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mardi, 08 juin 2010

Krisen-Vernebelung

Claus M. Wolfschlag / http://www.sezession.de/ :

Krisen-Vernebelung

krise.jpgDie heraufziehende Wirtschaftskrise, die auch eine Systemkrise werden wird, bringt Bewegung in die politische Szenerie. Leute im eigenen Bekanntenkreis, denen bis vor kurzem keine noch so gewichtig vorgetragene Warnung das Wässerchen ihrer Gewißheit vom ewigen Wohlstand und sicheren Fortbestand unserer Gesellschaftsform, vom „unumkehrbaren“ Prozeß der EU-Einigung trüben konnte, fangen auf einmal an, nachdenklich zu werden.

Von drohenden Aufständen und Bürgerkrieg ist auf einmal die Rede, und daß alles noch so unheimlich ruhig sei hier und erst recht in Griechenland. Ein anderes Zeichen für die beginnende Unruhe sind die hektischen Reformversuche und wirr wirkenden Ideen aus dem Bereich der alten Nomenklatura, mit denen man die überkommenen Zustände zu retten versucht.

In den Niederlanden sind nun Vertreter der linksliberalen Führungseliten mit dem Vorschlag vorgeprescht, sämtliche Drogen zu legalisieren, also nicht nur Cannabis, sondern auch den Verkauf von Kokain und Heroin zu erlauben. Dies ist eine ohnehin alte Position in der kontroversen Diskussion vom Umgang mit den harten Drogen. So vertreten Linksliberale eher die Auffassung, diese Drogen zu legalisieren, um dadurch der Mafia den Boden zu entziehen, zugleich sauberen Stoff unter die Konsumenten zu bringen, der weniger Krankheitsrisiken birgt, und durch eine den Herstellungskosten angemessene Preispolitik die Beschaffungskriminalität und soziale Verelendung Süchtiger zu verhindern.

Konservative hingegen befürchten tendenziell mit einer Legalisierung ein Anwachsen der Sucht nach harten Drogen, gerade unter Jugendlichen, die nun weitaus leichter angefixt werden, also den Weg in den Einstieg finden können – mit allen Folgen auch für das Sozialgefüge und die Wirtschaftsleistung des Landes. Von der seelischen Verfassung der Menschen ganz abgesehen.

In den Niederlanden hat der Vorstoß allerdings einen aktuellen Aufhänger. Die Linksliberalen erklären, daß sie sich von einer Legalisierung mit einhergehender Besteuerung der Drogen ein sattes Mehr an staatlichen Einnahmen versprechen. Statt 15 Milliarden Euro jährlich durch die Schäden der Beschaffungskriminalität und die aufwendige Drogenfahndung zu verlieren, würde der Staat nun ein finanzielles Plus aus dem Konsum von Kokain und Heroin ziehen.

Das ist natürlich eine moralisch heikle Position. Der Staat verdient an der Sucht seiner Bürger. Doch steht diese nicht in der Tradition staatlicher Doppelmoral, auch hierzulande? Einerseits verbietet der Staat das Rauchen innerhalb von Gaststättenräumlichkeiten (ein Verbot, das zumindest für kleinere Eckbars, die existentiell bedroht waren, wieder gelockert wurde), andererseits fährt er satte Gewinne aus der Tabaksteuer ein. Ähnliches gilt für die Steuer auf alkoholische Getränke, während es im Gegenzug immer mal wieder politische Vorstöße gibt, deren Werbung weitgehend zu verbieten. Man könnte auch die Mineralölsteuer anführen, die keinesfalls vorrangig für ökologische Ausgleichsprojekte verwendet wird.

Fazit: Der Staat verdient kräftig mit an den Sünden, die von der Politik offiziell und oft so gerne – und manchmal ausgesprochen penetrant – angemahnt werden. Insofern wäre eine – natürlich „kritisch“ und „aufklärerisch“ begleitete – Drogenfreigabe bei gleichzeitiger Besteuerung eine logische Konsequenz.

Doch der niederländische Vorstoß könnte noch einen dritten Grund neben der Suche nach Finanzquellen und der Hoffnung auf Verwirklichung alter linksliberaler Positionen haben. Drogen lenken ab. Sie beeinträchtigen das Denken, das klare Erkennen der Wirklichkeit und das Reagieren darauf. Wer im Heroinrausch den Abend auf der Couch vergammelt, stellt keine unbequemen Fragen mehr, er sorgt sich nicht um seine Zukunft, er entwickelt keine politische Aktivität, die den herrschenden Eliten bedrohlich werden könnte. Ein Schuß nur, und die Verhältnisse bekommen eine rosarote Farbe. Was kann den Linksliberalen lieber sein? Schließlich mühen sich ihre Vertreter in den Interviews und Talkshows der TV-Kanäle fast täglich damit ab, gerade diesen Eindruck bei den glotzenden Zuschauern zu hinterlassen: „Es wird schon, lehnt Euch zurück, Schmetterlinge werden Eure Nasenspitzen kitzeln, wenn der nächste Aufschwung kommt…“ Doch die Droge Fernsehen könnte langsam ihre Wirkung verlieren. Warum dann nicht härtere Bandagen zulassen?

Das erinnert ein wenig an ein Motiv in Joss Whedons Science-Fiction-Action-Film „Serenity – Flucht in neue Welten“ (2005). Eine Regierung hat darin an der Bevölkerung eine drogenähnliche Substanz namens Pax (lat. Friede) getestet, mit der die Planetenbewohner beruhigt und soziale Aggressionen unterdrückt werden sollten. Bei den meisten Leuten funktierte das Experiment offenbar. Sie hörten mit allen Aktivitäten des täglichen Lebens auf, vergaßen sogar die Nahrungsaufnahme, und verhungerten einfach. Bei einer Minderheit allerdings führte das Ganze zum Gegenteil. Sie wurden so etwas wie U-Bahn-Messerstecher im Dauerrausch.

Der Rausch, die Vernebelung trifft auch auf ein weit verbreitetes Bedürfnis in unserer hiesigen Bevölkerung. Die Ablenkung, die Verdrängung scheint seit jeher ein allgemeingültiges Verhaltensmuster. Das Absacken beim Feierabendbier auf der Couch, die Fußballübertragungen und Fernsehserien, die ewig gleichen täglichen Spaziergänge mit dem Hund, dem wir Fürsorge entgegenbringen wollen und mit dem wir Liebe simulieren, die unendliche Musikkulisse in den Bekleidungsläden, die „Promi“-Geschwätzigkeit in den Boulevardmedien, das Handy-Display, der zur Routine gewordene Smalltalk mit den immer gleichen Denkschablonen. All diese unbewußt vollzogenen Handlungen können doch so hervorragend der Ablenkung von uns dienen, unseren Seelen, unseren Lebensumständen. Nur nicht nachdenken, nur nicht weiterentwickeln, scheint die Devise. Und all dies dient dadurch auch denjenigen, die daran verdienen. Die harten Drogen wären demnach nur noch die Spitze des Eisbergs jener riesigen abstumpfenden Entertainmentbeschallung, die in unsere Leben hineinwirkt und der wir uns auch gar nicht vollends entziehen können oder wollen.

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