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mardi, 13 janvier 2015

Benutzt euer Gehirn!

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Benutzt euer Gehirn!

von Moritz Scholtysik

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der bekannte Gehirnforscher Manfred Spitzer warnt in seinem Buch vor „digitaler Demenz“. Und erklärt Ursachen und Folgen. Neu ist nicht alles – aber wichtig.

Digitale Medien sind ein fester Bestandteil unseres Lebens. Kaum einer mag noch bestreiten, dass sie keine Auswirkungen auf unser Denken und Handeln hätten. Die Frage ist nur: Sind sie positiv oder negativ zu bewerten? Für das populärwissenschaftliche Magazin Geo steht jedenfalls fest: „Digital macht schlau!“

Allerdings ist auch Kritik an der Elektronisierung aller Lebensbereiche nicht selten – vor allem in kultureller Hinsicht. Spitzer argumentiert seinem Beruf entsprechend vor allem aus psychologischer und medizinischer Perspektive. Gerade der in den Neurowissenschaften Unkundige erfährt in Digitale Demenz Grundlegendes über die Funktionsweise des Gehirns – auf bewusst einfache Weise.

Wesentliches statt Multitasking

Spitzer entlarvt zwei hartnäckige Mythen: Zum einen den der „Digital Natives“, dieser vermeintlichen „Generation von digitalen Wunderkindern“. Sie gebe es nicht. Diese Generation sei mehr von Bildungsverfall als von Medienkompetenz gekennzeichnet. Zum anderen wendet sich Spitzer den angeblichen Vorzügen des Multitaskings zu: Dieses führe zu Störungen der Selbstkontrolle sowie zu „Oberflächlichkeit und Ineffektivität“. Des Psychiaters Appell: „Konzentrieren wir uns lieber ganz auf das Wesentliche!“

Apropos Selbstkontrolle: Diese gehe bei übermäßigem Konsum digitaler Medien verloren, was mit Stress gleichzusetzen sei und zu Aufmerksamkeitsstörungen sowie mehreren chronischen Erkrankungen führen könnte. Beispiele sind Sucht, Schlaflosigkeit, Übergewicht, Probleme im Herz-​Kreislauf-​System, Demenz. Bei all diesen Erläuterungen und Ausführungen spricht Spitzer immer wieder mögliche Einwände und Fragen an und vermeidet meist allzu komplizierte Formulierungen und Fachtermini.

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Keine Laptops für Schulen

Spitzer, Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen, ist vielen Lesern bereits durch sein Buch Vorsicht Bildschirm! und zahlreiche Fernsehauftritte bekannt. In Digitale Demenz zeigt er auf, dass sich unser Gehirn durch dessen Nutzung, also durch Lernen, an den sogenannten Synapsen verändert. Dies führe zu einem Wachstum einzelner, spezialisierter Bereiche. Gebrauche man sie jedoch nicht, verkümmerten sie. Unser geistiges Leistungsvermögen hänge also von unserer geistigen Betätigung ab. Und wir lernten besser, je mehr und je tiefer wir uns mit dem Gegenstand des Lernens auseinandersetzten. Computer jedoch nähmen uns viel geistige Arbeit ab und ließen uns oberflächlicher lernen. Die Verfügbarkeit gespeicherter Daten führe zudem dazu, dass wir uns sie weniger merkten. Spitzer verwirft daher auch den vielfach forcierten und teuren Plan, Schulen mit Laptops und Smartboards, also digitalen Tafeln, auszurüsten.

Teletubbies und „Killerspiele“

Bei Kindern und Jugendlichen steht vor allem die private Nutzung von Computer und Internet im Vordergrund. Darunter können nicht nur die Schulnoten leiden, sondern auch eine gesunde Entwicklung des noch nicht ausgereiften Sozialverhaltens. Es klingt ironisch, wenn Letzteres gerade durch die sogenannten sozialen Netzwerke gefährdet sei. Als mögliche Folgen nennt Spitzer „mangelnde Selbstregulation, Einsamkeit und Depression“. Auch die Kleinsten seien von den negativen Auswirkungen betroffen. „Baby-​TV“ störe die Sprachentwicklung und Computernutzung im Vorschulalter beeinträchtige die Lese– und Schreibfähigkeit.

In den letzten Jahren wurde besonders kontrovers über die Auswirkungen von Computerspielen, insbesondere der Ego-​Shooter, diskutiert. Spitzer weist als Folge dieser Spiele „zunehmende Gewaltbereitschaft, Abstumpfung gegenüber realer Gewalt, soziale Vereinsamung und eine geringere Chance auf Bildung“ nach. Es mag ihn bestätigen, wenn die Reaktionen auf diese Erkenntnis oftmals aggressiv und beleidigend ausfallen – wie viele Kommentare im Netz zeigen.

Nichts neues, aber grundlegend

In den letzten beiden Kapiteln des Buches lässt Spitzer etwas nach: Er wiederholt sich, betont zu oft die Wissenschaftlichkeit der von ihm vorgestellten Studien und wird bei seiner Kritik an Politikern polemisch. Andererseits kann man diesen Ärger gut nachvollziehen, kennt man doch deren Untätigkeit aktuell aus vielen anderen Bereichen.

Er schließt das Buch jedoch gelungen, indem er einige praktische Tipps zur Prävention des geistigen wie körperlichen Abstieges gibt, den digitale Medien mitverursachen. Neben der einleuchtenden Empfehlung, diese zu meiden, schlägt er unter anderem gesunde Ernährung, tägliche körperliche Bewegung, Singen, den bewussten Genuss von Musik und den Gang in die freie Natur vor. Nichts wirklich neues, aber grundlegend.

Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Taschenbuch. 368 Seiten. München: Droemer Knaur 2014. 12,99 Euro.

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dimanche, 25 août 2013

Manfred Spitzer zur digitalen Demenz

Sieben Stunden, vierzehn Minuten – Manfred Spitzer zur digitalen Demenz

Ellen Kositza

Ex: http://www.sezession.de

sp63179916.jpgDas ist schon was: Mit Manfred Spitzers Warnung vor der »digitalen Demenz« hat ein Buch die obersten Ränge der Verkaufslisten gestürmt, das keinesfalls einen moderaten Ton anstimmt. Der bedeutende Hirnforscher lädt nicht zur Mäßigung vor der Glotze und an den Schaltknöpfchen der Spielautomaten ein. Er nennt keine empfehlenswerten Computerspiele, er beziffert keine Zeitzonen, innerhalb derer die Beschäftigung mit der virtuellen Welt tolerabel (oder gar günstig) wäre.

Nein, Spitzer, sechsfacher Vater, sagt ganz radikal: Jede vor dem Bildschirm der digitalen Medien verbrachte Stunde ist für Kinder vergeudete Lebenszeit. Der Psychiatrieprofessor argumentiert sprachlich bisweilen reichlich hemdsärmelig (was das Buch publikumsfreundlich macht), aber er hat die Wissenschaft auf seiner Seite.

Man will es kaum glauben: Sieben Stunden und vierzehn Minuten täglich verbringen deutsche Neuntkläßler im Durchschnitt vor dem Fernsehen, dem Video, dem Internet und vor Computerspielen. Die Mattscheibe des Smartphones ist dabei nicht mal einbezogen. Ungläubig rechnet man nach, zählt Wochenend- und Ferienzeiten hinzu und glaubt am Ende der Bilanz. Wohl keiner kann besser und glaubwürdiger erklären als Spitzer, was solche 50-Stunden-Wochen mit dem jugendlichen Gehirn machen. In vierzehn Kapiteln legt der Hirnforscher dar, inwiefern vorgeblich pädagogisch wertvolles Baby-TV, der Computer im Klassenzimmer, das Freizeitvergnügen in »sozialen Netzwerken« und auf welche Weise das sogenannte Multitasking, die Möglichkeit des »Abspeicherns« (also Auslagerns aus der aktiven Tätigkeit) und Ballerspiele die neuronalen Netzwerke beeinflussen. Das Gehirn ist ein plastisches, flexibles Organ, es verändert sich gemäß seiner Beanspruchung. Unter dem Dauerfeuer der Impulse bahnen sich »Trampelpfade« durch das Hirn, die relativ unveränderbar sind. Ein Jugendlicher, der seine Aktivitäten größtenteils ins »Netz« verlagert, anstatt durch Sport, Theater, papierne Lektüre oder Handwerk seinen Willen, seine Kreativität und Meinungsbildung zu schulen, wird ziemlich sicher seine affektive Selbstkontrolle einbüßen. Streßsymptome (wie Depressionen und Schlaflosigkeit), soziale Auffälligkeit und Schulprobleme stehen als sichere Folgen bevor. Spitzer malt keineswegs freihändig den Teufel an die Wand, er operiert mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien und untermalt die Folgen der digitalen (Hyper-)Aktivität mit eigenen Graphiken, die den angeschlagenen Alarmton untermauern.

Bisweilen untergräbt Spitzers polternde, wenn auch meist sympathische Radikalität die Nachvollziehbarkeit: Daß die Google-Suche einen Nutzer, der auf dem gesuchten Gebiet bislang ahnungslos ist, ratlos zurücklasse, stimmt definitiv nicht. Susanne Gaschke hatte sich – ohne in ihren Schlußfolgerungen moderater zu sein – 2009 bereits gründlich und womöglich eloquenter mit digitalen Verdummungstendenzen auseinandergesetzt (Sezession 30/2009). Gaschkes vortreffliches Buch fehlt in Spitzers Literaturliste, dafür finden sich dort Verweise auf 28 Spitzersche Publikationen. Klar, der Mann ist vom Fach! Für Eltern, die ihre Kinder ohnehin vernünftig erziehen – also unter weitestgehender Umschiffung digitaler Ablenkmedien –, bietet das Buch vor allem eine Bestätigung und eine fundierte Argumentationsgrundlage. Die konkreten Tips zum adäquaten Hirntraining, die Spitzer bietet, mögen banal erscheinen, sind aber goldrichtig: Kleine Kinder profitieren von simplen Fingerspielen mehr als von Laptops im Kindergarten! Stete Übungen der Selbstkontrolle (erst ein Lied, auch wenn der Kuchen auf dem Tisch noch so lockt) dienen der Immunisierung gegen Streß! Singen Sie viel und laut!

Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, München: Droemer 2012. 368 S., 19.99 €


Article printed from Sezession im Netz: http://www.sezession.de

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