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samedi, 17 mai 2014

Prophet des geheimen Deutschlands

Prophet des geheimen Deutschlands

von Sebastian Hennig

Ex: http://www.jungefreiheit.de

Als Stefan George vor achtzig Jahren im Bauerndorf Minusio am Lago Maggiore verstarb, bedeutete dies nicht allein das Ableben eines legendären Poeten und Sprachkünstlers. Einige Monate danach bezeichnete ihn der Dichter Gottfried Benn in einem Essay als „das großartigste Durchkreuzungs- und Ausstrahlungsphänomen, das die deutsche Geistesgeschichte je gesehen hat“.

Das lebendige Wesen dieses Dichters entfesselte und bündelte die verschütteten Energien des deutschen Sprachvolkes. Er wirkte unmittelbar und bewußt konzentrierend auf einen wachsenden Kreis von Vertrauten, die wiederum in ihrem Wirkungsfeld den hohen Anspruch ihres Meisters weitergaben.

Die Elementarkraft der Sprache

Ab 1892 scharte er Gefährten um die Zeitschrift Blätter für die Kunst. Es ging um nichts Geringeres als die Erneuerung der lyrischen Dichtung. Berühmte Verse jener Zeit locken zart und streng zugleich: „Komm in den totgesagten park und schau:/ Der schimmer ferner lächelnder gestade – /Der reinen wolken unverhofftes blau/ Erhellt die weiher und die bunten pfade.“

Skepsis gegenüber dem auf Effizienz ausgerichteten preußisch-deutschen Kaiserreich einerseits („spotthafte Könige mit Bühnenkronen“) und dem Demokratismus andererseits („Schon eure zahl ist Frevel“) kennzeichnen Georges Haltung.

Gerade noch rechtzeitig, bevor sich der große Aufbruch des deutschen Geistes der Goethezeit vollständig in die Wolken von Bildung und Humanismus verdunstete, verwies Stefan George auf die im Kunstwerk verdichtete Elementarkraft der Sprache.

Verkörperung der „menschlich-künstlerischen Würde“

Neben Goethe waren Hölderlin, Jean Paul und August von Platen die Erz-Zeugen und Berufungs-Instanz dieser abermaligen Wandlung des Wortes vom Schall zur Tat. In der Herausforderung des Zeitalters geht die Artistik in Aktion über.

Der Anspruch der Blätter für die Kunst beginnt weitere Kreise zu ziehen. Gedichte Stefan Georges aus seinen Bänden „Der siebte Ring“ (1907) und „Der Stern des Bundes“ (1913) wurden zum Leitmotiv der Jugendbewegung. Klaus Mann erinnert sich später: „Inmitten einer morschen und rohen Zivilisation verkündete, verkörperte er eine menschlich-künstlerische Würde, in der Zucht und Leidenschaft, Anmut und Majestät sich vereinen.“

Geistig ausgehungerte Studentenschaft

Akademiker, die George eng verbunden waren, bringen seine Forderungen einer geistig ausgehungerten Studentenschaft nahe. Die deutsche Universität erhält dadurch wesentliche Anstöße. Beispielhaft dafür ist der Heidelberger Germanist Friedrich Gundolf, dessen dickleibige Werkmonographie „Goethe“ (1916) ein Bestseller der Zwischenkriegszeit wurde.

Andere Bände der Reihe „Werke der Wissenschaft aus dem Kreis der Blätter für die Kunst“ galten Shakespeare, Napoleon, Winckelmann, Nietzsche und Platon. Die philologische Wiederentdeckung der Gedichte Friedrich Hölderlins durch Norbert von Hellingrath kam aus diesem Umfeld.

Die Katastrophe eines fortgesetzten Weltkrieges

Von hervorragender Bedeutung für das Selbstverständnis des jungen deutschen Aufbruchs war der Band über „Kaiser Friedrich II“. von Ernst Kantorowicz von 1927. Im Jahr darauf erscheint Stefan Georges letzter Gedichtband „Das Neue Reich“. George lieh der Sorge und Zuversicht für das von innen und außen bedrohte Vaterland seine durchdringende Stimme.

Daß er die Katastrophe eines fortgesetzten Weltkrieges voraussah, zeigt die Zählung in der Titelzeile des bereits 1921 erschienenen Gedichts „Einem jungen Führer im ersten Weltkrieg“. Neben diesen Worten, die wie in Stein gemeißelt stehen, verfügt er bis zuletzt auch über die Flötentöne des lyrischen Gedichts. Den apodiktischen Zeitgedichten stehen die Lieder zur Seite und beleben die Wucht der Worte mit ihrer zwanglosen Anmut.

Gegner Goebbels

Der Vorwurf der ästhetischen Starre und Sterilität, welche dem George-Kreis entgegengebracht wird, kommt nicht auf dessen Haupt. Es zeugt nur für die Fruchtbarkeit des Umfelds, daß ihm auch Furchtbares entsproß. Denn sowohl Joseph Goebbels als auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurden während des Studiums in Heidelberg von Georges Lieblingsjünger Friedrich Gundolf stark geprägt.

So trägt der Propagandaminister 1933 George die Präsidentschaft einer Akademie für Dichtung an. Dessen Abweisungsbrief datiert auf den Tag, an dem in Deutschland die Bücherverbrennungen stattfinden. Unter denen, die sich dem Dichter in Wort und Tat verbunden fühlen, werden viele aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln verfolgt und aus der Heimat vertrieben.

Geistiger Ziehvater Stauffenbergs

Andere, darunter die Gebrüder Stauffenberg, haben die „nationale Erhebung“ zunächst begrüßt. Sie erhofften von dem Regime den Einsatz für das von George verkündete „Geheime Deutschland“ und wurden darin schwer enttäuscht. Mit dem Bekenntnis zum geheimen Deutschland auf den Lippen ist der Patriot Stauffenberg schließlich als Hitler-Attentäter unter den Gewehrkugeln seiner Widersacher gefallen.

Die letzte Auszweigung dessen, was vereinfachend als „George-Kreis“ bezeichnet wird, erreichte noch die jüngst vergangene Jahrhundertwende. Aus einer Gruppe Amsterdamer Emigranten ist 1950 die Zeitschrift Castrum Perigrini hervorgegangen, welche bis 2008 die lebendige Erinnerung an den Dichter und seinen Kreis pflegte. Der Stiftung „Castrum Peregrini – Intellectual Playground“ ist durch den Dunst des Zeitgeistes ihre frühere Abkunft inzwischen nur mehr schemenhaft anzumerken.

Im Wallsteinverlag, der die Reihe „Castrum Peregrini“ weiterführt, ist zuletzt ein Band zum Briefwechsel und den Nachdichtungen Georges zu Stéphane Mallarmé erschienen.

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