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jeudi, 12 juin 2014

Die gepanzerte Gesellschaft

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Die gepanzerte Gesellschaft

Von Alexander Pschera

Ex: http://www.matthes-seitz-berlin.de

Die Wärmebildkamera zeigt die Umrisse des Körpers von Dzhokhar Tsarnaev. Er versteckt sich unter einer Plane in einem Boot. Das Boot steht in einem Garten in Watertown, einem Vorort von Boston. Das Ende der Geschichte kennen wir.

Die Wärmebildkamera durchleuchtet das Anorganische und spürt das Organische auf. Sie wird dort fündig, wo Leben ist oder kürzlich noch war. Ihr Prinzip ist die Trennung. Sie trennt Kalt von Warm und stößt so auf die Körper, zu deren Suche sie eingesetzt wird.
Trennung ist ein zentraler Bestandteil von Sicherheit. Zivilisierte Gesellschaften trennen, um in Sicherheit zu leben. Sie trennen Straftäter von Unbescholtenen, sie trennen Unzurechnungsfähige von Zurechnungsfähigen, sie trennen Demonstranten von Gegendemonstranten, sie trennen guten Müll von schlechtem Müll. Der politische Diskurs trennt gute Staaten von schlechten Staaten, gute Atomwaffen von schlechten Atomwaffen, gute Schulden von schlechten Schulden. Immer geht es dabei um die Ziehung von Demarkationslinien. Mit ihnen wird die Komplexität der Welt reduziert. Das wird der Welt vielleicht nicht gerecht, ist aber notwendig, um praktische Entscheidungen treffen zu können, um handlungsfähig zu sein, um andere Menschen zu motivieren.

Trennung ist ein zentraler Parameter jeder Sekuritätsstrategie. Aber Trennung hat drei Nachteile. Erstens verwischt sie inhaltliche Unterschiede: Die Wärmebildkamera findet tote und lebendige Körper. Zweitens operiert sie mit grundlegenden Annahmen, die sich als falsch erweisen können. Wenn man "Verrückte" in eine "Irrenanstalt" sperrt, dann liegt dieser Handlung eine Definition von "normal" zu Grunde, die anfechtbar ist. Ähnliches gilt für die Politik: Was ein "Schurkenstaat" ist, hängt von der politischen Ideologie ab, an die man glaubt. Drittens ist Trennung ein sekundäres Phänomen. Sie greift nicht auf Ursachen zu, sondern auf Wirkungen. Mit einer Wärmebildkamera hätten die Boston-Anschläge nicht verhindert werden können. Auch die Mülltrennung beugt der Müllerzeugung nicht vor.
Trennung kann daher nur ein Teil einer Sekuritätsstrategie sein. Sie benötigt ein Gegengewicht: Synthese. Das Erkennen von Bedrohungsmustern, die erst im Entstehen sind und die autonome Vorbereitung des bedrohten Systems auf eine Risikosituation müssen die Trennung flankieren. Das Wissen um das Potential und vor allem um die Struktur der Bedrohung erlaubt einen ursächlichen Ansatz. Hätten die ersten amerikanischen Siedler nur Forts mit hohen Palisaden gebaut und sich in ihnen vor den Indianern verschanzt, so wäre Amerika nie besiedelt worden. Sie haben dagegen versucht, mit den Ureinwohnern in Kontakt zu kommen und mit ihnen zu verhandeln. Oder sie haben sie mit Waffengewalt besiegt, was aber auch eine synthetische Leistung voraussetzte - das Verstehen ihrer militärischen Verwundbarkeit.

Das römische Reich dagegen ist an einer Hypostasierung der Trennung zugrunde gegangen. Der Limes konnte die Barbaren auf Dauer nicht aufhalten. Der synthetische Ansatz des römischen Denkens - Teilhabe an Wohlstand und Kultur, Bürgerrechte, Religionsfreiheit - galt nur diesseits der Demarkationslinie. Hätten die Römer ihn auf das Jenseits der Linie ausgedehnt, so wären zahlreiche Ressourcen, die in der Verteidigung der Linie gebunden waren, frei geworden. Zum anderen hätten die Römer mehr über das Jenseits, das heißt die Barbaren, gelernt, und dieses Wissen wiederum würde auf die Definition der Sekuritätsstrategie zurückwirken. Die Demarkationslinie wäre durchlässig.

Sicherheitsstrategien sind immer logische Fortsetzungen kultureller Situationen, aus denen sie entstehen. Die gepanzerte Gesellschaft wurzelt in einem Diskurs aus unaufgelösten Antinomien. Die Logik der Trennung ist auch hier vorherrschend. Die Entstehung einer Partei wie der AfD ist nichts anderes als eine radikale Abtrennung vom kritisierten common sense. Sie ist offensichtlich das Gegenteil von Synthese. Die Unfähigkeit zum synthetischen Denken zeigt sich auch im kulturellen Sektor: Technologie und Kultur werden  in einer harten Opposition gesehen, seitdem digitale Strukturen in den Bereich des Wissens und der Bildung eingedrungen sind. Die Technologie scheint Kultur existentiell zu bedrohen. Sie wird als barbarisch eingestuft. Viele sind daher der Meinung, man müsse sich für ein Diesseits des digitalen Limes entscheiden: für die Kontinuität des bildungsbürgerlichen Erbes und gegen die Anonymität des Netzes, für den Buchhändler und gegen Amazon, für Autorenrechte oder gegen Urheberanarchie.

Aber wer so denkt, lebt spätantik und im Angesicht des eigenen Untergangs. Denn der Zustand der stasis, der hier herbeigesehnt wird, ist nicht haltbar. Er endet notwendig in hypostasis. Hypostasierte Trennung führt zur Panzerung. SUVs und SWAT-Teams sind gleichen Ursprungs. Sie sichern durch ein unvertretbares Mehr an Aufwand und Ressourcen einen immer kleineren kontrollierbaren Bereich. Das gilt auch für den Naturschutz und für große Teile der Nachhaltigkeits-Bewegung. Das Denken in Biotopen ist ein ökologisches Beispiel für hypostasierte Trennung des Menschen von der Natur, die keine Annäherung bewirkt, sondern eine fundamentale Entfremdung dieses Menschen von dieser Natur nach sich zieht.
Nach dem Wirbelsturm Sandy kam die Idee auf, Manhattan mit einer 3 Meter hohen Seemauer zu umgeben. Die Idee ist solange gut, bis eine 4 Meter hohe Welle kommt. Dann schlägt die Trennung zurück: Das Wasser sammelt sich an und kann nicht mehr abfließen. Strukturell ist das vergleichbar mit der Sammelklage deutscher Buchhändler gegen Amazon. Das ist analoge Verpanzerung. Sie geschieht aus einem nachvollziehbaren emotionalen Sekuritätsimpuls heraus, verkennt aber die Komplexität und Disruptivität der Wirklichkeit. Sie erzeugt eine Insel der Seligen, die nur solange paradiesisch ist, bis 51 Prozent der Kunden lieber ebooks lesen. Ab diesem Moment ist sie verloren und dem Untergang ausgeliefert.
Das ist die fatale Logik der Hypostasis: Sie entkoppelt sich von der Realität. Sie schafft selbstbezügliche Systeme, die nur befristet störungsfrei sind. Die gepanzerte Welt ist nicht gerüstet für die Volatilität und Disruptivität der Welt, in der sie agiert und aus der sie nicht entkommen kann. Der synthetische Gegenentwurf zur Hypostasis lautet daher "Resilienz". Wir benötigen resiliente, fehlertolerante, widerstandsfähige und regenerative Systeme, die mit einer sich ständig und immer schneller verändernden Wirklichkeit interagieren. Diese Systeme müssen Muster erkennen, ihren eigenen Status und den ihrer Umgebung analysieren können und sie müssen so strukturiert sein, dass sie sich im Falle einer Krise neu organisieren können und nicht auf die Hilfe eines übergeordneten Systems warten müssen. Diese Systeme sind so aufgebaut, dass sie im Falle ihres totalen Zusammenbruchs nicht auch andere Systeme zerstören, die mit ihnen verbunden sind.

Resiliente Systeme können einzelne Menschen ebenso sein wie Unternehmen, technische Baugruppen, gesellschaftliche Schichten oder Naturausschnitte. Resilienz ist ein allgemeingültiges Prinzip der Dezentralisierung. Resilient sind Strategien zur Förderung lokaler Versorgungsketten, die eine gesunde Ernährung sicherstellen. Der Aufwand, der in eine perfekte Überwachung und Sanktionierung des Systems der zentralen Lebensmittelerzeugung gesteckt werden muss, um diese störungsfrei zu machen, ist nicht leistbar. Der Gedanke der Resilienz ist universell. Um zu diesem Systemen zu gelangen, reicht es daher nicht aus, einem monokausalen Reorganisationsgedanken zu folgen und eindimensionale Lösungen anzustreben, wie beispielsweise der Idee der Nachhaltigkeit. Die energieeffizienten Skyscraper in Manhattan waren die ersten, die mit Sandy untergingen. Sie hatten keine zusätzliche Stromversorgung. Monokausale ökologische Zukunftsstrategien, wie sie den kritischen Diskurs der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts charakterisierten, scheitern heute offensichtlich an der Unvorhersehbarkeit und Flüchtigkeit der Ereignisse.

Die Zeit ist gekommen für Entpanzerung. Nicht noch mehr Überwachungskameras in öffentlichen Räumen sind die Antwort auf die Anschläge von Boston, sondern eine geschärfte öffentliche Wahrnehmung gepaart mit Widerstands- und Regenerationsfähigkeit des sozialen Systems, das von den Attacken getroffen wird. Was das konkret bedeuten kann, las man in den letzten Tagen in vielen Blogs aus Boston, in denen Menschen ihren Willen kundtaten, sich vom Terror nicht unterkriegen zu lassen und die den Spirit of Boston beschwörten. So gelang es ihnen, andere zu motivieren, den Mut nicht aufzugeben. Die Blogs wurden zu einem Netz sozialer Regeneration. Wir müssen also vor allem lernen, uns der katastrophalen Welt anzupassen und aufhören, sie zu bekämpfen. Das ist die Logik der Resilienz.

 

00:05 Publié dans Philosophie | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : alexander pschera, philosophie, allemagne | |  del.icio.us | | Digg! Digg |  Facebook

mercredi, 10 avril 2013

Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung?

Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung?

Ein Pariser Gespräch. Mit 60 Briefen von Ernst Jünger an Julien Hervier

Cover Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung?
 
Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung?
Ein Pariser Gespräch. Mit 60 Briefen von Ernst Jünger an Julien Hervier
Mit Abbildungen
204 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

2 Abbildungen
Aus dem Französischen von Dorothée Pschera
ISBN: 978-3-88221-538-0
Preis: 19,90 € / 28,90 CHF

Der Briefwechsel Ernst Jüngers mit seinem französischen Übersetzer Julien Hervier

›Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung?‹ versammelt 60 unveröffentlichte Briefe von Ernst Jünger an seinen Übersetzer Julien Hervier. Sie liefern bisher unbekannte Einsichten in Jünger kontinuierliche Arbeit am Text und geben faszinierende Einblicke in die Jünger-Rezeption in Frankreich. Ein ausführliches Gespräch zwischen dem Jünger-Kenner Alexander Pschera und Julien Hervier erkundet die Ursachen für Jüngers Erfolg in Frankreich, der mit der Aufnahme von Jüngers Texten in die Bibliothèque de la Pléiade seinen Höhepunkt gefunden hat. In diesem Gespräch wird deutlich, wie und warum Jünger die moderne Literatur in Frankreich beeinflusste, aber auch, was Jünger von ihr trennt. So ist das Gespräch auch ein Dialog über Frankreich und Deutschland.
 
 

Alexander Pschera bei Matthes & Seitz Berlin

Pressestimmen

»Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein neuer Briefwechsel das Bild Jüngers komplett ändert. Wohl aber vermag ein kleiner, schöner Briefband wie der von Matthes & Seitz das Bild durch persönliche und kenntnisreiche Kommentare zu verlebendigen.«
Jerker Spits, literaturkritik.de, Okotber 2012

»Der Verlag Matthes & Seitz kann sich damit rühmen, durch das Gespräch zwischen Pschera und Hervier eine Menge Hintergründiges über Jünger zutage befördert zu haben.«
Markus L. Kerber, Europolis, Juli 2012

"Alles in allem stellt das Bändchen ein Lesevergnügen dar und kann so als faszinierendes Einführungsbuch zu Jünger dienen."
Till Kinzel, Informationsmittel, Juni 2012

"Derartige, über fünfundzwanzig Jahre geführte Korrespondenzen zwischen Autor und Übersetzer sind ebenso selten wie kostbar."
Bernhard Gajek, Germanistik 53, 2012

 

vendredi, 29 mars 2013

Jünger und Frankreich

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07.04.2013
11:00
Kloster Heiligkreuztal

Jünger und Frankreich – eine gefährliche Begegnung?

Symposium des Freundeskreises der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger
 
Julien Hervier und Alexander Pschera diskutieren anläßlich ihres gleichnamigen Buches auf dem Symposium des Freundeskreises der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger über »Jünger und Frankreich – eine gefährliche Begegnung?«
 
Veranstaltungsort:
Kloster Heiligkreuztal
Am Münster 7
88499 Altheim-Heiligkreuztal
Alexander Pschera
Alexander Pschera: Jünger und Frankreich - eine gefährliche Begegnung?