mardi, 19 juin 2012
Ray Bradbury ist tot – Chiffre 451
Götz Kubitschek:
Ray Bradbury ist tot – Chiffre 451
Ex: http://www.sezession.de/
Wer nach den berühmten Dystopien unserer Zeit gefragt wird, nennt George Orwells 1984, Aldois Huxleys Schöne Neue Welt, vielleicht Ernst Jüngers Gläserne Bienen, ganz sicher Das Heerlager der Heiligen von Jean Raspail (wenn er einer von uns ist!) und vor allem den Roman Fahrenheit 451 von Ray Bradbury. „451″ ist eine meiner Lieblingschiffren, und die Hauptfigur aus Bradburys Roman – der Feuerwehrmann Montag – ist Angehöriger der Division Antaios.
Bradbury – geboren 1920 – ist am 5. Juni verstorben. Fahrenheit 451 ist sein bekanntester Roman. In ihm werden Bücher nicht mehr gelesen, sondern verbrannt, wenn der Staat sie findet: Ihre Lektüre mache unglücklich, lenke vom Hier und Heute ab, bringe die Menschen gegeneinander auf. Vor allem berge jedes Stück Literatur etwas Unberechenbares, Freigegebenes, etwas, das plötzlich und an ganz unerwarteter Stelle zu einer Fanfare werden könne. In den Worten Bradburys: „Ein Buch im Haus nebenan ist wie ein scharfgeladenes Gewehr.“
Montag indes greift heimlich nach dem, was ihm gefährlich werden könnte. Er rettet ein paar Dutzend Bücher vor den Flammen, versteckt sie in seinem Haus und vor seiner an Konsum und Seifenopern verlorengegangenen Frau. Heimlich liest er, zweifelt, befreit sich und wird denunziert (von seiner eigenen, an den Konsum und die Indoktrination verlorengegangenen Frau); er kann fliehen und stößt in einem Waldstück auf ein Refugium der Bildung, auf eine sanfte, innerliche Widerstandsinsel, eine Traditionskompanie, eine Hundertschaft von Waldgängern: Leser wandeln auf und ab und lernen ein Werk auswendig, das ihnen besonders am Herzen liegt, um es ein Leben lang zu bewahren, selbst dann noch, wenn das letzte Exemplar verbrannt wäre.
Ich korrespondiere derzeit mit einem bald Achtzigjährigen, der insgesamt sieben Jahre im Gefängnis verbrachte und in dieser Zeit nichts für seinen Geist vorfand als das, was er darin schon mit sich trug. In Dunkelhaft war er allein mit den memorierten Gedichten, Dramenstücken, Prosafetzen, und er war dankbar für jede Zeile, die er in sich fand. Er kannte Fahrenheit 451 noch nicht und las begierig wie ein Student (wie er mir schrieb). Und er schrieb, daß er in Montags Waldstück keinen Prosatext verkörpern würde, wenn er dort wäre, sondern fünfhundert Gedichte – den Ewige Brunnen sozusagen.
Und Sie?
Ellen Kositza:
Nicht jeder kann Bradbury auswendig können
Ich will direkt an Kubitscheks Bradbury-Text anknüpfen: Sein leicht verbrämter Aufruf, das Memorieren poetischer Texte einzuüben, kommt aus berufenem Munde. Kubitschek kann mehr Gedichte aufzusagen, als ich je gelesen habe, gar auf russisch, ohne daß er die Sprache beherrschte. Ein seltener Fleiß, ich werde mir keine Sorgen machen, wenn er mal ins Gefängnis muß.
In der zeitgenössischen Pädagogik ist vor lauter Selberdenkenmüssen das Auswendiglernen ja stark in den Hintertreffen geraten. Unsere Kinder tun sich nicht besonders schwer damit, es wird ihnen aber kaum – und stets nur minimal – abverlangt. Nun kam es hier im Hause kam öfters vor, daß die müden Kinder inmitten des Abendgebets gähnen mußten; ein bekanntes Phänomen, das dem Nachlassen der Konzentration und weniger mangelnder Frömmigkeit anzulasten ist. Nun lernen wir seit einigen Monaten das Vaterunser in verschiedenen Sprachen, mühsam Zeile für Zeile zwar (so daß für jede Sprache mehrere Wochen benötigt werden), aber die abendliche Leistung zeigt Wirkung; kein Gähnen mehr.
Jetzt gibt es vermehrt Leute, die sich ihre Lieblingszeilen nicht so gut merken können. Es hat nicht jeder den Kopf dafür. Es gilt nicht mehr für gänzlich unzivilisiert, sich ein nettes Lebensmotto mit Farbe unter die Haut ritzen zu lassen. Dann kann man es stets nachlesen oder sich wenigstens vorlesen lassen. Bekanntermaßen hat sich Roman, der deutsche Kandidat des Europäisches Liederwettbewerb, ein gewichtiges Lebensmotto (samt Mikro!) auf die Brust stechen lassen: Never fearful, always hopeful. Eine hübsche, gleichsam allgemeingültige Ermunterung!
Internationale Sangesgrößen haben es ihm vorgemacht. Rihanna trägt die Weisheit never a failure, always a lesson auf der Haut, Katy Perry schürft noch tiefer und ließ sich (Sanskrit!!) Anungaccati Pravaha!, zu deutsch „Go with the flow!“ stechen, und der intellektuell unangefochtene Star des Pophimmels, Lady Gaga, uferte gar aus und verewigte ihren „Lieblingslyriker Rilke“ mit folgen Worten auf einem Körperteil:
“Prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt, gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müßten, wenn es Ihnen versagt würde zu schreiben. Dieses vor allem: Fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: Muss ich schreiben?“
Aber auch (noch) wenig prominente Zeitgenossen mögen es philosophisch-lyrisch. Jessica, Studentin und Trägerin der Playboy-Preises „Cybergirl des Monats“ läßt auf ihrer glatten Haut in wunderschön geschwungener Schrift das Cicero zugewiesene Motto Dum spiro spero blitzen, und jüngst kamen mir hier im wirklich ländlichen Landkreis zwei weitere tätowierte Kalligraphien unter´s Auge: Einmal in fetter Fraktur an strammer Männerwade unterhalb eines kahlrasierten Schädels Carpe Diem, andermal , als Schultertext: Mann muß Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern zu gebären. Nietzsche hatte , glaub ich, „man“ geschrieben, aber er schrieb wohl mehr so für Männer, und der Spruchträger war tatsächlich männlichen Geschlechts, also hatte ja alles seine Richtigkeit.
Nun mag mancher Tätowierungen an sich für ein Zeichen von Asozialität halten. Wir mögen es mit Güte betrachten: Schlägt sich darin nicht eine Sehnsucht nach Dauer, nach Absolutheit, nach Schwur und Eid nieder? Nicht jeder hat Geld, Zeit, Fähigkeit und Phantasie, ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen, ein Kind zu zeugen. Wenn er schon die eigene Haut zu Markte tragen muß, dann wenigstens symbolisch aufgeladen! Nun fragt sich manche/r schlicht: womit bloß? Stellvertretend möchte ich “ Adrijanaa“ zitieren, die auf einem Forum namens gofeminin händeringend fragt:
Hallo zusammen!
Ich liebe Tattoos und möchte endlich selbst eins haben. Habe mich für ein Zitat auf dem Schulterblatt entschieden (so ähnlichw ie bei Megan Fox). Das Problem: Mir föllt keins ein. Es ist schon irgednwie blöd im Internet nach zu fragen, aber ich bin momentan einfach sowas von einfallslos. Ich lege in diesem Fall auch nicht viel Wert darauf, ob jemand diesen Spruch schon auf eienr Körperstelle besitzt oder nicht. Ein englischer Zitat wäre am besten. Es können Weisheiten, Zitate aus Songlyrics oder Filmen sein. Falls ihr ein paar Ideen habt, wäre ich sehr froh darüber, was von euch zu hören!LG, Adi
Die Adi wurde dann von einigen „Mitusern“ nachdrücklich gefragt, ob sie denn nicht selbst auf ein paar fesche Zitate käme, die ihr aus der „Seele“ sprächen. Aber:
Ich überleg ja schon die ganze Zeit. . . Hab einige gute Lieder, die ich ganz gerne mag, aber die Texte sind manchmal zu primitiv für ein Tattoo. . . Es ist nicht so einfach
Dabei ist es eben doch ganz einfach! Es gibt bereits einige Netzseiten mit hübschen Sprüchen, die unter die Haut gehen könnten. In einem entsprechenden Ratgeberforum für tätowierbare Sprüche habe ich den hier gefunden:
Wer singt und lacht, braucht Therapie.
Alfred Adler
Das ist tiefsinnig, und mit etwas Mühe könnte man es sogar auswendig lernen – für den Fall, daß man das Zitat im Nacken oder auf dem Po unterbringen will.
00:05 Publié dans Hommages, Littérature | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : ray bradbury, hommages, littérature, littérature anglaise, lettres, lettres anglaises, dystopie, littérature dystopique | | del.icio.us | | Digg | Facebook
Les commentaires sont fermés.