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vendredi, 20 mai 2016

Ein germanophiler Traditionalist

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Ein germanophiler Traditionalist

von Carlos Wefers Verástegui

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der spanische Journalist, Politiker und Redner Juan Vázquez de Mella y Fanjul (18611928) war einer der bedeutendsten katholischen Apologetiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass die bis dahin verstreut, neben– und sogar gegeneinander existierenden legitimistischen, klerikalen und antiliberalen Strömungen im „Traditionalismus“ ein gedanklich durchgebildetes, einheitliches System erhielten. Politisch immer noch interessant sind Mellas gewagte Gegenwartsdiagnosen und Prognosen.

Katholische Zivilisation als Gegenentwurf zur Moderne

Mella war kein Soziologe oder Geschichtsphilosoph von Fach. Trotzdem hat er bedeutende Lehrstücke zu beiden Disziplinen geliefert. Seine eigentliche Spezialität war die politische Theologie: Innerhalb eines spezifisch christlichen Geschichtsbildes als analytischem Rahmen vollzieht sich die systematische Kulturkritik der Moderne, der konsequent die „katholische Zivilisation“ entgegen gestellt wird.

Die Moderne wird dabei dialektisch auseinandergesetzt und destruiert. Die politisch-​theologische Methode ermöglicht die Vorauskonstruktion kommender Ereignisse. Eines ihrer Mittel ist die „ideologische Ableitung“. Das ist die Ableitung des Geschichtsverlaufs aus den in der Geschichte wirksamen Ideen, den richtigen wie den irrigen. Der Darstellung der sich aus diesen Ideen ergebenden notwendigen Konsequenzen liegt bei Mella eine in sich schlüssige Geschichtslogik zugrunde: Ist erstmal der Weg in die entsprechende Richtung eingeschlagen, nehmen die Ereignisse mit äußerster Folgerichtigkeit ihren Lauf. Die Freiheit besteht für den Menschen darin, nun diesen ersten Schritt zu tun, zwischen Wahrheit und Irrtum zu wählen, zu irren oder richtig zu liegen.

Wahr oder falsch

Genauso, wie die ganze irrende Menschheit, sind auch ihre Führer mit Blindheit geschlagen und wissen nicht, was sie tun. Der dogmatische und, mit ihm, politische und auch soziale Irrtum, ist die Wurzel allen geschichtlichen Übels. Diese radikale Gegenüberstellung von Wahrheit und Irrtum, richtig oder falsch bei Mella, lässt keine Vermittlung, also keine der heute so beliebten Grauschattierungen, zu: Sie zwingt jeden zu einer klaren Stellungnahme in der Wirklichkeit.

Für Mella stand die soziopolitische Wirklichkeit seit den Tagen der Französischen Revolution permanent unter Spannung. Diese kann sich nur in Konflikten entladen und führt, aller Vorsicht und selbst gegenteiliger Bemühungen zum Trotz, zur Katastrophe. Mellas Reden und Artikel der ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts beinhalten daher unzählige treffende Voraussagen des Spanischen Bürgerkriegs (19361939). Gerade weil Mella seine Gegenwart realistisch, d.h. illusionslos, betrachtete, konnte er die Entwicklung vorwegnehmen.

Mellas Werdegang vom Liberalismus zum Karlismus

Mella war Traditionalist aus Überzeugung: nicht eine etwaige Familientradition, sondern Ideen waren es, die ihn zum Traditionalismus geführt hatten. Geboren im nordspanischen Asturien als Sohn eines Offiziers und liberalen Demagogen sowie einer strenggläubigen Katholikin stand Mella zunächst unter dem Einfluss der väterlichen liberalen Anschauungen. Früh bemerkte der Vater das Redetalent seines Sohnes: Er übte den kaum Zehnjährigen darin, in der Öffentlichkeit liberale Standreden zu halten. Nach dem Tod des Vaters zogen Mutter und Kind zu Verwandten in das benachbarte Galicien.

Dort kam es auch zur ersten Kontaktaufnahme Mellas mit dem spanischen Legitimismus und Royalismus, dem Karlismus. In der galicischen Hauptstadt Santiago de Compostela war die Kirche, trotz der siegreichen liberalen Revolution, noch immer die stärkste Macht und karlistisch eingestellt. Auch waren in Galicien die Anhänger des legitimistischen Thronanwärters Don Carlos von Bourbon („Karl V.“), die Karlisten, sehr zahlreich. Die traditionalistischen Einflüsse, die vom Karlismus ausgingen, haben Mella die Richtung gegeben.

Die Wende zum Karlismus vollzog sich während seines Jurastudiums in Santiago de Compostela. Mella war kein guter Student. Die trockene Materie missfiel ihm sehr, so dass er die geringste Zeit und Kraft aufwendete, um die Examina zu bestehen, mehr nicht. Mella nutzte seine Zeit lieber zum Selbststudium der Philosophie, Theologie, Geschichte und Literatur. Dadurch erlangte er eine universelle Bildung. In Theologie und Philosophie brachte er es sogar zu einem echten Fachwissen.

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Parlamentarier wider Willen

Wie ein Schwamm nahm er die Lehren und Prinzipien der spanischen Konterrevolution in sich auf, vor allem Donoso Cortés. Weitere Anregungen empfing er vom spanischen Traditionalisten und Literaturkritiker Marcelino Menéndez Pelayo. Aufgrund seiner universellen Bildung und seiner Redebegabung wurden, trotz der mäßigen Noten, seine Lehrer auf ihn aufmerksam: dank ihrer Förderung und mit kirchlicher Unterstützung konnte Mella Artikel und Kritiken in verschiedenen traditionalistischen Medien veröffentlichen.

Dabei bestach Mella durch seinen Rednerstil sowie seine scharfe Dialektik. Mellas Beredsamkeit drang bis zur karlistischen Führung durch: der Marquis von Cerralbo nahm sich seiner an, so dass er von nun an als Chefpropagandist der Sache Don Carlos („Karl VII.“) diente. 1891 stellten die Karlisten Mella als ihren Kandidaten für den Wahlbezirk Valls in Katalonien auf. 1892 schaffte es Mella in das Parlament, diesmal als Abgeordneter von Aoiz, im ehemaligen Königreich Navarra.

Von 1892 bis 1919 – mit einer Unterbrechung von 1900 bis 1905 – war Mella karlistischer bzw. traditionalistischer Parlamentarier, sehr zu seinem Unwillen. Er war geschworener Feind des Liberalismus, den er in seinem eigenen Heiligtum, dem Parlament, aufs heftigste bekämpfte. Mella war für keine Zusammenarbeit zu haben, was ihm Kritik und Missmut von liberal-​konservativer Seite zuzog. Die gemäßigten, katholischen und christlichen Liberalen, die „vermittelnden Parteien“, lehnte er genauso ab, wie die radikalen und antiklerikalen Liberalen.

Mella im Exil

Von 1900 bis 1905 befand sich Mella, halb freiwillig, im Exil: als Chefpropagandist wurde er für den Aufstand katalanischer Karlisten verantwortlich gemacht und polizeilich gesucht. Zuerst floh Mella nach Portugal, danach lebte er zurückgezogen in seiner galicischen Heimat. Nach dem Ersten Weltkrieg trennte sich Mella vom legitimistischen Thronanwärter Don Jaime (Jakob III.). Mit der ganzen spanischen Öffentlichkeit hatte der Weltkrieg auch die Karlisten in die beiden Lager der „aliadófilos“ – d.h. die Anhänger Frankreichs und Englands – und „germanófilos“ – die Befürworter Deutschlands und Österreich-​Ungarns – gespalten.

Mit fast der gesamten karlistischen Führungsriege war Mella „germanófilo“, im Gegensatz zum Thronanwärter, der Frankreich und England bevorzugte. Dieser setzte die gesamte deutschenfreundliche Führung ab, was zur Abspaltung der sogenannten „Mellisten“ vom Karlismus führte.

Keine Reaktion, sondern Wiederanknüpfen an die Tradition

Trotz seiner politischen Heimat im Legitimismus steht Mella in der viel großartigeren Tradition der christlichen Staatsphilosophie. In einzigartiger Weise nahm er die Lehren der Schule von Salamanca, namentlich Francisco de Vitoria und Francisco Suárez, in sich auf. Diese verarbeitete er auf originelle Weise, indem er sie in Verbindung mit den Thesen des Reaktionärs Donoso Cortés brachte. Mellas Traditionalismus ist kein bloßer Gegenentwurf zur Praxis und Theorie des Liberalismus. Er ist keine „Gegennachahmung“, keine bloß konterrevolutionäre Chiffre für „Absolutismus und Reaktion“: er bezeichnet vielmehr das bewusste Wiederaufsuchen und Anknüpfen an eine nationalspanische Tradition politischen Denkens.

Diese war über den Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts verloren gegangen. Im 19. Jahrhundert war sie den Legitimisten, die eigentlich die Verteidiger der Tradition sein sollten, verdächtig geworden: die Liberalen hatten sich ihrer bemächtigt und dreist für liberalen Konstitutionalismus ausgegeben. In dieser missbräuchlichen Form benutzten sie sie in ihrem Kampf gegen das absolutistische Ancien Régime, nur um ihren eigenen Absolutismus zu befördern.

Mellas „Traditionalismus“ ist ein dreifacher: „Traditionalismus“ im strengen Wortsinn, als organisches Anknüpfen und Fortbilden des bereits positiv Überlieferten bzw. dessen Wiederherstellung. An diesen schließen sich ein christlich-​naturrechtlicher Traditionalismus sowie ein soziologischer Traditionalismus an, die beide aristotelisch-​thomistischer (scholastischer) Provenienz sind. Bei Mella bleibt es aber nicht bei abstrakten Ordnungsprinzipien rein normativer Art, wie sonst in der Scholastik üblich. Diese Prinzipien müssen auch menschlich, geschichtlich sowie gesellschaftlich wirklich sein.

In diesem Sinne genießt die Tradition als die Zeiten übergreifende Verwirklichung des Volksganzen und universeller Konsens einen Vorzug gegenüber der vom zeitlosen hierarchischen Prinzip dargestellten Ordnung. Auch gegenüber dem Willen der jeweiligen Gegenwart ist das Recht der sich darstellenden Ganzheit grundsätzlich höher anzuschlagen: die gegebene und gebotene Naturnotwendigkeit, die die Menschen veranlasst, sich zwecks Bildung des geselligen Zustands zusammenzuschließen, besitzt einen höheren Stellenwert, als Willkür und Belieben des Individuums. Das schließt jede numerische Willensbildung (Demokratie) wie auch jeden deliberativen Prozess der Willensfindung (Liberalismus) als Quellen der Legitimität aus.

Permanenz und Fortschritt

Aus dem Traditionalismus erklärt sich Mellas Streiten für Permanenz: nur da, wo sich geschichtlich etwas bewährt hat und fortbesteht, kann es auch Fortdauer, Stetigkeit und Ständigkeit geben. Die Prämisse jeden echten Fortschritts ist deshalb Entwicklung aus der Tradition. Die Tradition, die selbst in der Entwicklung steht, bezeichnet das Wesen dieses echten Fortschritts: Anknüpfen und Weiterspinnen des geschichtlichen Fadens auf dem Grunde der Permanenz.

Die „Tradition“ Mellas ist, soziologisch gesprochen, die gesellschaftliche Dynamik, die die gesellschaftliche Statik – die in den gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen verwirklichten göttlichen Schemata und natürlichen Ordnungsprinzipien – umflutet, nährt und zur Entfaltung bringt. Dass Mellas „Traditionalismus“ von daher kein bloßer monarchischer Absolutismus ist, wird aus der Begründung der Gesellschaft klar, die Mella von Francisco Suárez nimmt: Gegenüber dem Staat ist die ganze Gesellschaft ursprünglich. „Gesellschaft“ begreift Mella nicht liberal-​individualistisch atomistisch, sondern als gegliedertes und in sich selbst hierarchisch abgestuftes Volksganzes. Die Gesellschaft ist „organisch-​demokratisch“, d.h. in ihr ist das Volk als Ganzes ursprünglich.

Von daher steht es auch selbstbestimmt und souverän den politischen Gewalten des Staates gegenüber. Dieser ist als Rechtsbewahrer mit schiedsrichterlichen und organisatorischen Aufgaben betraut. Er hat nur da unterstützend oder stellvertretend einzugreifen, wo die Tätigkeit der gesellschaftlichen Verbände und Klassen von allein nicht ausreicht oder ein Streit zu schlichten ist (Subsidiaritätsprinzip). Zu den arteigenen Aufgaben des Staates gehören die Verteidigung nach innen und außen, sowie die Oberleitung des Ganzen im Sinne des Gemeinwohls.

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Ablehnung des Parlamentarismus

In der Gesellschaft und durch die Gesellschaft soll der Mensch als Angehöriger seiner jeweiligen Gemeinschaften sowie nach Maßgabe seiner natürlichen Fähigkeiten und Eigenschaften sich möglichst frei entfalten und vervollkommnen. Im Gegensatz zur individualistischen Demokratie des Liberalismus ist das in der Gesellschaft begriffene Volk nicht aus sich selbst heraus souverän.

Mellas Auseinandersetzung mit dem liberalen Parlamentarismus, seinen Widersprüchen, Halbheiten und Wirrnissen, steht in nichts der seines Zeitgenossen Georges Sorel nach. Ganze Passagen seiner Reden und Artikel erinnern stark an die Gewaltmaximen des französischen revolutionären Syndikalisten, z.B. wenn Mella bekennt, dass er die in ihrer Gewalttätigkeit absurde Konsequenz der streikenden Arbeiter den Schwankungen der Parlamentarier („diesen dekadenten Byzantinern“) gegenüber bevorzuge.

Mella lehnte überhaupt den Parlamentarismus ab, weil dieser systematisch die Verantwortung weiterschöbe und auf andere abwälzte, bis von ihr nichts als die Verhöhnung des „unglücklichen Stimmviehs“ übrig bliebe. Er versprach sich zudem nichts von Kompromissen. Als gläubiger Katholik und Geschichtskenner stand er der Gegenwart zu nüchtern gegenüber, als dass er an eine friedliche Lösung der sozialen Probleme seiner Zeit glauben konnte. Darum befürwortete er nicht nur die Gewalt, sondern erwartete geradezu, dass der Anreiz zu ihrer Anwendung von den Revolutionären, den Anarchisten und Sozialisten käme.

Die Dialektik der Ereignisse begriff Mella dabei als göttliches Strafgericht: es sind Gottesurteile, welche sich nach Art einer „Lotterie“ über die Nationen vollziehen. Die Teilnahme aller an dieser „Lotterie“ ist Zwang, und kein Los bleibt aus. Aus den Sünden und Nachlässigkeiten der Völker ergibt sich, als verdiente Strafe, das Ausbleiben rettender großer Staatsmänner. Und, umgekehrt, gibt es keine Tugend, keine Tüchtigkeit und kein Verdienst, die nicht irgendwie ihre Belohnung erhielten.

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Der liberale Staat systematisiert den Bürgerkrieg

Besonders widerwärtig war Mella die Gleichgültigkeit des liberalen Staats gegenüber den verschiedenen Meinungen und Ansichten in der Gesellschaft. Da der Staat zugegebenermaßen die Wahrheit nicht kennt, muss er sie, will er konsequent sein, vollends in Abrede stellen. Der Idiotie und Ignoranz überführt, ist er dennoch nicht willens, seine Finger von der Bildung zu lassen. Für den Posten eines weltlichen Oberpriesters, den er für sich beansprucht, ist er alles andere als qualifiziert. Von daher ist es absurd, dass er die bürgerliche Gesellschaft in seinem Schoss beherbergen möchte.

Denn, wie Mella ausführt, da, wo es keine gemeinsamen Prinzipien gibt, kann es auch keine gemeinsamen Einrichtungen geben. Sind die Prinzipien für den Staat alle gleich, und feinden sich zudem noch gegenseitig an, befinden sich im Wettstreit, so hat er mit seiner Ordnung doch nur eins geschafft: er hat den Bürgerkrieg systematisiert und damit die Wahrheit neutralisiert.

Die sich aus dieser Operation ergebende intellektuelle Anarchie verwirrt und scheidet die Geister noch mehr: durch die Unzahl von Ansichten und zerstückelten oder absonderlichen Lehren werden die Menschen unaufrichtig und schwächlich. Zuletzt verderben über den Unglauben auch noch die Gemüter, so dass, wenn die Revolution ausbricht, die Revolutionäre nicht auf ein Lager gewappneter Kreuzritter, sondern auf Klageweiber und blökende Schafe treffen.

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