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jeudi, 27 septembre 2012

Julius Langbehn: Vorbild Rembrandt

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Vorbild Rembrandt

von Daniel Bigalke

Ex: http://www.blauenarzisse.de/

Julius Langbehns Rembrandt als Erzieher  

5963158-M.jpg1890 erschien in Leipzig beim Verlag „C. L. Hirschfeld” das Buch Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Der Name des Verfassers wurde nicht genannt.

Zwei Mark waren als Verkaufspreis festgesetzt. Jeder sollte dieses seltsame Buch besitzen können. Es erlebte innerhalb kürzester Zeit 40 Auflagen ‒ damals ein ungeheurer Erfolg. 1945 hatte der Beststeller eine Gesamtauflage von 250.000 Exemplaren erreicht. Das Buch wurde seinerzeit zum Tagesgespräch. Mit steigender Auflage verschärfte sich auch der antisemitische Gehalt dieses Buches.

Es begann das große Grübeln darüber, wer es wohl geschrieben habe: Paul de Lagarde? Friedrich Nietzsche? Wer wagte es, derartig schroff an der damaligen Lebens– und Geistesführung Kritik zu üben? Wer zweifelte an der von Gott gegebenen Auffassung deutscher Wissenschaft und Politik, an den hehren Begriffen von Anstand und Sitte? Wer warf den Deutschen ungeheure Dinge wie „abgestandene Massenbildung“ und „Brutalisierung in vielen Lebensbereichen“ vor?

Die Forderung: Selbstbesinnung für die Deutschen

Es war ein Autor, der ernstes und selbstständiges Denken erwarten musste. Er appellierte an die aus seiner Sicht „ernstdenkende Minderheit“. Julius Langbehn (18511907) hieß der, der jenes Unbehagen aufgriff, das im zweiten Deutschen Reich viele wahrnahmen. Zweifelsohne, es war auch eine Zeit des militärischen und politischen Erfolges, Deutschland hatte u. a. den Krieg gegen Frankreich gewonnen. Zugleich aber sorgte der spürbare Schub an Schaffenskraft und wohl auch Übermut im Lande sowie die Industrialisierung für die Entwurzelung des Einzelnen und für die Bildung einer zunehmend nicht ständisch gebundenen, potenziell revolutionären Masse.

Die Gründerepoche und die daraus resultierende Überschätzung materieller Güter folgten. Langbehn selbst stellte schon früh fest: „Jena habe die Deutschen sittlich mehr gefördert als Sedan“. Damit meinte er wohl den Deutschen Idealismus, der dem bürgerlichen Erfolgsdünkel nach der Reichseinigung 1871 überlegen gewesen sei.

Die Frage: Veränderung durch Revolution oder Kultur und Bildung?

Es war Karl Marx, der die soziale Aufspaltung der Gesellschaft als Ergebnis der industrialisierten Welt kennzeichnete und als Ausweg nur die Revolution sah. Der neue politische und soziale Träger dieser Umwälzung sei der Arbeiter, der entwurzelte Proletarier. So trug Marx seinen historischen Materialismus, sein Geschichtsverständnis mit den sechs Stadien Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus vor und verkündete es fälschlicherweise als Endurteil der Geschichte. Im Gegenzug aber suchten bürgerliche Theoretiker nicht die Lösung der sozialen Frage in dem Problem von Besitz und Herrschaft, sondern in der Forderung nach Kultur und Bildung.

Prozesse wie die Individualisierung durch Zerstörung der Stände und überlieferten Gemeinschaften, die Vermassung durch die Annahme standardisierter Verhaltensweisen und die Versessenheit auf Produktivität, Wachstum und Profit sollten vom Geistigen her, nicht vom Materiellen her bekämpft werden. Der Geist und die Erkenntnis sollten den Menschen befreien, der noch unter der Fuchtel riesiger Herrschafts– und Entscheidungsmechanismen stehe, gegenüber denen die Freiheit und die wirkliche Bildung rein formell bleibe.

Zwischen Friedrich Nietzsche und Arthur Moeller van den Bruck

Für dieses Bestreben stehen unter anderem die frühen Schriften Friedrich Nietzsches (18441900) in seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen (1874), ebenso wie später das Werk Arthur Moeller van den Brucks (18761925). Zu derselben Strömung zählt auch Julius Langbehn, der über Nietzsche schrieb, man dürfe Nietzsche nicht mit seinen Nachläufern und Nachschreiern verwechseln, von denen es ab 1900 genügend gab. Der schon als Kind als egozentrisch und impulsiv bezeichnete Langbehn nahm 187071 am Feldzug gegen Frankreich teil und wurde als Leutnant der Reserve entlassen. Seine Dissertation schrieb er 1881 über die Flügelgestalten der ältesten griechischen Kunst, die als ausgezeichnet beurteilt wurde.

Julius Langbehns Mannestat 

Julius Langbehn will seinen Bestseller Rembrandt als Erzieher als eigene philosophische Tat verstanden wissen. Er sieht in Rembrandt die Wiedergeburt des „niederdeutschen Wesens“. 

122 Jahre nach der Veröffentlichung des Buchs sind neue Interpretationen möglich. Es handelt sich eigentlich nicht um ein Buch über Rembrandt, sondern über einen spezifisch deutschen Typus. Langbehn spricht vom „niederdeutschen Wesen“, das in seiner Kunst nicht nur erdverbunden gewesen sei, sondern bäuerlich und aristokratisch zugleich. Ihm gilt Rembrandt somit als „Hauptvertreter des deutschen Geistes“ schlechthin. Seine Kunst sei antiklassisch, voller Geheimnis und religiösen Gefühls, spontan und unkonventionell und spiegle zugleich die Widersprüche der menschlichen Erfahrung.

Das „alte Erdreich” des Deutschen

Glaubt man Langbehns Biographen und Sekretär, dem Maler Benedikt Momme Nissen (18701943), so habe der Autor Rembrandt als Erzieher nicht allein als „literarische Neuerscheinung“ verstanden, sondern als „Mannestat“. Folgt man nun dem Bild Nissens von der „Mannestat“, so kann Langbehns Buch zuerst als moralische Tat verstanden werden, die die geistige Erneuerung in Deutschland forderte und sich gegen „Maschinengeist“, „Materialismus“, „Genußsucht“ und überflüssige Ausschweifungen richtete.

Blickt man auf zentrale Zitate des Rembrandt-​Buches, so gehören Musik und Ehrlichkeit, Barbarei und Frömmigkeit, Kindersinn und Selbständigkeit zu den zentralen Zügen, die Langbehn fordert und die er zugleich als die klaren Wesensmerkmale des deutschen Charakters ausmacht. Er sieht im idealen Deutschen den schlichten, heimatverbundenen Bürger und Bauern, der Hierarchien anerkennt. Zugleich sollte er seine individuellen, regionalen Besonderheiten zum Ausdruck bringen: „In der Heimat wurzelt man am besten. Es ist zwar gut, wie jeder Gärtner weiß, daß Pflanzen versetzt werden. Aber schließlich bringt man sie ins alte Erdreich zurück, um daheim die Verbesserung zu verwerten.“

Moderne Abstraktion zerstört organische Bindungen

Das Buch kann aber auch als politische Tat seines Verfassers bewertet werden. Langbehn thematisiert geschichtliche Gestalten, an deren Namen sich seinerzeit nationale Sympathien knüpften. Bismarck wird neben Goethe als eines der großen Vorbilder glorifiziert. Langbehn kritisierte das Spezialistentum der zeitgenössischen Wissenschaft und bemängelt eine durch Naturalismus und Realismus trivialisierte Kunst.

Die Gesellschaft des Kaiserreiches, so Langbehn, befinde sich einerseits auf dem Wege zur Militarisierung und sei zugleich durch Demokratisierung bedroht. Neue mechanische und abstrakt konstruierte Hörigkeiten hätten die vielförmigen organischen Bindungen abgelöst. Indem der Mensch einzelgängerisch geworden sei, sei er auch verwundbarer und hilfloser geworden, fürchtet er. Der Individualismus führe zur Ausgliederung, Familie und Religion würden an Einfluss verlieren und ihre sozialisierende Kraft verlieren.

Antisemitische Materialismuskritik

Doch Rembrandt als Erzieher entspricht auch dem völkisch-​antisemitischen, zeitgenössischen Grundtenor. Als eine der größten Gefahren erachtet Langbehn eine jüdisch geprägte „Herrschaft des Geldbeutels”: „Weder im geselligen noch im künstlerischen Leben der Deutschen darf Judas mit seinen Silberlingen als tonangebend gelten.” Es sind solche Stellen, die den analytischen Wert des Buches deutlich schmälern.

In der Kunst sah Langbehn hingegen den Ursprung aller echten Werte angelegt. Das Gefühl habe Vorzug gegenüber dem Verstand. Langbehn beschrieb die Kunst und die Bildung als „Instrument der Charakterbildung“. Anstelle eines bis auf die Spitze getriebenen Forschungswahns nahm er wieder die Suche nach Weisheit und nach einer Bildung auf, die Muße für die Einzel– und Naturanalyse fördert. Er tritt entschieden für philosophisches Denken ein. Der Deutsche benötige zudem eine Kunst der vollen Kraft, aber auch der vollen Seele. Kurzsichtigkeit in Kunst und Bildung sei ein weit verbreiteter Makel: „Daß die Kunst auch eine sittliche Seite habe, daran denkt man heute allzu selten. Man fordert in dieser Hinsicht nicht viel vom Künstler und bekommt deshalb auch nicht viel von ihm.“

Freie Assoziation statt Analyse

Vieles trägt Langbehn ohne Analyse, gewissermaßen in freien Assoziationen vor. Ein anderes Vorgehen scheint aber auch nicht das Konzept zu sein, denn das Buch lebt ganz offen vom appellativen Charakter. Manches, was heute als Schwäche an Langbehns Buch ausgelegt wird, wird durch die planmäßige Art des Schreibens und die zumeist auch kunstpolitische Absicht gerechtfertigt. Die tragenden Ideen bleiben für den Leser nicht verschleiert. Insgesamt könnte man die treibende Kraft von Rembrandt als Erzieher als Unbehagen in der Moderne kennzeichnen.

Die Modernisierung der Lebensverhältnisse wurde von vielen Menschen als etwas Fremdes gesehen, das über sie hereinbrach. Besonders das konservative Bürgertum sah darin eine Amerikanisierung der Wirtschaft und Französisierung der Kunst. Es rückte alternative, eigene Tugenden in den Mittelpunkt. Irrtümlicherweise hielt Langbehn neben den körperlichen und geistigen Tugenden auch die sittlichen Tugenden für naturgegeben. Das führte zu einem überhöhten Elitedenken. Er setzte auf die Bildung einer Sozialaristokratie, von der die kulturelle Erneuerung Deutschlands ausgehen sollte: „Die Lösung der sozialen Frage besteht darin: Gleiches Recht, aber nicht gleiche Rechte für Alle. Beides gleichzusetzen ist ärgster Irrtum. Trugschluß und Fehlerquelle ohne Ende.“

Das Feld des Geistes umpflügen

So schoss Langbehn in der Überschätzung rein menschlicher Geisteskraft manchmal über das selbstgesteckte Ziel hinaus. Rembrandt als Erzieher war aber aus heutiger Sicht geeignet, das Feld des Geistes derartig umzupflügen, den Boden der Vermessenheit so zu lockern, dass für neue Ideen und für ein geistiges Maßhalten Platz werden konnte. Zudem wollte das Buch wirksamer auf positive Lebenswerte hinarbeiten, als es so manchem Buch mit gleichem Ziel zu Langbehns Lebenszeit gelang. Die methodische Rückführung des Deutschen vom „Professor“ zum „Menschen“ auf dem Wege der Einkehr, der Bescheidenheit, der Kindlichkeit hatte angesichts des Erfolges des Buches eindeutig Erfolg, wenn auch nur für kurze Zeit.

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Langbehn in Armut. Im Jahre 1900 trat er zum Katholizismus über und kämpfte fortan gegen modernistische Tendenzen in der katholischen Kirche. Mit 24 Jahren verließ er einst die evangelische Kirche. Gegen Ende seines Lebens trat er schließlich dem Dominikanerorden bei. Diesem Lebenswandel ist es wohl auch zu verdanken, dass der damalige Bischof des Bistums Rottenburg, Dr. Paul Wilhelm von Keppler, der 1926 verfassten Biographie von Benedikt Momme Nissen über Lengbehn ein eigenes Geleitwort beifügte. Darin würdigt der Bischof das Rembrandt-​Buch als tiefer blickendes Werk, das sich gegen krankhaft erregtes Nationalgefühl, Bildungshochmut und gegen die Geringschätzung sittlicher Werte gewandt habe. Zugleich habe es die Schäden für das öffentliche Leben mit unnachlässiger Wucht ausgeleuchtet. Dies macht Langbehn wohl nicht nur zu einem Menschen des 19. Jahrhunderts mit seinen zeitgenössischen Problemen, sondern auch noch zum Denker für das 20. Jahrhundert mit Strahlungskraft hinein in die Gegenwart.

August Julius Langbehn, der sich gern als einsamen Propheten sah, starb, die letzten Jahre von seinem Gefährten und Sekretär Nissen umgeben, 1907 in Rosenheim (Bayern). Langbehn befand sich auf halbem Weg nach Oberitalien, wo er sich erholen wollte. Sein Leben steht für eine Geisteshaltung, die er ungeachtet aller Stärken und Schwächen seines Werkes, selbst in Worte fasste: „Hat man den Wind gegen sich, so ist das nur ein Grund, umso stärker auszuschreiten.“ In dieser widerspenstigen Kraft liegt das Erbe seines zeitlosen Denkens begründet.