Vor 10 Jahren starb der isländische Nobelpreisträger Halldór Laxness
Interessant an dem großen isländischen Erzähler Halldór Laxness ist nicht so sehr die Tatsache, daß er als junger Mann vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierte (Taufe: 6. Januar 1923). Auch nicht, daß er schon wenige Jahre später ein eifriger Parteigänger der Sache Lenins und Stalins wurde (den Beitritt zur isländischen Volksfrontpartei aus Sozialisten und Kommunisten jedoch bis 1938 hinauszögerte).
Laxness, der in seiner katholischen Lebensphase mit dem Gedanken spielte, Benediktiner- oder Jesuitenpater zu werden, übertrug seine Glaubensinbrunst auf den Kommunismus. Von besonderem Interesse an seinem Leben ist eher der Umstand, daß er als Angehöriger eines jahrhundertelang unterdrückten Volkes auch in seinen kommunistischen Lebensjahrzehnten Ansichten äußerte, die man heute eher dem modernen Befreiungsnationalismus zuordnen würde.
Der Nationalismus kann sich mit anderen Ideologien verbinden. So gibt es nationalkonservative, nationalliberale, nationalsozialistische und nationalkonservative Strömungen. Laxness verstand den Kommunismus als wirksame Befreiungslehre gegen den Imperialismus des 20. Jahrhunderts, der auch sein Volk bedrohte.
Laxness hätte kein Verständnis dafür gehabt, wenn man um der Reinheit der marxistisch-leninistischen Lehre willen von ihm verlangt hätte, Volk und Nation als dominierende Lebenswirklichkeiten zu negieren. Am 8. November 1939 schrieb er in einer isländischen Zeitung: »Der Imperialismus hat nichts mit Nationalität zu tun, sondern ist seiner Natur nach eine internationale Verschwörung von Dieben, die allzeit bereit sind, sich darum zu schlagen und zu prügeln, wer das Vorrecht haben sollte, die Welt zu bestehlen und zu plündern, unschuldige Völker zu knechten, sich die Reichtümer der Nationen anzueignen und diese zu ihrem Zweck zu versklaven; und die Methode, ihre noblen Interessen zu verfolgen, ist die, die Nationen in Blut zu ertränken.«
Gegen den Imperialismus
Freilich erkannte Laxness damals nicht, daß alle diese negativen Kennzeichnungen auch auf den Sowjetimperialismus zutrafen. Dies ging ihm erst andeutungsweise auf, als er im Zuge der Entstalinisierung nach 1953 seine kommunistische Verbohrtheit verlor und 1956 durch die sowjetische Vergewaltigung Ungarns geschockt wurde.
Worauf gründete die nationale Einstellung des Isländers Laxness? Maßstab gerade für eine kleine Nation ist, so Laxness, die Kultur, die sie hervorbringt. Er selbst fühlte sich berufen, in diesem Sinne die kleine isländische Kulturnation in die Modernität des 20. Jahrhunderts zu führen. 1932 brachte er es in einem Brief auf die Formel: »Es ist ein Unglück für einen Schriftsteller, in einem kleinen Land am Rande der Welt geboren zu sein, verdammt zu einer Sprache, die keiner versteht. Aber ich hoffe, daß die Steine Islands eines Tages zur ganzen Welt sprechen werden, durch mich.«
Die Verleihung des Nobelpreises für Literatur (1955) bestätigte ihm, daß sein Werk »Land und Volk zu Ruhm und Ehre« gereichen konnte. Nationalität und Humanität gehörten für ihn, wie er beim Empfang des Preises betonte, zusammen: »Wenn ein isländischer Dichter seine Herkunft vergißt, die in der Tiefe der Volksseele liegt, dort, wo die Saga zu Hause ist, wenn er seine Verbindung und seine Verpflichtung gegenüber dem bedrohten Leben verliert, dem Leben, das mich meine alte Großmutter gelehrt hat, dann ist der Ruhm so gut wie wertlos; und ebenso das Glück, das Geld beschert.«
Für die Freiheit seines Volkes
Ein Hurrapatriotismus war nicht Laxness‘ Sache. Im Mai 1939 sagte er bei einem Treffen sozialistischer Jugendverbände auf Island: »Nicht der ist der größte Patriot, der die Heldensagen der Nation am lautesten preist und ständig die Namen der berühmtesten Männer auf den Lippen führt, sondern der, der zugleich auch die Leiden seines Volkes versteht, den schweigenden Kampf der zahlreichen namenlosen Menschen, die es nie auf die Seiten der Geschichtsbücher gebracht haben … Der Patriot erkennt nicht nur die Stärke seines Volkes und dessen Erfolge gebührend an, er weiß auch, besser als jeder andere, wo die Erniedrigung am bittersten, die Niederlage am größten war.«
Das Wissen um die jahrhundertelange dänische Unterjochung Islands sensibilisierte Laxness für den Freiheitskampf seines Volkes. Erst am 1. Dezember 1918 konnte die bedingte Unabhängigkeit Islands errungen werden; der dänische König blieb jedoch in Personalunion noch Staatsoberhaupt der Republik (!) Island.
Am Unabhängigkeitstag des Jahres 1935 durfte Laxness bei den Feierlichkeiten die Hauptrede halten, die vom Rundfunk übertragen wurde. Er nutzte die Gelegenheit, um Befreiungsnationalismus und Volksfrontpolitik miteinander zu verknüpfen: »Wir stehen jetzt am Höhepunkt des Freiheitskampfes des isländischen Volkes: Isländische Männer, isländische Frauen, nehmt den Kampf noch heute auf, haltet diesen Tag der Unabhängigkeit und der Freiheit heilig, indem ihr euch vereint in der Volksfront, der Union aller Kräfte… gegen die ausländische und inländische Unterdrückungsmacht in Form des Bankenkapitals, des Finanzgroßkapitals, dieser schlimmsten Feinde der lebendigen und sich mühenden Menschheit auf Erden, die auch in diesen Tagen danach streben, ihre Pranken auf unser Land zu legen, auf jede einzelne atmende Brust.«
Erst 1944 erlangte Island die völlige Trennung von Dänemark. Laxness: »Es war bemerkenswert, wie jeder Einwohner des Landes in diesen Tagen das Leben der Nation als sein eigenes empfand, als ob jeder Mensch, gebildet oder ungebildet, die lebendige Geschichte des Landes in seiner Brust spürte.«
Laxness war ein sehr merkwürdiger Kommunist, denn was er hier beschrieb, war nichts anderes als die punktuelle Realisierung eines uralten nationalistischen Ideals: des Gedankens der Volksgemeinschaft. Dem isländischen Befreiungsnationalismus setzte Laxness mit seinem Roman »Die Islandglocke« (3 Bde., 1943 – 1946; deutsch: 1951 bzw. 1993) ein Denkmal. Die Glocke wird darin zum Symbol für Erniedrigung und Wiederauferstehung des isländischen Volkes.
Im Kampf gegen die USA
Weist »Die Islandglocke« ins 17. und 18. Jahrhundert zurück, so spielt der Roman »Atomstation« (1948, deutsch: 1955 bzw. 1993) in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit diesem Roman und zahlreichen Artikeln kämpfte Laxness gegen die Abtretung von Landrechten an die USA (zwecks Errichtung eines militärischen Stützpunktes). Seine Parolen lauteten damals: »Island darf nie eine Atomstation ausländischer Kriegsgewinnler werden« und »Wir Isländer wollen das uneingeschränkte Hoheitsrecht über unser ganzes Land«.
In deutscher Sprache ist das großartige Erzählwerk dieses Isländers inzwischen in der elfbändigen Werkausgabe (abgeschlossen 2002) leicht zugänglich. Im Dritten Reich konnte nur ein Titel des Autors erscheinen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Laxness in der DDR stark gefördert, obwohl seine fiktionalen Werke nur in sehr begrenztem Umfang Träger einer sozialistisch-kommunistischen Botschaft waren und auch nicht den Vorgaben des sozialistischen Realismus entsprachen.
1958, zu einem Zeitpunkt, als er schon stark von seiner früheren kommunistischen Begeisterung abgerückt war, mokierte sich Laxness in einem Brief an seine Frau über die »miese Atmosphäre in Ostdeutschland«. Für die Politik der DDR hatte er nur ein vernichtendes Urteil übrig: »Ich glaube, Ostdeutschland verdient den Preis des übelsten Dreckslandes, in das ich je gekommen bin, schließlich geht es nicht mit rechten Dingen zu, daß innerhalb weniger Jahre 3 Millionen Menschen aus dem Land geflohen sind. Im Vergleich zu den Bevölkerungszahlen in Skandinavien wäre es dasselbe, wenn in weniger als zehn Jahren alle Norweger aus Skandinavien fliehen würden.«
Wenig schmeichelhaft ist auch, was Laxness 1970 einem Freund über die Untertänigkeitshaltung in beiden Teilen Rumpfdeutschlands mitteilte: »Übrigens, wie ich aus den beiden Teilen Deutschlands höre, sind alle mit ihren jeweiligen Besatzungstruppen zufrieden.« Eine solche Beobachtung verwundert nicht: Laxness´ Blick war durch die Beschäftigung mit der jahrhundertelangen dänischen Besatzungspolitik in Island hinreichend geschärft.
Josef M. Rauenthal
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