern und Erfüllern. Richtige Verfassungen, richtige Kunstformen, richtige Glaubensartikel an sich gibt es nicht, sondern Menschen, deren einmalige Echtheit, Schönheit, Güte oder Wucht sie erneuert und bewährt”, begründete er seine Entscheidung.

Literatur: Geschichte von Ideen und Taten

Damit gibt Gundolf preis, wofür er brennt. Er sieht in den Menschen, in ihren Werken und Taten, etwa von Staatsmännern, Dichtern und Schriftstellern, die Quellen des geistigen Lebens. So ist er uns heute bekannt als Führer jener literaturwissenschaftlichen Schule, die sich auf die Werke und Ausstrahlung von Schriftstellern richtete. Ab 1910 schrieb Gundolf in Heidelberg an seiner 500seitigen Habilitatio. Zwar verfolgte er das Ziel, mit seiner Universitätslaufbahn die Botschaft Georges zu verbreiten. Dieses Buch und Gundolfs weitere Werke trugen jedoch längst einen eigenen Charakter. Sie betonen die Idee, die hinter den von Gundolf portraitierten Dichtern und Denkern steht, nicht die Person.

So kann Gundolfs Werk über Shakespeare auch als Reaktion auf einen Machtkampf im George-​Kreis gelesen werden und als Reaktion auf den entstehenden Personenkult um Stefan George. Der Name des Meisters George ließ Gundolf selbst in späteren Jahren immer noch nervös und nachdenklich werden. Daran zumindest erinnern sich viele seiner Studenten. Gundolf würdigte in seinen Schriften trotzdem die Idee an sich, nicht die Person. Es waren nicht die Menschen selbst, um die es ihm ging, sondern ihre Leistungen und die dahinter stehenden Vorstellungen. In der Geschichte stellt sich für Gundolf erst durch Werke und Taten großer Menschen ein Sinn dar. Der Geist wandelt historisch und manifestiert sich im Denken und Handeln von Personen, schrieb schon der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Man könnte sagen, dass Gundolf der Philosophie Hegels näher stand, als etwa der Willensmetaphysik des Philosophen Arthur Schopenhauer, der die Welt als zum Dasein drängenden Wille verstand.

Zerwürfnis mit George

Es war also nicht Cäsar selbst, sondern seine Genialität, nicht Shakespeare allein, sondern seine Humanität, nicht Goethe als Person, sondern seine dichterische Reife, die Gundolf schätzte. Dies musste Anfang der 1920er Jahre zum Bruch mit George führen – ebenso wie die Tatsache, dass Gundolf sich dazu entschloss, die Nationalökonomin Elisabeth („Elli“) Salomon zu heiraten. George duldete keine Eheschließungen seiner Anhänger. In der George-​Biographie von Thomas Karlauf wird Gundolf als treuherziger und auf Ausgleich bedachter Mensch geschildert, der Konfliktsituationen mied. Um seine Beziehung zu George zu retten, veröffentlichte Gundolf 1920 die Lobeshymne George in Buchform.

Doch dies half nicht mehr, was Gundolf sehr verletzt haben mag. Als sie sich Ende 1925 zufällig in der Altstadt in Heidelberg begegneten, erwiderte George nicht seinen Gruß und ging achtlos an ihm vorüber. Ein Jahr später erkrankte Gundolf an Krebs, wurde 1927 operiert und starb 1931 im Alter von 51 Jahren. Er hinterließ eine uneheliche Tochter, Cordelia Gundolf-​Manor, die seit 1960 als Lektorin in Melbourne (Australien) arbeitete. Gundolfs Werk wurde in Deutschland 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft verboten. Die Bücher des wohl bekanntesten Germanisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind heute vorrangig antiquarisch auffindbar.

Anm. der Red.: In der zweiten Hälfte seines Porträts interpretiert Daniel Bigalke unter anderem Gundolfs Schrift Dichter und Helden, seine Sicht auf Martin Luther als Vorbild sowie Gundolfs berühmte Goethe-​Biografie.

Bild: Porträt des Dichters Friedrich Gundolf, Fotografie von Jacob Hilsdorf, vor 1916

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