Es läßt sich mit gutem Recht fragen, welchen Sinn es hat, einen bereits über 40 Jahre alten Text wieder aufzulegen. Politische Rahmenbedingungen haben sich geändert, das entsprechende Personal wurde ausgetauscht – allein die rasante Verbreitung des Internets ab Mitte der 1990er Jahre hat Umwälzungen nach sich gezogen, die in Schwere und Ausmaß wohl tatsächlich nur mit der Erfindung des modernen Buchdrucks zu vergleichen sind.
Im Hinblick auf das Werk Gerd-Klaus Kaltenbrunners stellt sich diese Frage allerdings eher nicht. Nicht nur wurde der Philosoph als »Superstar der Konservativen«, wie ihn Claus Leggewie in Der Geist steht rechts apostrophierte, zu Lebzeiten von Deutschland- bis Goethe-Stiftung mit Preisen für sein Lebenswerk überhäuft. Sein Verdienst ist es außerdem, mit „Tendenzwende“ eines der zentralen Schlagworte der Abhilfebemühungen gegenüber 1968 geschaffen zu haben. Die von ihm verantworteten Publikationsreihen Rombach Hochschul-Paperback und vor allem die Herderbücherei INITIATIVE bildeten Kristallisationspunkte der dissidenten Intelligenz jenseits von Unionsparteien und FAZ-Feuilleton.
In den 1970er und 1980er Jahren beschäftigte Kaltenbrunner sich intensiv mit den Zukunftsperspektiven eines authentischen, zeitgeistbereinigten Konservatismus. Eine seiner schärferen Programmschriften gegen die beginnende Vermassung dieser Zeit, Elite. Erziehung für den Ernstfall [2], erschien schon vor sieben Jahren im Nachdruck als einer der Bände des ersten kaplaken-Dutzends. Mit Rekonstruktion des Konservatismus [3] ist nun ein weiterer Text wiederaufgelegt worden, der diesmal an die Wurzeln eines überzeitlich-rechten Weltbildes geht.
Der erstmals 1972 erschienene Aufsatz stellt insoweit einen Schlüsseltext dar, daß er unter dem Eindruck der just vergangenen Studentenrevolte und anbrechenden Kulturrevolution das Fundament für einen umso (selbst)bewußteren, ideenreichen Konservatismus legt. Vom Grundproblem der Wirklichkeitsauffassung bis hin zu wirtschaftlich-ökologischen Fragen auch der heutigen Zeit spannt Kaltenbrunner einen sehr weiten ideengeschichtlichen Bogen von weit über 150 Jahren. Um die Denkanstöße auch für unsere Tage ertragreich zu machen, wurden den Literaturverweisen redaktionell ausgewählte jüngere Werke hinzugefügt.
Kaltenbrunners Markenzeichen ist eine universalistisch-anthropologische Interpretation des Konservatismus, wodurch dieser konkreten Epochen enthoben wird und einen allgemeinmenschlichen Charakter erhält. Die Texte seiner diesbezüglichen Schaffensperiode sind daher ungebrochen lesenswert; gerade jetzt, wo konservatives Denken in eine ungeahnte Ziel- und Formlosigkeit abgeglitten ist, vermag die Rekonstruktion des Konservatismus Halt und Orientierung zumindest für den Einzelnen zu geben. Die Selbstbildung kann von den zahlreichen Anregungen des ungemein belesenen Kaltenbrunner nur profitieren.
Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Rekonstruktion des Konservatismus. Reihe kaplaken, Bd. 43, Schnellroda 2015, 96 S., 8,- € – hier bestellen [3]!
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