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lundi, 21 février 2011

Scholl-Latour: "Ägyptens Moslembrüder an der Macht beteiligen"

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„Ägyptens Moslembrüder an der Macht beteiligen“

Ex: http://www.zurzeit.at/

Nahostexperte Peter Scholl-Latour über die Ereignisse in Ägypten, den Stellenwert islamistischer Bewegungen, das zweifelhafte türkische Vorbild sowie über die Folgen für die gesamte Region und für Europa

Herr Dr. Scholl-Latour, Sie kennen die arabische Welt bereits seit Jahrzehnten. Hat Sie der Umsturz zuerst in Tunesien und dann auch in Ägypten überrascht?

Peter Scholl-Latour: In Tunesien hat es mich absolut überrascht, weil es eines der friedlichsten Länder des Maghreb ist und die Tunesier auch keine großen Kämpfer sind. In Ägypten, wo ich mich vor kurzem aufgehalten habe, hat sich auch keine Spur eines Aufruhrs gefunden, aber ich habe von syrischer Seite Warnungen bekommen, daß sich da revolutionäre Vorgänge vorbereiteten.

Was sind die Ursachen? Ist es die Unzufriedenheit der jeweiligen Bevölkerung mit den korrupten Regimen?

Scholl-Latour: Es ist die Armut, eine zunehmende soziale Diskrepanz und eine schamlose Bereicherung einer kleinen Elite. Aber das, was die Revolte ausgemacht hat – und das ist immer so bei Revolutionen – sind ja nicht die ärmsten Volksschichten, die Darbenden, sondern eine aufstrebende Mittelschicht, eine neue Bourgeoisie, sowie die Jugendlichen. Es war ja auch die Französische Revolution keine Revolution des Proletariats oder des armen Bauerntums, sondern es war eine Revolution der Bürger, die nicht zum Adel zugelassen wurden. Und bei den jetzigen Revolutionen ist ein neues Phänomen hinzugetreten, nämlich die Kommunikation durch die elektronischen Medien, durch Facebook und Twitter. Das hat offenbar die Jugend, die sich leidenschaftlich dafür interessiert, dazu angetrieben, Verbindungen zwischen Leuten herzustellen, die sich vorher nicht kannten.

Rechnen Sie damit, daß es auch in anderen Ländern der Region zu Umstürzen bzw. zu Umsturzversuchen kommen wird?

Scholl-Latour: Das hängt davon ab, wie die Ereignisse in Ägypten ausgehen werden. Derzeit rumort es gewaltig in Jordanien, und vielleicht ist Jordanien in mancher Beziehung sogar zerbrechlicher als Ägypten. Man sagt sogar, daß sich im Gazastreifen die Bevölkerung gegen die Alleinherrschaft der Hamas auflehnt, aber da sind auch fromme Wünsche dabei. Ähnliches wie in Ägypten ist auch in Saudi-Arabien vorstellbar. In diesem Land, weil das Land aus Oasen besteht, die wie Inseln im Meer liegen und hier deshalb den neuen Kommunikationsmitteln eine besondere Bedeutung zukommt. Und in Saudi-Arabien kann sogar die amerikanische Armee militärisch intervenieren, wenn für die USA die Lage bei diesem Verbündeten vollkommen aus dem Ruder zu laufen droht.

Aber auch im Maghreb kann noch etwas passieren: Algerien ist in einen Bürgerkrieg gestürzt worden, nachdem eine islamische Partei die Wahlen ganz eindeutig gewonnen und das Militär geputscht hat. Damals hatten Amerika und Europa stillgehalten und im Grunde nur tief aufgeatmet, daß nicht eine damals noch sehr friedliche islamistische Partei an die Macht gekommen ist, die dann allerdings um ihren Wahlsieg betrogen gefühlt und sich radikalisiert hat, was zu einem Bürgerkrieg mit 50.000 Toten geführt hat.

Weil Sie gerade die Islamisten angesprochen haben: Welche Rolle spielt heute in Ägypten die Moslembruderschaft und wird sie ihren Einfluß steigern können?

Scholl-Latour: Die Muslimbruderschaft, wie man sie in Ägypten kennt, ist vor allem für die soziale Sicherheit der Bevölkerung da. In den einfachen Nildörfern lebt man beinahe nur nach der Scharia, nach der koranischen Gesetzgebung, die im muslimischen Glauben verankert ist. Die Muslimbrüder sind die einzige organisierte Kraft, die neben der Nationaldemokratischen Partei von Mubarak, die sich durch Wahlbetrug die Macht sichert, das Terrain beherrscht.

Immer wird behauptet, die Islamisten könnten sich an der Türkei und an der türkischen Regierungspartei AKP ein Beispiel nehmen. Halten Sie das für möglich?

Scholl-Latour: Das ist eine Hoffnung, das sie sich an der Türkei orientieren. Aber das türkische Modell ist noch nicht ausgereift, und die Türkei ist heute trotz Wahlen islamischer als sie noch vor Jahren gewesen ist. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat sehr geschickt taktiert, und das könnte ein Modell sein. Aber im Vergleich zu Ägypten hat sich in der Türkei ein Entwicklungsstand, ein Bildungsstand und auch ein Wohlstand eingestellt, der erst eine Gestalt wie Erdagon ermöglichen konnte.

Allerdings kann es durchaus sein, daß sich innerhalb der Moslembrüder, die längst nicht so radikal sind, wie es die Amerikaner und Europäer darstellen, sondern sich seit ihrer Gründung gemäßigt haben, ähnliches möglich ist. Ich erinnere nur daran, daß Präsident Sadat, der mit Israel Frieden geschlossen hat, in jungen Jahren ein eifriger Moslembruder gewesen ist – das ist eine Kraft, die man im Grunde, wenn man klug ist, an der Macht beteiligen sollte, wenn man keine Militärdiktatur haben will.

Wenn man das aber nicht tut, dann würde man in die Moslembruderschaft einen gefährlichen Radikalismus hineintreiben.

Washington überweist jährlich 1,3 Milliarden Dollar an Militärhilfe an Kairo. Was bedeutet die Entwicklung in Ägypten daher für die USA?

Scholl-Latour: Die USA haben ein Protektorat über den Nahen Osten und müssen gewaltige Rückschläge hinnehmen. Die Kontrolle über den Irak ist ihnen weitgehend entglitten, und in der Auseinandersetzung mit dem Iran müssen sie zusehen, wie sich im Südirak ein schiitisch ausgerichteter Staat entwickelt, der enge Beziehungen zu Teheran hat. Und sowohl im Irak als auch im Afghanistan sind die Pläne, demokratische Staaten nach Vorbild der USA aufzubauen gescheitert, wie die neuen Partisanenkriege zeigen.

Halten Sie es für möglich, daß die USA in Ägypten direkt oder indirekt in die Ereignisse eingreifen, wenn es nicht wunschgemäß verläuft?

Scholl-Latour: In ein Land mit 80 Millionen Einwohnern getraut sich keiner mehr rein. Außerdem müßten die USA mit dem erbitterten Widerstand der ägyptischen Armee rechnen, die immerhin Erfolge gegen Israel – siehe Sinai – erreicht hat. Ein militärisches Eingreifen kann man ausschließen, aber massive politische und diplomatische Interventionen sind möglich.

Und wie soll Europa mit der sich verändernden Lage im Nahen Osten und im Maghreb umgehen?

Scholl-Latour: Vielleicht entdeckt jetzt Europa endlich, daß man zu seiner wirklichen Nachbarschaft ein neues Verhältnis herstellen muß und nicht die eigenen Vorstellungen von Demokratie aufoktroyiert. Diese Länder müssen sich selbst entwickeln, zumal es Anzeichen gibt, daß sich der Islam von innen heraus liberalisieren will.

Welche Anzeichen für eine Liberalisierung des Islam gibt es?

Scholl-Latour: Ich habe mit verschiedenen führenden Persönlichkeiten gesprochen, die im Westen als Radikale und als Terroristen gelten und diese haben von einer Diskussion über eine vorsichtige Neuinterpretation des Islam und eine größere Anpassung an die Moderne berichtet.

 
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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