lundi, 10 août 2020
China: Zwischen Neuer Weltordnung und Neuer Seidenstraße
China: Zwischen
Neuer Weltordnung
und Neuer Seidenstraße
von Alexander Markovics
Kaum ein Land fasziniert und polarisiert westliche Beobachter heute so sehr wie China. In den Augen des Westens ist China eine totalitäre kommunistische Diktatur, dass durch seine mustergültige kapitalistische Wirtschaft nun dazu in der Lage ist, autoritäre Regierungen auf der ganzen Welt zu unterstützen. Gleichzeitig ist der Westen aber von ihm wirtschaftlich und nun auch zunehmend technologisch abhängig, Stichwort 5G. Doch wie kam es dazu, dass dieses Land, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der ärmste Staat der Welt war heute eine Wirtschaftsmacht sondergleichen werden konnte? Und wie gefährlich ist Peking wirklich? Droht Europa die „Gelbe Gefahr“ wie uns neokonservative Propagandisten in Bezug auf den Coronavirus und angebliche Weltmachtsambitionen glaube machen wollen?
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien und den Wirren des Bürgerkriegs zwischen Nationalisten und Kommunisten gelang es dem Land unter der Führung der Kommunistischen Partei Mao Zedongs, im Rahmen des von ihm propagierten Marxismus mit sinischen Charakteristiken, zur Atomwaffen besitzenden und blockfreien Macht aufzusteigen. Außenpolitisch orientierte sich China in dieser Periode an den Prinzipien des Antiimperialismus und schaffte es nicht nur dem Westen in Korea Paroli zu bieten, was zur bis heute andauernden Teilung des Landes führte, sondern auch zur Unterstützung zahlreicher kommunistischer Aufstandsbewegungen gegen die europäische Kolonialherrschaft in Afrika, was China bis heute großes politisches Renomee auf dem schwarzen Kontinent verschafft hat.
Die Idee einer blockfreien Bewegung, die sowohl vom Westen als auch vom sowjetkommunistischen Osten unabhängig sein sollte, verschafften dem kommunistischen China sogar in Europa eine gewisse Strahlkraft, wo nicht nur die Teile der radikalen Linken und Albanien sich an Peking zu orientieren begannen, sondern auch Proponenten eines genuin europäischen Sozialismus wie Jean Thiriart, die chinesische Unterstützung für den Aufbau einer europäischen Befreiungsarmee im Kampf gegen die USA suchten. Doch beseelt vom Wunsch China in Redkordtempo zu industrialisieren (Großer Sprung nach Vorne) und eine Verbürgerlichung und Erstarrung des Kommunismus im eigenen Land zu verhindern (Kulturrevolution) brachte Mao das Land an den Rand eines neuen Bürgerkriegs, verschlimmerte oder bescherte ihm (je nach Perspektive) eine katastrophale Hungersnot und sorgte für einen kulturellen Genozid an Chinas jahrtausendealter Kultur.
Auch die Sowjetunion beäugte diese Ereignisse kritisch und entzog China sogar die zugesagte Hilfe beim Aufbau eines eigenen Atomprogrammes. Das daraus hervorgehende Chinesisch-sowjetische Zerwürfnis führte zu einem innerkommunistischen Kalten Krieg, der auch von Einkreisungsängsten Chinas hinsichtlich der UdSSR und einer Kritik am aus pekinger Sicht zu laschen Kurs Moskaus gegen den Westen getrieben war, der schließlich den USA zu gute kam. Nach Maos Tod kam es zu einer Revolte des pragmatisch orientierten Parteiflügels gegen die Thronfolger Maos. Aus dieser ging der dem konservativen Flügel der chinesischen KP angehördende Deng Xiaoping siegreich hervor und schaffte es das Land nach den Schrecken der Kulturrevolution wieder in die Normalität überzuführen und das chinesische Wirtschaftswunder, welches China heute zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt machte, einzuleiten. Dazu schuf Deng zahlreiche Sonderwirtschaftszonen im Land, wo Formen der Marktwirtschaft abseits der kommunistischen Zentralplanung getestet werden sollten.
Dadurch wurde der Grundstein für Chinas Status als Exportnation und den technologischen Austausch mit dem Westen gelegt. Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung muss die derzeitige Führung der kommunistischen Volksrepublik unter Xi Jinping mitsamt ihrer geopolitischen Vorstöße gesehen werden. Obwohl sein Vater einer jener Parteikader war, die unter Maos Kulturrevolution in die Verbannung aufs Land geschickt wurden, ist es gerade Xi der die größte Machtfülle aller chinesischen Machthaber seit Mao besitzt. Als Präsident auf Lebenszeit ist ihm nicht nur die größte kommunistische Partei der Welt untergeordnet, sondern auch gleichzeitig die chinesische Volksbefreiungsarmee, die direkt auf die Partei, nicht etwa auf den Staat, vereidigt ist. Politisch sieht sich China selbst als „leninistische Marktwirtschaft“, die gewisse Aspekte des Kapitalismus unter Führung der kommunistischen Partei in ihre eigene Wirtschaft integriert. Was widersprüchlich klingen mag, widerspricht sich insofern nicht selbst, als das schon Marx den Kapitalismus als notwendige Voraussetzung für ein wahrhaft kommunistisches System erkannt hatte. Dies sieht man auch am Staatsapparat selbst, der von seinem Selbstbewusstsein her eindeutig kommunistisch ist und sich weiterhin zu Karl Marx und Lenin bekennt, dabei aber die Besonderheit des chinesischen Weges betont.
Kulturpolitisch versucht man sowohl Tradition und Moderne zu vereinen, was sich nicht nur in der Hinwendung zur konfuzianischen Philosophie, sondern etwa auch in einer Rehabilitierung der chinesischen Ahnenreligion, dem Shenismus, ausdrückt. Ein starker, staatlich geförderter Nationalismus hält das über eine Milliarde Einwohner zählende Land zusammen, was sich etwa auch darin ausdrückt, dass sich über 90% aller Chinesen zur Ethnie der Han bekennen. Geopolitisch verfolgt China mit der Neuen Seidenstraße ein in der Geschichte noch nie dagewesenes Infrastrukturprojekt. Das als „Ein Gürtel – eine Straße“ betitelte Projekt umfasst mehr als 60 Länder in Afrika, Asien und Europa. Der geplante Wirtschaftsgürtel folgt dabei dem Verlauf der antiken Seidenstraße, wohingegen die (maritime) Straße durch die Häfen Südostasiens, Indiens und Afrikas bis in die Levante und das Mittelmeer verläuft. Was insbesondere für Europa und Afrika nach einer großen Chance für engere wirtschaftliche Beziehungen mit China klingt, ist für die USA der reinste Alptraum.
Seit Admiral Halford Mackinder seine Herzlandtheorie Anfang des 20. Jahrhunderts dargelegt hatte, versuchen sie ein Zusammenwachsen der Eurasischen Halbinsel zu verhindern und genau das wird durch das chinesische Projekt letztlich erreicht. Denn China intensiviert im Zuge der seit 2013 laufenden Bemühungen um die Neue Seidenstraße nicht nur seine Beziehungen zu Russland und damit Eurasien, sondern sucht im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit den Farbrevolutionen der USA in Asien einen Riegel vorzuschieben und politische Lösungen auch mit dem Iran, Pakistan und dem Rivalen Indien zu finden. Dazu gehören auch Marinestützpunkte Chinas, wie am Horn von Afrika und ein Aufrüsten seiner Streitkräfte. Den intellektuellen Unterbau für dieses ganz Eurasien umfassende Integrationsprojekt liefert der aus Guangdong stammende und in Peking lehrende Philosoph Zhao Tingyang. In seinem 2005 auf chinesisch und 2020 in deutscher Übersetzung erschienenem Buch „Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung“ legt Zhao die Grundlage eines Gegenuniversalismus, der ausgehend vom Konzept des tianxia (Alles unter einem Himmel), dem „Miteinander der zehntausend Völker unter einem Himmel“ der chinesischen Antike, das friedliche Zusammenleben und die Kooperation der Völker auf der Erde gewährleisten soll.
Die Grundlage dabei bildet nicht wie im westlichen Liberalismus das Individuum, sondern die Sippe und das Volk. Dabei geht er nicht von der Bestimmung des Feindes als grundlegendem Merkmal des Politischen aus wie es vom Konservativen Revolutionär Carl Schmitt definiert wurde, sondern sieht der konfuzianischen Philosophie folgend die Kooperation zwischen den Menschen als das Wesen des Politischen an. Dabei kritisiert er den liberalen Kulturimperialismus und Demokratieexport des Westens scharf und fordert die USA dazu auf, es den verschiedenen Völkern selbst zu überlassen ihr politisches System zu wählen. Die gegenwärtige Außenpolitik sieht er als unzureichend an, da sie sich nur mit den aus seiner Sicht egoistischen Problemen der Nationalstaaten beschäftigen würde, dabei aber außerstande sei große Probleme wie etwa den Palästinakonflikt zu lösen.
Die gegenwärtige, von den USA geprägte Weltordnung sei in Wahrheit ein Chaos, daher fordert Zhao eine Weltpolitik, welche auf einer globalen Ebene dazu in der Lage ist Lösungen für politische Probleme, welche alle Völker betreffen, zu erarbeiten. Da die Globalisierung immer stärker die Defizite der internationalen Politik enthülle, tue neben der staatlichen und zwischenstaatlichen Politik eine Weltpolitik not, wobei er die Schaffung eines Weltstaates vehement ablehnt. Denn ohne Weltordnung drohe die Gefahr, so Zhao, dass Medien-, Finanz- und Hochtechnologiefirmen die Staaten Stück für Stück kidnappen würden, wodurch sich der Mensch selbst sein eigenes jüngstes Gericht schaffen würde. Angesichts dieser Ideen und der bisherigen Außenpolitik unter Xi Jinping braucht man vor dem neuen China keine Angst zu haben.
10:19 Publié dans Actualité, Affaires européennes, Eurasisme, Géopolitique | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : europe, asie, eurasie, eurasisme, affaires européennes, affaires asiatiques, chine, routes de la soie, géopolitique, politique internationale | | del.icio.us | | Digg | Facebook
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