Universität Wien, Hörsaal 28: Kürzlich ein Gespräch darüber, wie Nationalismen und extreme Rechte in Europas wirksam zu bekämpfen wären. Wieder einmal. Eingeladen hatten u.a. transform! europe und die Fleischerei.* Wobei Letztere, aus zeitgeschichtlicher Perspektive gesehen, eine für ein kommunistisches Projekt erstaunlich mutig-anzügliche „Geschäftsaufschrift“ vorzuweisen hat.
Doch allem Anschein zum Trotz wurde es eine eher beschauliche, beinahe nostalgisch anmutende linke Veranstaltung bei der zwar, anders als vor Jahrzehnten in demselben Hörsaal, keinesfalls aufgeregt über die rechte Gefahr doziert wurde, aber bei der auch keine einen nachhaltigen Erfolg versprechende Strategie zur Verhinderung eines weiteren rechten Vormarsches zum Vorschein kam. Politische Programme allein werden nicht genügen.
Die Einsicht ist wohl da, daß die derzeitigen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen vor allem dem Rechtspopulismus in die Hände spielten. Aber, frage ich mich, wie wollen da Linke ohne scheuklappenfreie Kenntnisnahme jener auch einer überstrapazierten Gleichheitsidee geschuldeten Ursachen überhaupt gegensteuern?
Gewiß, noch ist nicht aller Tage Abend. Und man scheint mancherorts die Dinge in gewisser Hinsicht doch etwas anders zu sehen als vor Jahrzehnten, aber, da durch Dogmen anscheinend immer noch gehemmt, noch nicht weit genug. Man kommt wohl, wie bei vielen Rechten auch, zu bereits allgemein gültigen Erkenntnissen, aber dann doch aus dem vorher erwähnten Hinderungsgrund in wichtigen Fragen, etwa jener der Immigration, vorerst noch zu gegensätzlichen Folgerungen und wenig zukunftstauglichenLösungsvorschlägen.
Immerhin ließe sich bereits eine wesentliche gemeinsame Erkenntnis linker wie auch rechter revolutionär gestimmter Systemoppositionellen in der Aussage der linken griechischen Syriza-Partei: „Das vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem hat versagt und es ist Zeit, es abzulösen!“ durchaus zusammenfassen. Denn daß die heutige Wettbewerbsgesellschaft eines finanzgesteuerten Wirtschaftsmodells gegen unsere Grundbedürfnisse verstoße, unsere Lebensgrundlagen gefährde und daß die organisierte Massengewalt diesem Gesellschaftsmodell eigen sei, werden immer mehr linke wie rechte „Empörte“ so sehen wollen und können.
Dabei kommen die Anleitungen zu mehr als nur Empörung von den Konzernen selbst : Wenn es, zum Beispiel, etwa von Nestle-Seite heißt, genmanipulierte Lebensmittel seien eine unbedenkliche Sache seien, Wasser kein Menschenrecht, das daher auch von Privaten, also Konzernen, kontrolliert werden sollte, dann wäre auch diese Anmaßung bzw. Bedrohung doch ein Ansatz für eine ideologienübergreifende gemeinsame Abwehr konzerntypischer Gelüste. Und darüberhinaus zu neuen Ufern.
Vorausgesetzt, es setzt sich einmal die Einsicht durch, daß weder klassische linke Modelle noch solche rechter Bauart längerfristig eine Antwort auf die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts geben können. Aber radikal sollte die Antwort schon sein, müßte sie sein, soll ein Natur und Umwelt gefährdendes, völkermordendes System, im günstigeren Fall basisdemokratisch, überwunden werden. Ein betrügerisches System, daß über Schulden-Anhäufung ein Heer von Lohnsklaven schafft und ohne Gewissensbisse mit Hilfe von Politikdarstellern permanente Arbeitslosigkeit und wachsende Armut in Kauf nimmt. Nicht zuletzt Kriege.
Eine vielen nationalen Rechten in eigener Sache ähnlich distanzierungsscheue gewisse Linke arbeitet also an strategischen Perspektiven für ein anderes Europa. „muß“ sich aber ständig mit dem Kampf gegen „extreme“ Rechte, wo, zugegebenermaßen, weltanschaulich wie gesellschaftspolitisch noch oder schon wieder einiges im Argen liegt, beschäftigen. Wobei die Abgrenzungsbemühungen sowohl da wie dort schon pathologische Züge annehmen.
Aber auch hier sollte gelten: manches, was gut gemeint ist, ist oft das Gegenteil von demselben, und alles, was übertrieben wird, wie u. a. die Gleichheit, schadet dem Anliegen dahinter. Im Übrigen würde, und das beiderseits der ideologischen Frontlinie, ein etwas realistischeres Menschenbild und ein selbstkritischerer Blick in die Denkwürdigkeiten der immer noch nahen Vergangenheit solches vermeiden helfen.
So weit scheint man aber dann noch nicht zu sein, und damit zusammen hängt, links wie rechts, eine – aus soziologischer und politischer Sichtweise – jede gute oder gar gemeinsame Initiative störende oder eine solche verhindernde Fragmentierung des Empörungslagers. Womit, unter Beibehaltung des antiquierten Links-Rechts-Schemas, vorerst gesichert bleibt, daß die multinationalen Machthaber, die gewiß bis zum letzten Cent kämpfen werden, weiter ihrem eigentlich menschenverachtendem Monopoly-Spiel frönen können.
Aber irgendwann, vermutlich in absehbarer Zeit, nähern wir uns, national wie global, dem berühmten „Point of no return“. Was dann? Werden wir es uns dann noch immer leisten können, in Steinzeitmanier oder jener der dreißiger Jahre gegenseitig an die sprichwörtliche Gurgel zu fahren? Den dann klammheimlich lachenden Dritten kann ich mir heute schon lebhaft vorstellen.
*Neben der gebürtigen Österreicherin Elisabeth Gauthier (Espace Marx, Paris), dem Schweden Mathias Wag (Zentrum für marxistische Studien, Stockholm) und dem ehemaligen Vorsitzenden der KPÖ und jetzigen Koordinator von „transform!“ (25 versch. linke Zeitschriften und „Denkfabriken“) kam in diesem von Eva Brenner (Fleischerei) moderiertem Gespräch auch Hais Triandafillidou (Syriza-Abgeordnete aus Athen) zu Wort. Die junge Dame, besser Deutsch sprechend als so mancher österreichische Politiker, vermittelte ein authentisches Lagebild ihrer Heimat, das, obzwar aus marxistischer Sicht, durchaus glaubwürdig schien. Das Programm von Syriza mutet übrigens über weite Passagen durchaus nationalrevolutionär an.
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