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dimanche, 03 mai 2015

Der vergessene Reaktionär

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Der vergessene Reaktionär

von Christoph Schmidt

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der Kolumbianer Nicolás Gómez Dávila ist einer der interessantesten reaktionären Denker. Nun erschien eine stark erweiterte Neuauflage der einzigen deutschsprachigen Dávila-​Monografie. Die Lektüre lohnt sich.

Zu verdanken ist das dem kleinen katholischen Lepanto Verlag: Er hat das erstmals im Jahre 2003 bei Edition Antaios erschienene Buch von Till Kinzel wieder aufgelegt.

Gestalterisch ungewöhnlich kommt dieses Buch daher: Das Format des vorliegenden Werkes ist ziemlich hochkantig ausgefallen und erschwert anfänglich das normale Umblättern. Nach einiger Zeit der Gewöhnung vermag jedoch das Format mit dem Inhalt eine Symbiose einzugehen. Die kernige Prägnanz des Textes harmonisiert mit der Haptik des Buches.

Ein Leben in Kolumbien

Prägnant ist auch der Einstieg: Der Literaturwissenschaftler und Historiker Till Kinzel liefert einige biografische Eckdaten und versucht Dávilas (1913 bis 1994) Wirken in einen historisch-​geografischen Kontext einzubetten. Dieser Passus ist merklich kurz gehalten. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Aphoristiker Dávila ein unaufgeregtes Leben im Kreise engster Bekannten geführt hat. Dávila nannte das „klarsichtig ein schlichtes, verschwiegenes, diskretes Leben führen, zwischen klugen Büchern, einigen wenigen Geschöpfen in Liebe zugetan.“

davila4b806f55eaf1e940407f0f7d_L.jpgDas wird auch dadurch deutlich, dass erst im Jahre 1954 das erste Mal etwas von Dávila veröffentlicht wurde – allerdings als Privatdruck. Dávila war davon anfänglich nicht begeistert. Er hat sich im Laufe seines Lebens kaum um die Verbreitung seiner Schriften bemüht. Kinzel orientiert sich an Dávilas Bemerkung, dass der Biograph nicht die Frage nach dem „Warum“ einer Person zu stellen, sondern vielmehr die Frage nach dem „Wie“ zu bearbeiten habe. Deshalb rückt er Dávilas Denken und Stil in dieser Monografie in den Vordergrund.

Doch Dávila war im großen Maße mit seinem Heimatland Kolumbien verbunden. Er war Zeit seines Lebens nur zweimal – in Form des Schulbesuchs in Paris und einer sechsmonatigen Reise durch Europa – im Ausland. Schlüssig arbeitet Kinzel das Verhältnis zwischen Land und Denker heraus und durchleuchtet Dávilas Beziehung zu seinen literarischen Kollegen. Dazu gehören beispielsweise der linksgerichtete Gabriel García Márquez und der langjährige Freund Álvaro Mutis.

Der reaktionäre Denker

Laut Kinzel zeichnet sich Dávilas Stil durch einen kurzen und elliptischen, also unvollständigen und verkürzten Ausdruck aus – eben ganz im Sinne eines Reaktionärs. Der Reaktionär besitzt nämlich kein geschlossenes System oder theoretisches Konstrukt. „Die Idee, die sich zu einem System entwickelt, begeht Selbstmord“, so der Kolumbianer. Dávila hat seine Meisterschaft im Aphorismus jedoch vielmehr als Glossen und Kommentare zu einem inbegriffenen Text aufgefasst. Sie würden quasi als Epilog zu einem nicht existierenden Werk fungieren.

Die Haltung des Reaktionärs zeichnet sich dadurch aus, dass er sich für die verlorenen Sachen einsetzt und als dessen Parteigänger handelt. Dabei war Gómez Dávila durchaus bewusst, dass die Kritik an der Moderne und einer fanatischen und dogmatischen Aufklärung kaum Gehör finden würde. Es gehe letztendlich darum, als Reaktionär würdig Schiffbruch zu erleiden. Dávila zeichnet sich vor allem dadurch aus, dem Leser die Fragwürdigkeit der globalisierten Welt vor Augen zu führen. Kinzel geht zudem auf Dávilas Vernunftbegriff und dessen Verständnis der Seele ein. Auch die ästhetische Grundauffassung und die Haltung zur Demokratie werden herausgearbeitet.

Vernunft und Ästhetik

Dávilas Denken beinhaltet einen reichen Strauß an Ideen, Vorstellungen und Einstellungen. Doch um jedweden Denker näher kennenzulernen, bedarf es immer zuerst einen Einblick in die Grundverständnisse desselben. Für Dávilas Denken ist vor allem seine Auffassung der Vernunft von Relevanz. Orientierungspunkt stellt bei ihm die sogenannte „Philosophia perennis“ dar. Sie beruft sich auf die Vernunft der klassischen Philosophie und hält an den bleibenden Thesen der abendländischen Philosophie seit Platon und Aristoteles fest.

Diese Auffassung ist jedoch nicht mit dem dogmatischen Vernunftbegriff der aufgeklärten Moderne gleichzusetzen. Daraus resultiert eine besondere Aufgabe der Philosophie bei Dávila – nämlich die Erkenntnis der Realitäten und die Wiederherstellung des Realitätsbezuges in der Gegenwart. Sie sei durch die Ideen der Moderne gleichsam gefährdet, die denkerische Systematisierung von Realitäten sei dagegen vernachlässigbar.

Besonders bemerkenswert bleibt Dávilas Bemühen um literarische Ästhetik. Kinzel dazu: „Sein Text gleicht einem Gemälde, zu dessen angemessener Entschlüsselung zweierlei nötig ist: genaue Betrachtung der einzelnen Farbpunkte (d.h. der einzelnen Sätze), aber auch ein Zurücktreten von dieser Detailbetrachtung, um einen Gesamteindruck des Kunstwerkes zu erlangen.“

Demokratie und Erbsünde

Ein weiterer wichtiger und grundlegender Aspekt im Denken Dávilas ist sein starker katholischer Impetus. Kinzel legt dar, dass ohne die Idee der Erbsünde Dávilas Philosophie nicht nachvollziehbar sei. Denn wer diese leugnet, wäre letztlich gottlos, da sich die Erbsünde mit dem Glauben an Gott in einer notwendigen Wechselbeziehung befände. Diese konsequente Haltung führt zur Kritik an einen säkularen Ethikbegriff.

Ähnlich kritisch beäugt Gómez Dávila die säkulare Heilsversprechung des egalitären Demokratismus. Dieser Begriff bedeutet nichts anderes als die Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche. Diese hochgradige Ideologisierung der Demokratie führe letztlich zu einem Antielitismus, dem eine wahrhaftig aristokratische Gesellschaft gegenüber stehe. Dávila übt damit scharfe Kritik an säkularen Konzeptionen jedweder Couleur. Der Reaktionär empfindet sich jedoch jenseits vom rechten und linken Parteienlager: „Die Linke nennt jene Leute Rechtsparteiler, die bloß rechts von ihnen sitzen. Der Reaktionär befindet sich nicht auf der rechten Seite von der Linken, sondern gegenüber.“

Empfehlenswerte Einführung

Kinzels Dávila-​Monografie ist uneingeschränkt all jenen zu empfehlen, die bisher noch keinen tiefgründigen Kontakt mit dem kolumbianischen Reaktionär hatten. Der Kenner der Materie wird sich wiederum an den nuancierten Deutungen Kinzels abarbeiten und sein Denken rund um Dávila konkretisieren können. Hoffen wir, dass der lange Zeit eher als konservativer Geheimtipp bekannte Dávila wieder vermehrt in die rechte Öffentlichkeit gerät. Verdient hätte er es.

Till Kinzel: Nicolás Gómez Dávila. Parteigänger verlorener Sachen. 215 Seiten. Lepanto Verlag 2015. 12,90 Euro.