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lundi, 20 décembre 2010

Bruno Wille und die Freidenkerbewegung

Bruno Wille und die Freidenkerbewegung*

von Erik Lehnert (Friedrichshagen)

Ex: http://www.friedrichshagener-dichterkreis.de/


Bruno-Wille-WDR-3.jpgDas Freidenkertum entstand im 17. Jahrhundert in England und gelangte im Laufe des 18. Jahrhunderts auf den europäischen Kontinent, v. a. nach Frankreich. Das ursprüngliche Ziel der Bewegung war die Religionsfreiheit. Das "freie Denken" sollte die Evidenz aller Gegenstände aus der Sache ableiten, nicht aus der Autorität. Erst im "eigentümlichen Freiheitsraum des 19. Jahrhunderts" (Friedrich Heer) vollzog sich innerhalb der Freidenkerbewegung ein Wandel: man organisierte sich, versuchte die ursprünglich elitäre Idee zu popularisieren und so politischen Einfluß auszuüben - man wollte das Denken allgemein von religiösen Vorstellungen befreien. Ein Resultat war, daß die Bezeichnung Freidenker, jetzt zu Recht, synonym für Atheisten gebraucht werden konnte. 1881 wurde der Deutsche Freidenker-Bund (DFB) durch Ludwig Büchner gegründet. 1905 bzw. 1908 folgten sozialdemokratische bzw. proletarische Abspaltungen, die sich 1927 vereinigten. Ihren Höhepunkt hatte die Bewegung am Anfang der 30er Jahre. Am Zweiten Weltkrieg zerbrach der Fortschrittsglaube, mit dem Einflußverlust (und der blutigen Unterdrückung) der Kirchen kam der Hauptfeind abhanden und die Naturwissenschaft stieß v. a. in der Atom- und Astrophysik an Grenzen, die einen weltanschaulichen Materialismus unglaubwürdig machen.

Nietzsche, ein ganz anders gearteter "freier Geist" (Im Nachlaß finden sich sogar "Die zehn Gebote des Freigeistes", von denen das zweite lautet: "Du sollst keine Politik treiben."), war bemüht, sich gegen die organisierten Freidenker abzugrenzen: "Sie gehören, kurz und schlimm, unter die Nivellierer, diese fälschlich genannten 'freien Geister' - als beredte und schreibfingrige Sklaven des demokratischen Geschmacks und seiner 'modernen Ideen'; allesamt Menschen ohne Einsamkeit, ohne eigne Einsamkeit, plumpe brave Burschen, welchen weder Mut noch achtbare Sitte abgesprochen werden soll, nur daß sie eben unfrei und zum Lachen oberflächlich sind, vor allem mit ihrem Grundhange, in den Formen der bisherigen alten Gesellschaft ungefähr die Ursache für alles menschliche Elend und Mißraten zu sehn: wobei die Wahrheit glücklich auf dem Kopf zu stehn kommt!" (Jenseits von Gut und Böse II, 44) Nicht die Umstände sondern die Unvollkommenheit des Menschen ist die Ursache. Ein "freier Geist" wie Nietzsche glaubt nicht einmal an die Wahrheit und demzufolge auch nicht an die Wissenschaft, die natürlich ebenfalls metaphysische Voraussetzungen hat. (Zur Genealogie der Moral III, 24)

Wille tritt erstmals im Oktober 1892 öffentlich im Zusammenhang mit dem DFB in Erscheinung. Er schreibt im Correspondenzblatt des Bundes: "was mich bisher vom Freidenker-Bunde zurückhielt, war die Meinung, hier werde das soziale Problem mit seinen bedeutsamen Konsequenzen für unsere Taktik, Moral und Pädagogik ungenügend oder unrichtig betrachtet und angefaßt." (1. Jg.,1892/93, S. 31) Bereits ein Jahr später übernimmt Wille die Redaktion des "Freidenkers" (bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung von 300 Mark jährlich) und wird Vorstandsmitglied des DFB. Ab dem 1. März 1916 ist Wille Herausgeber der Zeitschrift und bleibt dies bis zur Einstellung des Erscheinens 1921. Rückblickend schreibt er 1920: "Zu den Geistesbewegungen, die ich mit besonderer Arbeitsamkeit fördere, gehört neben der Freireligiosität das Freidenkertum. Seit Anfang der neunziger Jahre gehöre ich zur Leitung des Deutschen Freidenkerbundes, redigiere dessen Blatt ("Der Freidenker") und habe auf vielen Kongressen des Bundes gewirkt, auch auf internationalen (Rom und München). Die anfangs im deutschen Freidenkertum vorherrschende Richtung des Materialisten Ludwig Büchner habe ich durch meine idealistische Weltanschauung ergänzt, damit das Freidenkertum sich nicht beschränke auf rationalistischen Volksaufkläricht."

Die Geschichte der Zeitschrift soll hier nicht das Thema sein. Obwohl diese sehr interessante Aufschlüsse über die Organisationstrukturen der freigeistigen Bewegungen etc. geben könnte, da der "Freidenker" im Laufe seines Bestehens zahlreiche Wandlungen vollzog, die sich u. a. in Zusammenschlüssen mit anderen Bünden und deren Zeitschriften zeigen. Die Zeitschrift erschien am 1. Juli 1892 erstmals als "Correspondenzblatt des Deutschen Freidenker-Bundes" und wurde mit der Ausgabe vom 1. Juli 1893 umbenannt in "Der Freidenker. Correspondenzblatt und Organ des Deutschen Freidenker-Bundes". Die Erscheinungsweise war bis zum 1. Juli 1894 vierwöchentlich, danach zweiwöchentlich. Die Verlagsorte wechselten oft, je nachdem welcher Ortsverband mit der Herausgabe betraut war. Von Mitte 1895 an war es für kurze Zeit Friedrichshagen (Berlin). In der Juniausgabe 1906, die rückblickend das 25jährige Jubiläum des Freidenkerbundes feiert, wird ein Ansteigen der Auflage der Bundeszeitschrift von 800 (1892) auf 3600 (1906) Exemplare verzeichnet.(14. Jg., 1906, S. 84-86).

In der September-Ausgabe des "Correspondenzblattes" erschien 1892 ein anonymer Beitrag: "Die Scheidung der Geister". (1. Jg., 1892/93, S. 19-22). Darin versucht der Autor den Idealismus vom Materialismus, der seiner Meinung nach einzig richtigen Weltanschauung, zu scheiden: "Hie Materialismus, dort Idealismus: es giebt keine Ueberbrückung." Die materialistische Position wird auf den Einzelnen und die Gesellschaft angwandt. Der bekannte Schluß lautet, daß alles Geschehen "dem Zwang äußerer und innerer Verhältnisse" unterliegt. Jede Handlung eines Menschen sei, durch seine soziale Lage oder weil ihm der freie Wille fehlt, determiniert. Dieser Beitrag löste eine interessante Debatte aus, die dem Verfasser Widersprüche in seiner Argumentation aufzeigte, insbesondere wie man politisch oder kulturell wertsetzend wirken wolle, wenn man keinen freien Willen hat. Wille beteiligt sich an dieser Diskussion und hebt lobend hervor, daß "die materialistische Geschichtsauffassung [...] den gebührenden Einzug" bei den Freidenkern gehalten hat. (1. Jg., 1892/93, S. 31f.). Wille ist der Auffassung, daß der Determinismus keinen Einschränkungen unterworfen ist und begründet das mit der Definition von Freiheit, als Möglichkeit, zu können was man will. Das Wollen ist allerdings motiviert, d. h. von einer oder mehreren auslösenden Ursachen abhängig bzw. determiniert. So artet die Diskussion in Wortklaubereien aus.
Wille stieß in einer Zeit zur Freidenkerbewegung, als diese an Einfluß verlor. Seit 1890 war den Arbeiterparteien die Versammlungsfreiheit wieder gewährt worden, so daß die Arbeiterschaft ihre eigenen Versammlungen besuchte. Der Gegensatz zwischen der Führung der Freidenker, die aus dem liberalen Bürgertum hervorging, und der Masse der Arbeiter trat jetzt deutlich zu Tage. Eine vermutlich von Wille auf dem Kölner Freidenkerkongreß 1894 eingebrachte Resolution sah zwar die Lösung der sozialen Frage als dringendes Problem, stellte die Wahl der Mittel jedoch dem Einzelnen frei. Der Gegensatz zur marxistischen Sozialdemokratie war offensichtlich. Hinzu kam der beginnende Einfluß Nietzsches und der verschiedener Ersatzreligionen, der nach und nach weite Teile der Bevölkerung erfaßte. Erst die Bestseller Haeckels, ermöglicht durch den "'pathologischen Zwischenzustand' einer philosopischen Anarchie" der Jahrhundertwende (Oswald Külpe), und die internationalen Freidenkerkongresse in Rom und Paris (1904/05) brachten einen neuen Aufschwung der Bewegung. Die Macht der Orthodoxie in der Arbeiterbewegung, die das Freidenkertum als bürgerliche Ideologie ablehnte, ging zunächst zurück. Später jedoch folgte die Auseinandersetzung mit dem 1908 in Eisenach gegründeten "Zentralverband Deutscher Freidenker", einer proletarischen Abspaltung. (Vgl. 16. Jg., 1908, S. 153-156). Wille versuchte sich insbesondere des Vorwurfs, der DFB sei unter seiner Federführung zunehmend sozialliberal und damit (in den Augen der Abspaltung) reaktionär geworden, zu erwehren. Anlaß war eine Äußerung von Wille, in der er ein Zusammengehen von Sozialdemokraten und linksliberalen Freisinnigen ("Linker Block" als sozialliberaler Übergang) in der Kulturpolitik gefordert hatte. (16. Jg., 1908, S. 21). Die Person Willes war oft Ziel solcher Art von Vorwürfen. (Vgl. 3. Jg., 1894/95, S. 3-5, 58-62). Wohl auch weil er kategorisch feststellte: "Parteifanatismus ist nicht minder wie religiöser Fanatismus ein Erbfeind des Freidenkertums." (Ebd. S. 58). Das sollte sich im Laufe der Geschichte bewahrheiten.

Was Freidenkertum seiner Meinung nach sei, schreibt Wille in einer Ausgabe der Zeitschrift "ohne Verbindlichkeit für unseren Bund". (15.Jg.,1907, S. 41f). Dem Namen nach (also bloß oberflächlich?) tritt Freidenkertum für "grundsätzlich freies Denken" und "für schrankenlose Entwicklung der höchsten Geisteskräfte in Persönlichkeit und Volksleben ein". Unterdrückung im geistigen Kampf wird abgelehnt, da die Wahrheit durch "ungehemmten Wettbewerb" (natürliche Zuchtwahl) hervortreten soll. Die Wahrheit müßte demzufolge stärker als die Lüge sein. Heißt es noch sehr frei, der Einzelne ist für die Bildung seiner Überzeugungen selbst verantwortlich, werden wenige Zeilen später letztlich dogmatisch "gewisse Weltanschauungen" abgelehnt: "Wer an ein höchstes Wesen glaubt, das als ein persönlicher Herrscher das Weltall regiert und den Menschen absolut gültige Vorschriften gegeben hat, kann kein Freidenker sein, da ihn seine Unterordnung unter die geglaubte Autorität zur Intoleranz verführt." Gemeint ist hier natürlich v.a. das Christentum, das durch eine "natürliche Weltanschauung" ersetzt werden soll. Damit meint Wille in jedem Fall einen Monismus, sei er nun "idealistisch, materialistisch oder mechanistisch". Der Freidenker kann nach Wille ruhig einer "religiösen Stimmung" nachgeben, da dies auch die alten Ägypter, Babylonier etc. getan hätten. Scheinbar fallen deren Ansichten nicht unter "gewisse" sondern unter "natürliche Weltanschauungen". Eine Unterscheidung, die Wille nicht erläutert. Religion sei nicht das "Glauben an übernatürliche Dinge" sondern: "Hingabe an das Höchste, das ein Mensch erlebt, gleichviel welche Begriffe er damit verbindet." Um den Einfluß der Bewegung zu erhöhen, schlägt Wille die Gründung eines Kartells aller mit den Freidenkern gleichgesinnten Geistesrichtungen vor. 1909 kam es dann tatsächlich zur Gründung des "Weimarer Kartells", in dem Monistenbund, "Bund freireligiöser Gemeinden" und DFB zusammenarbeiteten. Der DFB und der Bund bildeteten 1921 den "Volksbund für Geistesfreiheit" mit der monatlich erscheinenden Zeitschrift "Geistesfreiheit" statt des "Freidenkers" als Organ. Im Nachruf dieser Zeitschrift auf Willes Tod heißt es u. a., daß Wille sich "mit der Richtung des Volksbundes für Geistesfreiheit nicht befreunden" konnte. Aber: "In der Geschichte des Freidenkertums nimmt er eine hervorragende Stelle ein." (37. Jg.,1928, S. 147)
Wie oben angedeutet, sieht Wille die Entwicklung der Wahrheit (für ihn gleichbedeutend mit Wissenschaft) in Analogie zur Entwicklung der Wirtschaft. In beiden solle "freies Spiel der Kräfte" herrschen. Der positive Lauf, den die Wirtschaft seit dem Liberalismus genommen habe, zeige die Möglichkeiten, die in der Wissenschaft ruhen. Durch gleiche Bedingungen für alle soll brachliegendes geistiges Potential freigesetzt werden. (17. Jg.,1909, S. 17-19). Der Wirtschaftsliberalismus setzte tatsächlich ungeheure Energien frei, den notwendigen Konkurrenzkampf gewinnen jedoch die Stärkeren wie in der Natur auf Kosten der Schwachen (Monopolbildung). Eine andere interessante Frage schließt sich daran an: Gehören Darwinismus und Sozialismus zusammen? Bebel sagte ja, Haeckel nein. (2. Jg.,1893/94, S. 65-68) Also: Befördert die Selektionstheorie den Sozialismus oder widerspricht sie ihm? Haeckel bezog das darwinistische Prinzip auf den Einzelnen, Bebel auf die Gesellschaftsform. Auf den ersten Blick scheint eher der Liberalismus dem Darwinismus zu entsprechen, in dem sich der Tüchtigste o.ä. durch setzt. Wille führt dagegen an, daß es in der Natur Schutzbündnisse gebe. Ob aber, wie er behauptet, "gerade der Kampf ums Dasein [...] solche Solidarität" auch in der Menschheit herbeiführen wird, ist zweifelhaft, da Wille nur den Zusammenhalt innerhalb einer Klasse meint. Der Sozialismus nach seiner Definition "sucht die Existenz-Bedingungen nicht etwa durch Abtragung ihrer sonnigen Höhen, sondern durch Zuschüttung ihrer grauenvollen Schluchten zu nivellieren." Er ist davon überzeugt, daß sich die unzweckmäßigen Einrichtungen der Gesellschaft zurückbilden und sich die Volkswirtschaft den Bedürfnissen des Volkes anpaßt. Also kommt der Sozialismus zwangsläufig? Wozu braucht man dann den "Umstürzler" Wille? Die Widersprüche sind dem darwinistischen Dogmatismus geschuldet.

Mit seiner Kritik an Haeckels nationalökonomischer Einstellung zeigt Wille nur einen Teil der unterschiedlichen politischen Auffassungen, die im Freidenkertum nebeneinander existierten. Generell kann man für die Beiträge Willes im "Freidenker" sagen, daß er im wesentlichen die Themen seiner Bücher behandelt und teilweise wörtlich daraus zitiert. Weiterhin nahm er zu aktuellen Fragen in der Regel kurz Stellung und redigierte die Zeitschrift mit einem m. E. erstaunlich hohen Maß an Meinungsfreiheit - getreu dem idealistischen Motto: "Das Freidenkertum ist eine Methode, eine Art zu denken, weniger ein bestimmter Inhalt des Denkens; es betont weniger das Was, als das Wie." (3. Jg.,1894/95, S. 5)

* Anmerkung: Der Text stellt einen Auszug aus einem Vortrag dar, den der Autor am 26. März 2001 auf Einladung des Berliner Landesverbandes der Deutschen Freidenker im Rahmen der philosophisch-weltanschaulichen Gespräche zur 120jährigen Geschichte der Freidenker in Deutschland gehalten hat.

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