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mercredi, 27 mai 2009

G. Deschner: Die Kurden - Volk ohne Staat

 

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Günther Deschner: Die Kurden. Volk ohne Staat

Ex: http://www.fes.de/


 
       
     
       
  München 2003
Herbig-Verlag, 349 S.
   
 

Nach Arabern, Türken und Persern sind die Kurden das viertgrößte Volk des Nahen Ostens. Ein 30 Millionen-Volk mit einer Jahrtausende alten Geschichte und Kultur, aber ohne eigenen Staat. Kurdistan findet sich auf keiner Landkarte. "Kurdistanim ka?" - "Wo ist mein Kurdistan?" singt der berühmte kurdische Barde Sivan Perwer und rüttelt damit die Kurden immer wieder auf zum Kampf für Freiheit und nationales Selbstbestimmungsrecht, den sie gleichwohl erfolglos führen, seit ihr Land nach dem ersten Weltkrieg zerstückelt und unter den Staaten Türkei, Iran, Syrien und Irak aufgeteilt wurde.

In "Die Kurden. Volk ohne Staat" analysiert der Publizist und Nah-Ost-Experte Günther Deschner Gründe und Zusammenhänge für die Unterdrückung eines Volkes, dessen Ziel es einzig ist, sein politisches, wirtschaftliches, kulturelles und soziales Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Herausgekommen ist dabei eine ebenso fundierte wie spannend geschriebene politisch-historische Darstellung des Kurdenproblems - unter Einbeziehung aktueller Entwicklungen im Irak-Konflikt. Nicht zuletzt setzt die vorliegende Monographie Maßstäbe für spätere Arbeiten zum Thema Kurden/Kurdistan.

Deschner versteht sich expressis verbis als Anwalt der Kurden. Seit 1972 hat er Kurdistan mehrfach bereist, den Kampf der Kurden um Unabhängigkeit hautnah mitverfolgt und Gespräche geführt mit wichtigen Kurdenführern wie dem kurdischen Mythos Mustafa Barsani, dem Chef der Patriotischen Union Kurdistan (PUK) Dschalal Talabani sowie dem gescheiterten PKK-Führer Abdullah Öczalan. Stets wurden und werden, so seine nüchterne Bilanz, die Kurden als Bauern auf dem Schachbrett der regionalen wie auch internationalen Machtpolitik hin- und hergeschoben.

Detail- und faktenreich schildert der Autor anhand einer Fülle von Beispielen, wie Verträge, die den Kurden das Recht auf Unabhängigkeit versprachen, gebrochen wurden. Dabei spannt das Buch einen weiten Bogen von der ersten Aufteilung Kurdistans zwischen Osmanen und Persern 1639 bis hin zum "Dolchstoß aus Teheran und dem zweifachen Verrat durch Amerika" 1975 und 1991.

Vor allem die neuere Geschichte der Kurden ist reich an Aufständen und Befreiungskriegen, in denen die Kurden sich gegen Umsiedlung, Assimilierung und Vernichtung wehren und für ihre geschichtliche und politische Identität kämpfen. Deschner spricht hier von einem bis in unsere Zeit in wechselnder Intensität anhaltenden Völkermord, von der Welt kaum registriert und kritisiert. Erst die Aufhebung des Ausnahmezustands Ende 2002 bedeutete für das kurdische Südostanatolien das Ende eines 15-jährigen, blutigen Bürgerkriegs. Zwar hat das türkische Parlament auf Drängen der Europäischen Union eine Reihe von Reformen auch hinsichtlich der kulturellen Freiheiten der Kurden eingeleitet. Gleichwohl harren noch viele Gesetze ihrer administrativen Umsetzung.

Unterdessen rückt der Krieg im Irak den jahrzehnte währenden Kampf der Kurden um Freiheit und Unabhängigkeit in den Blickwinkel der internationalen Politik. Zwar leben die Kurden im Nordirak seit dem Golfkrieg 1991 faktisch unter einem Autonomiestatut, mit eigenem Parlament und internationalen Kontakten - fast ein eigener Staat, wie Deschner feststellt. Allerdings hängt dieser, wie sich jetzt zeigt, am seidenen Faden. Die Kurden erhoffen sich in einem neuen föderalen System eine Ausweitung ihrer Autonomiezone, nicht zuletzt als Belohnung für ihre Koalitionstreue im Kampf gegen Saddam Hussein. Es geht ihnen hierbei auch um ihr historisch angestammtes Recht auf die 3000 Jahre alte - auf Ölfeldern liegende - Stadt Kirkuk, dem "kurdischen Jerusalem", als künftige Hauptstadt Irakisch-Kurdistans. Doch auch diesmal, wie schon so oft in der Vergangenheit, fürchten die Kurden, verraten und im Stich gelassen zu werden.

Überhaupt spielt Kirkuk, von den Kurden als "das Herz Kurdistans" verehrt, eine zentrale Rolle für die weitere Entwicklung in Irakisch-Kurdistan. Kirkuk ist ein Schmelztiegel unterschiedlicher Volksgruppen. Neben den Kurden, die bereits jetzt wieder eine große Mehrheit bilden, leben hier vor allem die großen und kleinen Minderheiten der Turkmenen, der Araber und der christlichen Assyrer. Während die zentralen Positionen in der Stadt inzwischen von Kurden besetzt sind - so ist der Bürgermeister seit Juni 2003 wieder ein Kurde und die Stadtpolizei besteht zu 80 Prozent aus Kurden - nehmen die Spannungen zwischen den Volksgruppen zu, vor allem zwischen Kurden und Turkmenen. Die Turkmenen fühlen sich mittlerweile als Iraker und befürworten einen irakischen Zentralstaat. Ob und inwieweit die kurdische Wiederbesiedlung der Region unterdessen zu einer Beschneidung der Rechte von Minderheiten geführt hat, dieser Frage geht das Buch allerdings nicht nach.

Indes: Der erweiterte Autonomieanspruch der Kurden ist nicht nur den USA ein Dorn im Auge, die ob ihrer jüngst wieder bezeugten strategischen Allianz mit der Türkei für einen ungeteilten Irak eintreten, sondern weckt auch Ängste in Ankara und Damaskus. Und das zu Recht, so Deschner. Denn ein erfolgreicher Kurdenstaat im Irak würde zweifelsohne mobilisierend auf die Kurden der angrenzenden Regionen wirken. In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf die engen Kontakte zwischen den verschiedenen Volksteilen, die bis zum Ersten Weltkrieg kaum reale Grenzen kannten. Die guten Verbindungen zwischen irakischen, türkischen und iranischen Kurden, spielen "eine das kurdische Bewusstsein stark beschleunigende Rolle". Aber auch die europäische "Diaspora" spielt eine besondere Rolle, wenn es um den schnellen Austausch von Nachrichten, Meinungen und Stimmungen via Presse, Rundfunk, Internet und bislang drei Satelliten-TV-Sender geht. Das aus der Türkei verdrängte kurdische Landproletariat finde dabei häufig erst in Deutschland, Belgien und Frankreich seine kurdische Kultur. "Die Kurden sind wohl vor der werdenden politischen zuerst eine Kulturnation", so Deschner.

Gleichwohl, so mahnt der Autor, bestehe jederzeit die Gefahr des Ausbruchs der alten "kurdischen Krankheit", der notorischen Uneinigkeit untereinander. "Die Kurdenstämme", so zitiert Deschner eine alte Chronik, "halten untereinander nicht zusammen; keiner will dem anderen gehorchen und untertan sein." Wenn es jetzt in Irakisch-Kurdistan zu Konflikten zwischen Kurden komme, so Deschner, dann gehe es dabei aber weniger um hehre politische Ziele, sondern vielmehr um Macht, Ansehen und Eitelkeit einzelner Parteifunktionäre, Stammesfürsten und Familienclans. Die beiden wichtigsten Kurdenführer des Irak indessen, Massud Barsani, der Vorsitzende der Kurdistan Democratic Party (KDP), und Dschalal Talabani, Chef der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), sind zwar nicht "immer ein Herz und eine Seele", wie Deschner betont, doch eint sie bei aller Rivalität das zusammen ausgearbeitete Konzept zur Verteidigung der Autonomie. Sowohl die territoriale Aufteilung in PUK- und KDP-Regionen als auch die gemeinsam von beiden Parteiführern gesteuerte kurdische Regionalregierung und das Parlament in Erbil, tragen nach Deschner ebenso zum derzeit herrschenden Burgfrieden bei.

Ausführlich diskutiert der Autor die grundsätzlich unter den Kurden umstrittene Frage, inwieweit ein föderales, national begrenztes Autonomiekonzept den Menschen zwar etwas mehr Freiheit bringt, letztlich jedoch die Spaltung des kurdischen Volkes zementiert und den Traum eines kurdischen Einheitsstaates in weite Ferne rückt. Für Deschner freilich geht dieser alte, neue Traum an der politischen Realität der dem Nahen Osten immanenten nationalen, religiösen und wirtschaftlichen Spannungen völlig vorbei. Vielmehr appelliert er an die Führer und Politiker der irakischen Kurden, auf dem "gewachsenen kurdischen Potential" aufzubauen, um so zwischen Träumen und Realpolitik, zwischen Geschichte und Hoffnung, die kurdische Realität zu gestalten: Eine Realität von Freiheit und Unabhängigkeit zunächst im Irak, wegbereitend für die Kurden in der Türkei, im Iran und in Syrien.

Günther Frieß
Riegelsberg

         
       

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