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jeudi, 29 avril 2010

Das Geheimnis von Sonne und Stahl: Yukio Mishimas Sun and Steel (1972)

Das Geheimnis von Sonne und Stahl: Yukio Mishimas Sun and Steel (1972)

Matthias Schneider  

Ex: http://www.blauenarzisse.de/ 

sunsteel.jpgYukio Mishima war sicherlich eine der schillerndsten, exzentrischsten und interessantesten Figuren, die je das Licht der literarischen Welt erblickten. Hierzulande erfreuen sich seine Werke wie Geständnis einer Maske, Patriotismus, Schnee im Frühling oder Liebesdurst großer Beliebtheit – dies jedoch zumeist innerhalb eines eher kleinen Zirkels. Man könnte also von einem „Geheimtip“ sprechen. Dabei dürfte dieser Mann bei weitem kein Unbekannter sein. International berühmt und sogar zwischenzeitlich im Gespräch für den Literaturnobelpreis gilt Mishima als einer der Exportschlager aus dem Land der aufgehenden Sonne.

Tod durch traditionelles Selbstmordritual

Abgesehen von seinen sprachlichen Fähigkeiten, welche sich durch einen ausgeprägten Wortschatz und einen unverhohlenen Ästhetizismus auszeichnen, sind besonders die tragischen wie extremen Umstände seines Ablebens vielen in Erinnerung geblieben. Der Mann, der am 25. November 1970 nach einem gescheiterten Restaurationsversuch und eigenem Treuebekenntnis zum japanischen Kaiser Seppuku Selbstmord beging, schockte damit sicherlich nicht nur seine Bewunderer und Leser. Auch die Medien zeigten großes Interesse an den Umständen und Hintergründen dieser spektakulär inszenierten Selbstentleibung.

Zwischen Körperkunst und schöngeistiger Kunst

Mishima wählte diese Methode des Freitods nicht zuletzt, weil er sich den Samurai verbunden fühlte. Sein jahrelanger Kraftsport und die mit militärischer Strenge ausgeübten Kampfkünste geben ein Zeugnis hiervon. Überhaupt gehörte das Formen des eigenen Körpers zu Mishimas Hauptbetätigungsfeldern. Welcher Art sein Selbstverständnis in Bezug auf seine sportlichen Aktivitäten war, erläutert Mishimas autobiographischer Essay Sun and Steel. Leider wurde dieser bis jetzt nicht ins Deutsche übertragen.

Die Symbole Sonne und Stahl

Die Sonne war für Mishima aufgrund seiner Erfahrungen im Krieg lange negativ besetzt. Sie spiegelte sich im Blut der gefallenen Soldaten und beschien die leblosen Körper. Mishima schätzte den Schatten, arbeitete fast ausschließlich zur nächtlichen Stunde. Doch diese Wahrnehmung verändert sich im Verlauf von Sun and Steel. Hier wird sie mitunter zum Lebens- aber auch zum Todessymbol, jedoch durchweg positiv konnotiert. Der Stahl wiederum steht als Synonym für die Gewichte, welche Mishima zehn Jahre zu einem fast religiös anmutenden Bestandteil seines Lebens werden ließ. Sie stellen als Abbild der Welt einen Kontrast zu seinen Muskeln dar, welche für ihn selbst stehen und durch den Stahl geformt werden. Zu deuten ist dies als Ausdruck der Überschneidungen zwischen dem „Selbst“ und der „Umwelt“.

Von Ameisen und Bäumen – Die zwei Pole der Wahrnehmung

Mishima unterschied zwei grundlegende Pole seiner Wahrnehmung: Zum einen die Worte, welche natürlich unmittelbar mit seiner Arbeit als Schriftsteller verbunden waren. Zum anderen identifizierte er das, was er als eigentliche Realität bezeichnete und auch das Bewusstsein des eigenen Körpers beinhalte. In seiner Welt markierten diese beiden Pole einen Zwiespalt. Im Gegensatz zu anderen Menschen, bei denen ein Körperbewusstsein bereits vor dem Umgang mit Wörtern auszumachen ist, attestierte sich Mishima in Hinblick auf seine eigene Person einen Vorrang der Worte. Dieser Vorrang würde sich über seine gesamte Kindheit und Jugend erstreckt haben. In Sun and Steel benutzt Mishima hierfür das Bild eines Baumes (Körper/Realität) mit weißen Ameisen (Worte). In seinem Fall prognostiziert er den Zerfall des Baumes durch das Einwirken der Ameisen, welcher schon einsetzte, bevor dieser wirklich wachsen konnte. Schlussendlich hätten die Ameisen (Worte) damit nicht nur den Baum zerstört oder unterdrückt, sondern auch sich selbst aufgehoben.

Künstlerisches Schaffen als „Verklärung von Wirklichkeit“

Mishima sah den Umgang mit der Sprache innerhalb seines eigenen literarischen Wirkens als eine auf Individualität beruhende Art der Verklärung von Wirklichkeit. So schildert er in diesem Essay ein Erweckungserlebnis bei einer religiösen Zeremonie. Bei dieser tragen junge Männer, allerdings von anderer Statur als er, einen Schrein und blicken dabei scheinbar von Lust erfüllt oder vom Schmerz gequält zum Himmel. Er beteiligt sich hieran und wird durch den eigenen Blick zum Himmel, welcher zugleich durch sein eigenes Aufgehen in der religiös-ekstatischen Masse markiert wird, mit einer anderen Bewusstseinsebene konfrontiert.

Es bemächtigte sich seiner ein Gefühl von Transzendenz. Im Stählen des eigenen Körpers sieht der Erweckte von nun an einen Weg, diesen Zustand dauerhaft herbeizuführen. Es geht ihm darum, ein Gleichgewicht zwischen Intellektualität und maskuliner Körperkraft zu schaffen. Die Worte entsprachen bisher nur dem Sehen im Sinne eines Selbstbewusstseins. Nun solle sich ein Gefühl der wahren Existenz verwirklichen, welches Mishima als eine Harmonie von innerem Bewusstsein und dem Ruf einer äußeren Stimme zu erkennen glaubt.

Körperkultur als Schlüssel für das Erreichen von Transzendenz

Die Einheit von innerem Streben und alltäglicher Pflicht stellte für Mishima ein höchstes Ideal dar, was somit auch einen möglichen Endpunkt des Lebens markierte. Auf diesen bereitet sich der wahre Krieger durch seine körperliche Arbeit vor. Mishima weist explizit darauf hin, dass ein tragischer und heroischer Tod, welcher für ihn das Ideal darstellte, nicht durch Muskelschwäche und Schlaffheit des Körpers zu verwirklichen ist.

Auf diese Weise gewährt seine Schrift einige recht persönliche Einblicke, die seine körperlichen Aktivitäten als Weg zur Transzendenz und so auch zum eigenen Tod verständlich machen. Besonders deutlich wird dies, wenn Mishima die Wirkung eines kalten Windhauchs auf seiner vom harten Training schweißglänzenden Haut beschreibt: eine Art betäubendes Gefühl entfaltet sich, so als spüre der Kämpfer seine Muskeln, seinen Körper nicht mehr. Jeder, der seinen Körper ähnlich in Schuss hält, wird dieses Gefühl sicher schon einmal am eigenen Leib erfahren haben.

Sun and Steel als Zugang zu Mishimas Selbstverständnis

Besonders interessant an Mishimas Schrift ist die unbestreitbare Tiefgründigkeit seiner Reflexionen über die Rolle des eigenen Körpers und seiner Wahrnehmung in einem scheinbar beständig fortwährenden Kampf. Speziell jene, welche schon ein wenig mit seiner Biographie vertraut sind, werden in diesem posthum veröffentlichten Werk ein wertvolles Utensil zum besseren Verständnis von Mishimas Selbstbild erkennen. Aber auch für diejenigen, denen der japanische Dichter noch unbekannt ist, lohnt sich die Lektüre.

Yukio Mishima: Sun and Steel. Kodansha America 1994. 107 Seiten. Englisch

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