lundi, 06 octobre 2014
Warum Sprachen sterben
Warum Sprachen sterben
von Niels Krautz
Ex: http://www.blauenarzisse.com
Rund 3.000 Sprachen sind weltweit laut der UNESCO vom Aussterben bedroht. Es geht um weit mehr als Exotik: Sterben die Sprachen, verschwinden auch die Völker.
Es gibt viele von ihnen: nicht nur in Europa, sondern auch in Asien, Amerika und Ozeanien. Aber keiner muss in die Ferne schweifen. Auch hier in Deutschland sind sie zu sehen, auf Schildern, in Ämtern und in Schulen. In Europa und Vorderasien heißen sie unter anderem Aragonesisch, Istriotisch, Gälisch oder auch Karaimisch. Sie muten meist etwas seltsam an und man hört sie kaum noch. Die Rede ist von bedrohten Sprachen und Dialekten.
Manche Ursprachen leben bis heute fort
Vor circa 50.000 Jahren entwickelte sich laut dem US-amerikanischen Linguisten Merritt Ruhlen in Afrika die erste Sprache der Menschheit, welche nur aus einigen Lauten zusammengesetzt war. Anderen Forschern zufolge soll der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Neandertaler die ersten Worte bereits vor rund 500.000 Jahren geäußert haben. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich unsere Sprache immer weiter gewandelt. Neue Wörter kamen hinzu, die Räume flossen ineinander über. Oder sie wurden umgewandelt, um der jeweiligen Sprache besser zu dienen.
Allein der germanische Sprachraum umfasst nicht nur Europa, sondern auch Teile Amerikas und Vorderasiens. Aus ihm bildeten sich tausende von Dialekten heraus und dazu viele Sprachen, die wir heute noch abgewandelt sprechen. Doch zahlreiche von ihnen gingen im Lauf der Jahrhunderte verloren. Oder sie wurden so stark verändert, dass ihre Ursprungsform kaum noch zu erkennen ist.
Das Sterben der Sprachen ist kein Schicksal
Man könnte meinen, es sei der Lauf der Welt, dass Sprachen kommen und gehen. Doch das stimmt nicht ganz. In der modernen Welt halten sich Sterben und Neuentstehen nicht mehr in der Waage. Fast 2.000 Sprachen existieren weltweit, die von weniger als 1.000 Menschen gesprochen werden. In Amerika und Australien sind sogar 100 bis 200 vom Aussterben bedroht. Die Vorherrschaft einiger weniger Sprachen übt zunehmenden Druck auf andere aus. Englisch ist sicher eine der dominantesten davon. Auch die Mobilität der Volksgruppen und enge Kontakte der sozialen Netzwerke spielen dabei eine große Rolle.
Diese Entwicklung lässt sich am Beispiel der irischen Sprache – Gaeilge in der seit 1948 geltenden Orthografie – betrachten. Durch die große Hungersnot im 19. Jahrhundert und die darauf folgende Emigration zahlreicher Iren in die neue Welt reduzierte sich die Anzahl der Irisch sprechenden Menschen um 1,5 Millionen.
Das Irische konnte vorerst gerettet werden
Eltern brachten ihren Kindern die englische Sprache näher, damit sie in der besetzten Heimat bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz hatten. Dadurch verdrängte Englisch zunehmend die irische Sprache. Sie wurde in der Öffentlichkeit nur noch als Sprache der Unterschicht angesehen.
Wiederbelebungsmaßnahmen wurden nach der Unabhängigkeit Irlands im Jahre 1922 eingeleitet, als sich das Land von der englischen Herrschaft befreite. Verschiedene Fördervereine des Irischen entstanden, zum Beispiel der „Conradh na Gaeilge“, was soviel heißt wie „Liga des Irischen”. Der Zensus von 2006 ergab jedoch, dass nur noch 1,66 Millionen Menschen, also 40,8 Prozent der Bevölkerung, irisch sprechen konnten. Davon waren höchstens 70.000 Muttersprachler, welche die Sprache aber nicht täglich gebraucht haben. Irland versucht daher die sinkende Tendenz der Irisch sprechenden Einwohner zu bremsen. Schilder, Amts– und Straßennamen wurden mit der englischen sowie der irischen Sprache beschriftet. In den Schulen wird in der eigentlichen Landessprache unterrichtet. Eine kleine Trendwende wurde damit zumindest geschaffen.
In Japan blieb die Sprachpolitik erfolglos
Die Förderung der gälischen Sprachen, wozu auch Irisch zählt, sind länderübergreifend. Denn auch Länder wie Schottland, Wales oder die Bretagne haben sinkende Zahlen, der die keltischen Dialekte sprechenden Bevölkerung zu verzeichnen und versuchen, diese Tendenz zu stoppen.
Ein drastisches außereuropäisches Beispiel ist die Sprache der Ainu. Dieses Volk lebt auf der Insel Hokkaido an der Nordspitze der japanischen Hauptinsel. Die Ainu unterscheiden sich ethnisch, kulturell und auch sprachlich von den Japanern. Ende der 1980er Jahre soll es nur noch 15 kompetente Ainu-Sprecher gegeben haben. Daher kann die Sprache als nahezu ausgestorben gelten. 1997 jedoch erließ Japan das Ainu-Gesetz, welches die Förderung und Unterstützung der Ainu-Sprache und des kulturellen Erbes dieses kleinen Volkes beinhaltete. Doch viele Sprachwissenschaftler fürchten, dass der Verlust dieser einzigartigen Sprache nicht mehr aufzuhalten sei ‒trotz der Bemühungen der japanischen Regierung.
Sprachimperialismus führt zum Sprachmord
Ein Großteil dieser Forscher sieht den Kulturimperialismus vieler großer Nationen des 19. Jahrhunderts als ausschlaggebend für das Sprachsterben an. Kleinere Völker wie die Ainu und die Iren sind folglich die Leidtragenden der Kulturdominanz großer Volksgruppen. Zu Recht sprechen viele von einem sogenannten „Linguizid“, einem „Sprachmord“.
Durch die stark ausgeprägte Dominanz des US-amerikanischen Englisch in Nordamerika stehen auch dort viele kleinere Ureinwohnersprachen vor dem Aussterben. Es handelt sich also nicht nur um ein Sprach-, sondern auch ein Kultursterben. Die Sprachgruppe des ehemals großen Stammes der Schoschonen, der in der mittleren USA beheimatet ist, gilt laut dem UNESCO Atlas of the World’s Languages in danger als stark bedroht. Denn es gibt nur noch ein paar tausend Menschen, die diese traditionsreiche Sprache sprechen. Doch bisher wurde kein landesweites Gesetz erlassen, welches das Sprachsterben indigener Völker verhindern könnte. Vor allem die Vereinten Nationen verabschiedeten eine Vielzahl internationaler Gesetze, welche die Rechte indigener Völker bewahren sollten. Ob sich die nationalen Regierungen daran zwangsläufig halten müssen, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Auch in Deutschland stirbt die Sprachvielfalt
Das Sprachsterben und auch das Dialektsterben bleiben jedoch nicht nur ein Problem kleinerer Völker und Kulturen. Denn auch in Deutschland ist der Dialekt rückläufig. Der starke Einfluss hochdeutscher Medien und die Mobilität der Bevölkerung vermischen die verschiedenen Dialektvarianten. Daher gibt es einen starken Rückgang aller gesprochenen Dialekte in Deutschland. So wurden 2009 13 deutsche Regionalsprachen, darunter auch Kölsch und Bairisch, von der UNESCO als vom Aussterben bedroht gemeldet.
200 Sprachen sind demnach während der letzten Generationen ausgestorben, etwa 1.700 sind ernsthaft gefährdet, etwa 600 werden kaum noch gepflegt. Der stellvertretende Direktor des „Living Tongues Institute“ für bedrohte Sprachen in Washington, Robert Harris, erklärte: „Wenn wir eine Sprache verlieren, verlieren wir Jahrhunderte menschlichen Denkens über Zeit, Meerestiere, Rentiere, essbare Pflanzen, Mythen, Musik, das Unbekannte und das Alltägliche.“ Stirbt eine Sprache, dann verschwindet weitaus mehr als ein paar Vokabeln.
Bild: Zweisprachiger Wegweiser in Irland /flickr.com /wolfgangplusk /CC BY-NC-ND 2.0
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