Supermächte: Der neue Start-Vertrag symbolisiert ein verändertes Kräfteverhältnis in der Welt
Es war kurz vor Weihnachten. US-Präsident Obama durfte seinen letzten Auftritt als »starker« US-Präsident absolvieren, bevor mit Jahreswechsel Senat und Repräsentantenhaus in neuer Zusammensetzung zusammentreten, die ihn vollends zur lahmen Ente degradiert.
Wie im griechischen Drama wurde zunächst die Spannung hinsichtlich des Abstimmungsergebnisses angeheizt, damit der mit dem Friedensnobelpreis ausstaffierte Präsident 43 A die politische Bühne nutzen konnte, um die heimische wie internationale Öffentlichkeit zu täuschen: Obama als Architekt atomarer Abrüstung und Retter der Welt!
Doch was steckt dahinter? Was sieht der nun von den USA ratifizierte neue Start-Vertrag tatsächlich vor? Ist er wirklich ein Meilenstein auf dem Weg zur atomaren Abrüstung der Kernwaffenstaaten? Oder soll er ein Alibi gegenüber den atomaren Habenichtsen darstellen, die immer stärker auf eigene Verfügungsgewalt über Atomwaffen drängen, um sich der politisch-militärischen Erpressung von Staaten wie den USA und Israel zu erwehren?
In den nächsten Jahren werden es an die 40 Länder sein, die über eigene Atomwaffen verfügen, und der Kreis derer, die mit dieser militärischen »Lebensversicherung« liebäugeln, wird immer größer. Da bedarf es der Augenwischerei, Taschenspielertricks à la Obama, um zumindest den Eindruck zu erwecken, auch die atomaren Schwergewichte USA und Rußland würden sich in Richtung Reduzierung ihrer Atomwaffenpotentiale bewegen, um ihre Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag zu erfüllen. Obamas Zauberstab für die Vorführung hieß START. Start steht für »Strategic Arms Reduction Treaty«, zu Deutsch: »Vertrag zur Verringerung der strategischen Waffen«.
Washington ringt um die Hegemonie
Der neue Start-Vertrag sieht eine Reduzierung der Zahl der nuklearen Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre auf 1550 und der Zahl der Trägersysteme auf jeweils 800 vor. Damit braucht Washington seine aktiven strategischen Trägersysteme nur um wenige Dutzend zu reduzieren, um die neue Höchstgrenze von 800 Trägern zu erreichen, Moskau gar keine. Es hat nur noch 556 Träger.
Ähnlich das Bild bei den Sprengköpfen: Da nur aktiv stationierte Sprengköpfe zählen, hat Hans Kristensen von der Federation of American Scientists berechnet, muß Washington die Zahl seiner aktiven Sprengköpfe rechnerisch nur um 100, Moskau um 190 reduzieren.
Hinzu kommt, daß das Pentagon seine alten Pläne zur Modernisierung der nuklearen Trägersysteme umsetzen darf. Eine neue nuklearfähige Jagdbomberversion, der Joint Strike Fighter, wird weiter entwickelt. Die Arbeit an einer neuen Generation strategischer Raketen-U-Boote geht ebenfalls weiter. Auch die Entwicklung eines neuen luftgestützten Langstreckenmarschflugkörpers wird ebenso in Angriff genommen wie die Planungen für einen neuen strategischen Bomber. Selbst die Voruntersuchungen für eine neue Generation von Interkontinentalraketen sollen anlaufen.
Zusätzlich haben die Republikaner sich ihre Zustimmung zum neuen Start-Vertrag damit »versüßen« lassen, daß in einem Zusatz zum Vertrag von den USA einseitig festgelegt wurde, daß dadurch der Aufbau der US-Raketenabwehr und die Einführung von Langstreckenraketen mit konventionellen Sprengköpfen nicht berührt werden.
Gerade die Pläne zur Raketenabwehr ließen das russische Parlament nicht wie vorgesehen noch zum Jahreswechsel den Start-Vertrag ratifizieren. Es sucht vielmehr nach diplomatischen Formeln, um eben diese Zusätze wieder aufzuheben. Nach Ansicht des Verfassers waren auch die angenommen Zusätze nur Tricksereien. Denn den herrschenden Kreisen in den USA ist sehr daran gelegen, Moskau auf ihre Seite zu ziehen. Zumindest aber zu neutralisieren, wenn es zur (militärischen) Konfrontation mit China kommen sollte.
Glanzleistung der chinesischen Diplomatie
Die Eindämmung und das »roll back« des weltpolitischen Einflusses Chinas hat für die USA höchste Priorität. Davon zeugt nicht nur die Eskalation der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel und im Gelben Meer, sondern auch die massive Formierung eines antichinesischen militärischen Blockes mit Japan, Korea, Australien und weiteren Staaten.
Der Start-Vertrag offenbart aber die Erkenntnis der Plutokraten, daß die USA allein nicht mehr in der Lage sind, die weltweite Herrschaft des Geldadels durchzusetzen. Deshalb die Kurskorrektur der USA, um den einstigen Hauptfeind an das eigene Lager zu binden. Doch dieses Ansinnen ist nicht sehr aussichtsreich. Weiß Rußland doch zu gut, daß der mächtige Nachbar im Osten kraftvoll, dynamisch und zudem verläßlich ist, während die USA ihren Zenit längst überschritten haben und zudem nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind.
China hingegen betreibt seit längerem eine kluge und weitsichtige Außenpolitik, die sich nicht der andernorts üblichen Großmachtallüren bedient, sondern auf Interessenausgleich und beiderseitigen Nutzen abzielt. Das »Reich der Mitte« hat das diplomatische Meisterstück vollbracht, auch sein Verhältnis zum wichtigsten Konkurrenten Indien konstruktiv zu gestalten, ohne seine engen Beziehungen zu Pakistan zu beschädigen.
China und Indien stellen heute zusammen mehr als ein Drittel der knapp sieben Milliarden Erdbewohner. Ein auch für die hochgerüstete USA uneinnehmbares Bollwerk, das zudem die »gekaufte Demokratie« des Westens entschieden ablehnt. Beide Länder gehen sehr verschiedene politische wie wirtschaftliche Entwicklungswege, aber sie sind keine Kopie des von ihnen verachteten westlichen Herrschaftsmodells, das das Volk in Geiselhaft der mächtigen Interessengruppen genommen hat, wie etwa bei der »Bankenrettung« oder dem sogenannten Euro-Rettungsschirm. Asien geht seinen eigenen Weg.
Das amerikanische Zeitalter endet
Auch im Handel sind die USA längst als Weltmacht abgeschrieben. Der innerasiatische Warenaustausch wächst kräftig. Indiens wichtigster Handelspartner ist heute China und das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern betrug im Jahre 2010 etwa 60 Milliarden Dollar. Es dürfte sich laut Schätzungen bis 2015 mehr als verdreifachen.
Doch während Merkel und die bundesdeutschen Medien gegen China wegen der Verletzung von Menschenrechten wettern und dabei selbst im Glashaus sitzen, tränenreich und pflichtschuldig die Verurteilung des jüdischen Millionenbetrügers, Geldwäschers und Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski in Rußland beklagen, haben deutsche Unternehmer schon längst die Zeichen der Zeit erkannt und arbeiten eng mit russischen und chinesischen Partnern zusammen.
Dabei besinnen sie sich sogar ihrer alten deutschen Werte und produzieren kundengerecht, so etwa Daimler, der in Indien eine komplette Modellreihe einfacher Lastwagen entwickelt, die so billig sein sollen, daß sie im Preiswettbewerb mit dem indischen Marktführer Tata Motors mithalten können.
In China und Indien gibt es zusammen etwa eine Milliarde Menschen, die man zur dortigen Mittelschicht zählen kann und die technisch solide Produkte zu günstigen Preisen benötigen. Qualitätsarbeit aus Deutschland, damit können wir in China, Rußland und Indien punkten und getrost Uncle Sam jenseits des Atlantik vergessen, der wie so viele Fremde in Deutschland und der EU zwar nicht gewillt ist, selbst etwas Konstruktives zu schaffen, aber von unserer Hände Arbeit ein gutes Leben führen will.
Unser Autor Dr. Kersten Radzimanowski war letzter geschäftsführender Außenminister der DDR
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