Ok

En poursuivant votre navigation sur ce site, vous acceptez l'utilisation de cookies. Ces derniers assurent le bon fonctionnement de nos services. En savoir plus.

dimanche, 30 août 2015

Sombart und das „ökonomische Zeitalter”

sombartbefb8c153_L.jpg

Sombart und das „ökonomische Zeitalter”

von Carlos Wefers Verástegui

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der Nationalökonom und Soziologe Werner Sombart war nach Karl Marx und noch vor Max Weber der erste begriffsprägende Erforscher des modernen Kapitalismus.

Beinahe alles, was wissenschaftlich zu diesem Thema geliefert wird, fußt direkt oder indirekt auf Sombarts Ringen, Wesen, Werden und Gestalt des Kapitalismus zu erfassen. Heute ist der Begriff „Kapitalismus“ zu einem Allgemeinplatz verkommen, dem man Sombarts unermüdliches Streben um Klärung nicht mehr ansieht.

Ein „Wegbereiter des Nationalsozialismus“?

Obwohl Sombart sich eine ihn auszeichnende Unabhängigkeit als Kritiker der Zeit zu bewahren wusste, sind seine Zurechnung zur „Konservativen Revolution“ sowie seine in offene Opposition endende Tuchfühlung mit dem Nationalsozialismus seinem menschlichem und wissenschaftlichem Erbe zum Verhängnis geworden: Als „Wegbereiter des Nationalsozialismus“ – eine Brandmarkung, die Wesen und Werk dieses außergewöhnlichen Menschen nicht gerecht wird – ist Sombarts verdienstvoller Name für alle Zeiten kompromittiert.

Dabei sind seine wissenschaftlichen Vorschläge und Forschungsergebnisse von ungebrochener Aktualität. Sombarts Analyse, sowohl des Kapitalismus als auch des Sozialismus, führte ihn nämlich zur Darstellung des „ökonomischen Zeitalters“, welches (immer noch) das unserige ist.

Wissenschaftler und Konservativer

Dass Sombarts Ausführungen gegenüber denen Webers ins Hintertreffen geraten sind, liegt nicht zuletzt an Sombarts eigner geistiger und politischer Entwicklung, die nicht nach dem Geschmack unserer auf politische Makellosigkeit versessene Gegenwart ist: Ausgehend von der Historischen Schule der Nationalökonomie stand Sombart in seinen Anfängen unter dem Einfluss des Marxismus, zu dessen Revisionismus er entscheidend beitrug.

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wandte sich Sombart vom „proletarischen Sozialismus“, wie er den Marxismus später nannte, ab, um schließlich in der Sozialwissenschaft einen betont „geistwissenschaftlichen“ Standpunkt zu vertreten. Auch politisch tat sich die Abkehr vom Marxismus in einem zunehmenden Konservatismus kund, der Sombart methodisch wie menschlich in die Nähe Othmar Spanns brachte.

Von diesem unterschied sich Sombart allerdings im Temperament durch größere Gelassenheit und feine Ironie. Auch aus Sombarts Eintreten für eine strikte Trennung von Wissenschaft und Metaphysik ist, trotz seiner Anknüpfung in einigen Punkten an Spanns Ganzheitslehre, ganz klar seine persönliche Unabhängigkeit und Gelassenheit als Wissenschaftler zu erkennen.

Zersetzung der mittelalterlichen Einheit und bürgerlicher Geist

In Auseinandersetzung mit einseitigen materialistischen, ökonomischen, sowohl „bürgerlichen“ als auch „sozialistischen“, naturalistischen Interpretationen, erkannte Sombart die geistigen Grundlagen des ökonomischen Zeitalters: Das Aufkommen der spezifisch „modernen“, westlichen (im Gegensatz zur deutschen), nominalistisch-​naturalistisch-​naturwissenschaftlichen Denk– und Betrachtungsweise der gesellschaftlich-​geschichtlichen Welt.

Nach Sombart, der hier Max Scheler folgt, wurde diese „Verweltlichung“ des Wertens und Wissens in der modernen Weltanschauung durch die Zersetzung der auf Transzendenz, überpersönliche Verbände und (geistige) Gemeinschaften gerichteten „organischen“ Kultur des Mittelalters bewirkt. Dieser Entwicklung entspricht wissenssoziologisch der, nach Sombart unter jüdischem Einflusse zu Stande gekommene „bürgerliche Geist“ mit seiner vornehmsten Schöpfung, dem neueren individualistischen Naturrecht.

Die Rolle der „Volksgeister“

sombart344_BO1,204,203,200_.jpgWiewohl Sombart überhaupt den Einfluss eines säkularisierten Judentums für das Aufkommen von Kapitalismus und Sozialismus hoch anschlägt, so führt er doch nie beide kausal, d.h. schlechthin auf das Judentum zurück. Nur sei das spezifische Gepräge des modernen Kapitalismus wie des modernen Sozialismus „den Juden“ bzw. dem „jüdischen Geist“ zu verdanken, wobei Sombart übrigens letzteren – wie überhaupt alle „Volksgeister“ – von seiner leibseelischen Grundlage für ablösbar und sogar für übertragbar hält.

In diesem Sinne äußert sich Sombart des Öfteren über den „westlichen Geist“, der sich im deutschen Sprachraum betätigt, bzw. über den Unterschied eines „deutschen Denkens“ zum „Denken der (einzelnen) Deutschen“ – eine Unterscheidung die, zugespitzt im „Proletarischen Sozialismus“ (1924), beim französischen liberalen Soziologen Raymond Aron Befremden erzeugte.

 Das „ökonomische Zeitalter“

Die „Zersetzung des europäischen Geistes“ sowie die Anschauungen eines jede Transzendenz verneinenden sozialen Naturalismus brachten Ende des 18. Jahrhunderts schließlich den „ökonomischen Geist“ mit dem dazu gehörigen alleinigen Wertmaßstab des Ökonomischen hervor. Obwohl das ökonomische Zeitalter durch den Kapitalismus erst so richtig eingeläutet wurde, beschränkt es sich mit Nichten auf kapitalistische Grundlagen und Kulturphänomene:

Die Maßlosigkeit, die kindliche Begeisterung aller von unternehmerischem Geist angesteckten Menschen für Größe und Schnelligkeit und überhaupt „Entwicklung“, die Neuerungssucht, bezeichnen den verflachenden, seelisch vertrockneten und in seinem Gemüt verkrüppelten repräsentativen Typus dieses Zeitalters. Kapitalismus und Sozialismus verneinen die den Menschen haltgebenden, altüberkommenen sozialen Gebilde und Ordnungen, beide sind an der Entgottung der Welt und an der ökonomischen Ent– und Umwertung gleichermaßen beteiligt.

Politisch wirkt sich das in einer Indifferenz des Ökonomischen gegenüber den Staatsformen aus. Es wird nämlich grundsätzlich diejenige bevorzugt, in der es mehr zum Tragen kommt, und das können jeweils sehr verschiedene Regime sein. „Demokratie“ im ökonomischen Zeitalter bedeutet z.B. für Sombart deshalb lediglich die „Legalisierung des Kuhhandels“ zu Gunsten des Ökonomischen bzw. daraus abgeleitet, des industriellen Verbandswesens oder politischer Cliquen.

Sinnlosigkeit der ökonomischen Existenz

Wichtiger als die Darstellung politischer Zustände ist Sombart die „Anthropologie“ des verwirtschaftlichten Menschen. Stumpf gegenüber allen höheren Werte und Seinsformen, ist sein Dasein in seiner Ergriffenheit von technischem Fortschritt und Wirtschaftsbilanz ein sinnloses. Dafür ergötzt sich der moderne Mensch an vor allem sportlichen Wettkämpfen („Sportismus“), überhaupt begehrt er Kollektivvergnügungen und allerlei technische Spielereien, die sein Leben bequemer, unterhaltsamer und angenehmer machen sollen. Sombart sieht die Menschen einem „praktischen Materialismus“, dem Komfortismus ergeben, der „den ganzen Volkskörper zum faulen bringt“.

Der Komfortismus vereinheitlicht die an sich schon angeglichenen Menschen nur noch mehr, so dass Kapitalist und Sozialist, arm und reich, klug und dumm, Fachmensch und Ungelernter nur verschiedene Seiten eines einzigen öden Menschentums bezeichnen. Weltanschaulich steht diesem Krüppel die Naturwissenschaft mit ihren für das praktische Leben zu Erfolgen münzenden Erkenntnissen zur Seite. Dadurch werden auf der einen Seite Stumpfsinn und Unglaube gefördert bei gleichzeitiger Überintellektualisierung, auf der anderen aber die Fähigkeit vernichtet, sich Urteilen aus zweiter Hand zu erwehren.

Vorläufer der Postmoderne?

Aus dieser Analyse des Menschen des ökonomischen Zeitalters wird ersichtlich, wie flüssig der Übergang von Kapitalismus zu Sozialismus, im Gegensatz zur Klassenkampftheorie von Marx, ist. Ebenfalls nimmt Sombart die Diagnose späterer Kritiker des „social engineering“ und „social management“ vorweg. In seinem wissenssoziologischen Aufsatz „Weltschauung. Wissenschaft und Wirtschaft“ (1938) übertrifft Sombart an Klarheit und Weite der Problemstellung den Philosophen der Postmoderne, Jean-​François Lyotard: In der Nachforschung der Frage, welchen Stellenwert das Wissen bzw. die Wissenschaft in der Gesellschaft hat, und welches ihr „Wesen“ ist, ist Lyotard Sombart gegenüber als ein Verspäteter zu bezeichnen.

Ein hervorstechender Zug in Sombarts Arbeiten ist die pädagogische Sorge und Behutsamkeit, mit der er sich vor allem an die (akademische) Jugend wendet. In diesem Sinne wies er wiederholt auf die „Unhaltbarkeit der älteren liberalistischen Theorie“ hin, da ja die ökonomische Realität diese längst eingeholt habe. Deshalb warnte Sombart schon früh vor einem wissenschaftstheoretischen Rückfall in den Liberalismus: Die bloße Gesinnung und Oppositionsstellung der jungen Generation reiche bei Theorielosigkeit, dem Ausbleiben einer längst notwendigen Wissenskultur, vor allem bei fehlender eigener methodologischer Forschung nicht aus, dem theoretisch wohlgerüsteten dastehenden Gegner, dem Neoliberalismus, Einhalt zu bieten.

Diese Worte Sombarts nehmen sich nach fast achtzig Jahren wie eine düstere Prophetie aus, denn sie betreffen nicht nur Sombarts Fachgebiet, sondern das gesamte kulturelle Leben, die gesamte Bildungsarbeit. Schließlich sind sie immer noch vom Wirtschaftlichen her bestimmt und stehen ohne eigenes Statut, im kultur– und bildungslosen Raume da.

Les commentaires sont fermés.