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mardi, 24 septembre 2013

Über Othmar Spann

spann1123.jpgÜber Othmar Spann

von Michael Rieger

Ex: http://www.sezession.de

Als »Nazi« verdammt, darf der Wiener Nationalökonom und Sozialphilosoph Othmar Spann (1878–1950) als aus der Geistesgeschichte getilgt gelten. Otto Neurath – Positivist, Austromarxist – ließ 1944 keine Zweifel: Sicher sei Spann ein Nazi.

Seine Mißhandlung durch die Gestapo wie das Lehrverbot könnten nur das Ergebnis einer »Abweichung« sein, schließlich hätte Spann einen »nationalen Totalitarismus« gepredigt, »schlicht und einfach«. Schlicht und einfach liegen die Dinge selten und bei Spann, der »in der Spur Schellings … inmitten der Moderne … den Universalismus und Theozentrismus des christlichen Denkens zu rekonstituieren« suchte (Ernst Nolte), schon gar nicht. Man darf sogar von einer unverminderten Bedeutung dieses »zu Unrecht Vergessenen« (Kurt Hübner) sprechen.

Doch Schnittmengen bleiben: Die Bücherverbrennung war Spann »ein Ruhmesblatt der nationalsozialistischen Umwälzung«; die deutschen Juden wollte er in Ghettos sehen. Aber er verurteilte den biologistisch-rassistischen Charakter der »NS-Judenpolitik«, um deren fatalen Kurs durch eine naive wie mutige Intervention zu verändern – im September 1935, lange nach dem »Röhm-Putsch« und kurz nach den »Nürnberger Gesetzen«, einer der letzten Versuche konservativ-revolutionärer Selbstbehauptung. »Schlicht und einfach«?

Am 23. Februar 1929 kritisierte Spann die »unwürdigen« NS-Aufmärsche, was dem im Münchner Audimax anwesenden Adolf Hitler nicht eben gefiel. Am 9. Juni 1933 erteilte der Wiener Professor der Confederazione Nazionale Fascista del Commercio Nachhilfe: Seit 1929 praktizierte man in Rom staatlichen Dirigismus, Spann warb für das Gegenteil, eine ständisch-dezentralisierte Wirtschaft. Ähnliche Kritik hielt er, vom Hitler-Förderer Fritz Thyssen unterstützt, auch für das Deutsche Reich parat, dabei der Fehleinschätzung erlegen, die Entwicklung mitprägen zu können. Als man den Spann-Kreis 1938 eine »Gefahr für die gesamtdeutsche Entwicklung« nannte, wußten Hitler und Rosenberg längst um die Unverträglichkeit ihrer totalitären Ansprüche mit Spanns Ganzheitslehre. Es gilt Gerd-Klaus Kaltenbrunners Klage über die wohlfeile Sicht auf Spann, den »liberale Flachköpfe und sozialistische Schreihälse für einen ›Faschisten‹ ausgeben dürfen«.

Sachlichere Töne kamen von Katholiken. Gustav Gundlachs Einwand, Spann vernachlässige die Person, klingt bis heute im Lexikon für Theologie und Kirche nach: Obschon in katholischer Mystik gründend, sich gegen Mechanismus und Marxismus wendend, werde Spanns Philosophie »der Wirklichkeit des Menschen« nicht gerecht, da sie sich »auf ein abstraktes Ganzes« konzentriere. Vor allem aber hielt ein Kreis von Wissenschaftlern die Erinnerung wach: Initiiert von Spanns bedeutendstem Schüler, Walter Heinrich, arbeitete man im Umfeld der Zeitschrift für Ganzheitsforschung (1957–2008) das umfangreiche Werk auf, vernetzte es mit anderen Denktraditionen. Über Schüler und Enkelschüler (Baxa, Riehl, Pichler, Romig) läßt sich eine Linie ziehen bis zur jüngsten Monographie von Sebastian Maaß, die Spann als »Ideengeber der Konservativen Revolution« würdigt.

Armin Mohler betonte, daß der Spann-Kreis der Konservativen Revolution »das durchgearbeitetste Denksystem geliefert« habe. Doch nicht an diesem imposanten Bau aus Gesellschaftslehre (1914), volkswirtschaftlichen Standardwerken, Kategorienlehre (1924), Geschichtsphilosophie (1932), Naturphilosophie (1937) und abschließender Religionsphilosophie (1947) entzündete sich der Antifa-Furor, sondern an den politischen Implikationen, an Spanns Generalkritik des Individualismus und der Demokratie, nachzulesen in seinem bekanntesten Werk Der wahre Staat (1921).

Die historische Entwicklung seit dem Humanismus wertet Spann als Austreibung alles Höheren, als Weg in Atomisierung und Materialismus: Wo der Mensch »nur aus sich selbst heraus lebt«, übt er Sittlichkeit und Pflicht sich selbst, »aber nicht dem anderen gegenüber«. Es ist eine asoziale Welt triebgesteuerter Atome ohne Verantwortlichkeit und Rückbindung. Diesem Auflösungsprozeß begegnet Spann zunächst anthropologisch: Das autarke Ich sei eine »knabenhafte Anmaßung«, der einzelne werde nur durch »Zugehören«, »Mitdabeisein eines anderen Geistes« gleichsam »wachgeküßt«.

Gegen die hybride individualistische Erkenntnistheorie denkt Spann vom Ganzen her, da »alles mit allem verwandt, alles an alles geknüpft ist«. Das Ganze gehe den Gliedern voraus, »offenbart« sich in ihnen. Von diesem Perspektivwechsel erhofft er eine »vollständige Umkehr« im Verhältnis des Menschen zu Welt und Gesellschaft, die nicht mehr als Summe gleicher Einzelkämpfer erscheint, sondern als verwobene, abgestufte Wirklichkeit. Hier nun bricht Spann, politisch höchst unkorrekt, mit dem Gleichheitsbegriff: Zwar besäßen »der Verbrecher wie der Heilige … einen unverletzlichen Kern ›Mensch‹! Niemals aber heißt dies: Sie seien gleiche Menschen«. Während die Menschenwürde »gewiß nicht angetastet werden darf«, rekurriert Spann auf eine »organische Ungleichheit«, die aus dem »inneren Verrichtungsplane« des Ganzen hervorgehe. Die Ungleichheit der Menschen, die jeweils nach geistigen Grundinhalten Gemeinschaften bilden (Demokraten, Katholiken, Facharbeiter, Vegetarier, Sportler …), schaffe eine »maßlose Zerklüftung«: »Der Bestand der Gesellschaft … wäre gefährdet, wenn die kleinen, einander fremden Gemeinschaften« in dieser »Zusammenhanglosigkeit« verblieben. Also bedarf es einer Integration, einer Rangordnung und »organischen Schichtung nach Werten«, die nur qua Herrschaft Form gewinnt.

Mittelalterliche und romantische Ordnungsmuster aktualisierend, faßt Spann die gesellschaftlichen Glieder als Hierarchie von Ständen: von den Handarbeitern über die höheren Arbeiter zu den »Wirtschaftsführern«; darüber bestimmt Spann einen Stand von Staats-, Heer-, Kirchen- und Erziehungsführern und zuletzt einen zielgebenden »schöpferischen Lehrstand«. Da alle aufeinander angewiesen sind, der Soziologe auf den Schreiner, der auf den Förster, der wiederum auf den Priester, besteht eine »gleiche Wichtigkeit für die Erreichung des Zieles«: Stabilität, soziale Harmonie, Gerechtigkeit. Welche darin liegt, daß jeder in der ihm gemäßen Stellung im Ganzen sein »Lebenshöchstmaß« realisiere, als sinnvolles Glied einer Gemeinschaft und, berufsständisch organisiert, einer Korporation. Dieses natürliche, dynamische Gefüge, mitnichten die Erstarrung in »Geburtsadel oder Geburtsuntertänigkeit«, ist Spanns Gegenbild zur linken Einheitsschablone wie auch zur machiavellistischen »Kampfeswirtschaft« des Kapitalismus.

Da mit der Auflösung der Stände in der Neuzeit »weder das Phänomen des differierenden sozialen Status, noch der Bedarf an ›erzogenen Führern‹ verschwindet«, so Mohammed Rassem, stellt Spann in einer »Gegenrenaissance« – gegen die Verabsolutierung liberaler Werte – ein traditionelles Ordnungsgesetz neu her. Politisch gewendet: Aus dem (potentiell veränderlichen) Standort in der Gliederung, aus der »Lebensaufgabe« und Leistung für die Gesellschaft ergeben sich der jeweilige Ort und Grad der »Mitregierung«. So will Spann, gestützt auf die Selbstverwaltung der Stände und das fundamentale Prinzip der Subsidiarität, die defizitären demokratischen Mechanismen überwinden, wobei die Staatsführer einen übergreifenden »Höchststand« bilden, eine sachverständige, »staatsgestaltende« Elite. Überzeugt, daß man »Stimmen nicht zählen, sondern wägen« solle, forderte er, die Besten mögen herrschen: Mehrheiten assoziierte Spann mit Wankelmut, Inkompetenz, Einheitsbrei, kurz: mit »demokratischem Kulturtod«, ja »Kulturpest«, wie der »alle Überlieferung, alle Bildung« zerschlagende Bolschewismus zeige.

Von einiger Sprengkraft ist Spanns Begriff der Wirtschaft. Dem »Bereich des Handelns« angehörend, liege ihr Wesen darin, »Mittel für Ziele zu sein«. Sie sei »dienend, nicht eigentlich primär«, worunter Spann allein »ein Geistiges« verstand. »Handeln kann ich nur, um einem Ziele zu dienen, … z.B. um eine Kirche zu bauen.« An höhere Ziele gebunden, bilde die Wirtschaft »keinen selbsttätigen Mechanismus mehr«, ein Primat komme ihr nicht zu. In der ständischen Ordnung sei auch Privateigentum »der Sache nach« Gemeineigentum. Mit dieser »Zurückdrängung« der Ökonomie reagierte Spann auf die »Verwirtschaftlichung des Lebens«, die der alles verwertende Kapitalismus so rücksichtslos betrieben hat wie der alles auf ökonomische Kategorien reduzierende Marxismus.

Doch die Geschichte hat Spanns Begriff einer dienenden Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Im Rahmen einer globalen Amerikanisierung erweisen sich die politischen Akteure als Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft. Bei Staatsbesuchen werden wie selbstverständlich Verträge für die mitreisende Großindustrie angebahnt; Entscheidungen zugunsten partikularer Interessen gelten als »alternativlos«; subsidiäre Strukturen werden leichthin preisgegeben; »Flexibilität« und »Mobilität« bemänteln die Entwurzelung der Arbeitnehmer … Nicht die Wirtschaft dient der Gesellschaft, vielmehr assistiert die Politik der Wirtschaft bei der Indienstnahme der Gesellschaft. Aktuell illustrieren Finanzkrise und Euro-Misere, wie von Spanns Enkelschüler Friedrich Romig analysiert, die strukturelle Verantwortungslosigkeit dieses Verhältnisses: Wirtschaftliches Handeln ist nicht höheren Zielen, etwa der Stabilität, sondern nur kurzfristigen Profiten verpflichtet. Verluste aus Spekulationen werden, jeden Begriff von Gerechtigkeit negierend, auf die Gemeinschaft abgewälzt. In Europa zeichnet sich eine gleichmacherische Schuldenunion ab, vermittels derer die Schuldenberge in jenen Ländern anwachsen, die nicht für diese Entwicklung verantwortlich sind. In der »hastigen Unruhe« ist der einzelne nicht »aufgehoben«, sondern seinen Zukunftsängsten überlassen. Die Inkompetenz der Politik spiegelt die Hilflosigkeit des Staates, dessen Souveränität dahin ist. Vor genau achtzig Jahren hat Walter Heinrich dieses Szenario antizipiert: »Die zum Selbstzweck gewordene Wirtschaft bedeutet Verfall des Staates und der Kultur. … Der Staat, der die Führung verloren hat, hört auf Staat zu sein«. Und das geistige Leben verkommt – um mit Spann zu sprechen – vollends zur »Krämerbude«.

In Spanns Alternative liegen hingegen grundsätzliche Umwertungen beschlosen: Als »Organ einer genossenschaftlichen Ganzheit« werde der einzelne in seinem wirtschaftlichen Handeln eingeschränkt, woraus ein relatives »Stillstehen des technischen Fortschrittes« folge. Die »ungehemmt vorwärts strebende Entfaltung der produktiven Kräfte« werde beschränkt. »Der Mensch ist nicht mehr derselbe. Wer das Äußere bändigt und bindet, kann es nicht zugleich ins Unbegrenzte« entwickeln. Denn »auf Innerlichkeit und auf Bindung der Wirtschaft« hinzusteuern, heißt zugleich, »daß wir ärmer werden!« Die übliche Kritik an der Trägheit der Stände übersieht stets, wie sehr sich in den Momenten der Bescheidung, Verlangsamung und Langfristigkeit eine neue Sittlichkeit, ein antisäkulares Ethos ausdrückt.

Das Ziel dieser Ordnung läßt sich über die irdische Gerechtigkeit hinaus in einer übersinnlichen Dimension fassen: Spanns Konzeption macht die Rückverbundenheit aller Glieder sichtbar, zuletzt ihre Vermittlung zwischen Welt und kosmischer, göttlicher Ordnung. Es geht darum, den verlorenen Blick fürs Ganze wiederzugewinnen.

 


 

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