Die Position des Westens in der Syrien-Frage ist eindeutig: Assad muß so schnell wie möglich weg, damit Menschenrechte, Demokratie und Freiheit endlich auch dort herrschen. So will man es zumindest den eigenen Bürgern verkaufen. BN-Autor Robin Classen hat dieses „seltsame Schauspiel“ bereits kritisiert. Im Gespräch mit dem Nahost-Experten Manuel Ochsenreiter bohrt er nun nach den Hintergründen der Konflikte in und um Syrien.
BlaueNarzisse.de: Herr Ochsenreiter: Sie sind Chefredakteur des Monatsmagazins ZUERST! und fallen dort vor allem durch sehr klar positionierte und auch umstrittene Kommentare zur Außenpolitik, insbesondere im Nahen Osten, auf. Können Sie uns kurz Ihren Werdegang und ihre außenpolitische Erfahrung schildern? Manuel Ochsenreiter: Im Jahr 2004 wurde ich Chefredakteur der Deutschen Militärzeitschrift (DMZ). Neben Militärgeschichte und -technik beschäftigt sich die DMZ – für die ich heute noch schreibe – auch mit internationaler Sicherheitspolitik und Geopolitik. Die zentrale Frage lautet immer: Was geht das uns als Deutsche an? Inwiefern betrifft es uns? Und falls es uns betrifft: Wie definieren wir unsere nationalen Interessen? Nach dem sogenannten „Sommerkrieg“ zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah im Jahr 2006 schickte auch die Bundesregierung im Rahmen der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen deutsche Fregatten in den Einsatz vor der libanesischen Küste. Für mich als DMZ-Macher war das natürlich besonders interessant. So entstanden nach langer intensiver Vorbereitung mehrere Interviews und Reportagen über die Hisbollah im Libanon. Ich wollte etwas anderes machen als alle anderen. Ich finde es immer spannend, dorthin zu gehen, wohin die anderen – etablierten Medien – nicht gehen. Seit dieser Zeit bereise ich intensiv den Nahen Osten, führe Gespräche und Interviews mit genau jenen Leuten, an die oftmals die etablierten deutschen Medien nicht oder nur sehr schwer rankommen – Angehörige der libanesischen Hisbollah, der palästinensischen Hamas, arabische Nationalisten, Widerstandskämpfer, auch die Anwältin des ermordeten irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein habe ich bereits interviewt und eine Homestory über sie geschrieben. „Umstritten“ ist dabei lediglich die Frage, ob man mit diesen Leuten überhaupt sprechen sollte. Als Journalist kann ich solche Einwände aber absolut nicht nachvollziehen. In ZUERST! setze ich als Chefredakteur diese Arbeit natürlich fort. Auch dort heißt die Devise: Während andere „nur“ darüber schreiben, gehen wir direkt dorthin, wo die Musik spielt. Und da wären wir schon wieder bei Syrien oder dem Iran. Sie sind viel gereist, waren nun auch schon mehrfach in Syrien. Welchen Eindruck hatten Sie vom politischen, sozialen und wirtschaftlichen System dort unter Herrscher Assad? Ich war nie lange genug dort, um umfassend darüber urteilen zu können. Das maßen sich jene Kollegen an, die von ihren beheizten Büros und ergonomisch geformten Redakteurssesseln gerne über andere Staaten und deren Völker urteilen und Ferndiagnosen abgeben. In vielen Gesprächen mit Syrern habe ich früher – vor 2011 und dem sogenannten „Arabischen Frühling“ – immer wieder Kritik gehört. Vieles sei schwierig, vor allem junge Studenten beklagten sich über fehlende Perspektiven. Die Ursache wurde aber nicht nur bei Assad und seiner Regierung gesehen, sondern in der internationalen Isolation und den Embargos (die es bereits lange vor den aktuellen Ereignissen gab). Heute demonstrieren diese Leute übrigens für ihre Regierung und sind nicht etwa Teil der sogenannten „Oppositionsbewegung“. Interessanterweise hat aber auch das deutsche Bundeswirtschaftsministerium Syrien noch im Jahr 2011 eine positive Prognose ausgestellt. Noch im Februar 2011 – wenige Wochen vor der internationalen Kampagne gegen Damaskus – bereiste eine deutsche Wirtschaftsdelegation das Land. Staatssekretär Bernd Pfaffenbach kommentierte damals enthusiastisch: „Syrien ist nicht nur ein Land mit einer großartigen Kultur, die weit in die Zeit vor dem Islam oder dem Christentum zurückreicht; Syrien hat auch im Bereich der Wirtschaft viel zu bieten. Der wirtschaftliche Austausch zwischen Deutschland und Syrien ist bereits intensiv. Es besteht schon heute eine gute Zusammenarbeit. Wir beobachten mit großem Interesse, dass sich Syrien modernisiert. Das Land entwickelt sich konsequent auf dem Weg zu einer sozialen Marktwirtschaft.“ Nur kurze Zeit später wollte man von all diesen positiven Bewertungen nichts mehr wissen. Warum wohl? Einige Randmedien in Deutschland behaupten, die Presseberichterstattung über Syrien sei stark manipuliert, Meldungen einer dubiosen kleinen Nachrichtenagentur aus London würden unhinterfragt von allen großen Medien herangezogen. Wie sehen Sie das? Findet in der syrischen Medienlandschaft eine kontroverse Diskussion statt oder ist man auch dort gleichgeschaltet? Das Problem ist grundsätzlich die Informationslage. Das Londoner Syrian Observatory for Human Rights, welches Sie erwähnen, „versorgt“ in der Tat die westlichen Mainstreammedien mit Horrornachrichten aus Syrien. Diese Meldungen werden von den Redaktionen weder überprüft noch hinterfragt – eigentlich ein Unding! Sie bezeichnen das Observatory als eine „Nachrichtenagentur“. Bereits das ist falsch. Diese Beobachtungsstelle sitzt in einem Tante-Emma-Laden in der britischen Hauptstadt. Nur zwei Personen, der Betreiber und eine Sekretärin, arbeiten dort – schießen aber dafür eine Unmenge an Meldungen über angebliche Verbrechen der syrischen Sicherheitskräfte in die Medienwelt, die diese bereitwillig aufsaugt und weiterverbreitet. Stets natürlich mit dem Hinweis „...nach Angaben der syrischen Opposition.“ Woher diese sogenannte „Beobachtungsstelle“ ihrerseits ihre Informationen bezieht, bleibt im Dunkeln. Zudem soll der Betreiber der Beobachtungsstelle wiederum der Muslimbruderschaft nahestehen, also einer Organisation, die mit Waffengewalt gegen die syrische Regierung kämpft und das nicht erst seit einem Jahr. In den „Berichten“ wird diese Nähe zur Muslimbruderschaft freilich verschleiert. Derzeit sitzt das westliche Publikum wohl einer riesigen Desinformationskampagne auf, geboren in einem Londoner Ladengeschäft, verbreitet durch die großen etablierten Medien. Das ganze wirft ein schlechtes Licht auf die großen Medienhäuser. Daß nun vor allem die kleineren, unabhängigen und geistig beweglicheren Medien – sowohl von links als auch rechts – diesen Mißstand aufspießen, ist bitter notwendig. In Syrien wird die westliche Kampagne durchaus diskutiert. Mit ihren Satellitenschüsseln empfangen die Syrer auch ausländische Kanäle. Es ist oftmals erschreckend, was sie dort zu sehen bekommen. Etwa dann, wenn salafistische Prediger aus Saudi-Arabien die syrischen Bürger auffordern, gegen Assad zu kämpfen und sagen, nach dem „Sieg“ würde man die Alawiten ermorden und die Christen vertreiben. Im Westen hört man freilich wenig oder gar nichts darüber. Natürlich berichten die öffentlich-rechtlichen Medien in Syrien über die Desinformationskampagnen aus dem Westen. Was sehen Sie als Grund für das Aufbegehren der Bevölkerung an: Sind es wirtschaftliche oder soziale Probleme, will das Volk wirklich eine Demokratie oder steht hinter den „Allahu akbar“-Demonstrationen der internationale Islamismus?
Ich sehe derzeit nur ein „Aufbegehren der Bevölkerung“, wie Sie es beschreiben, gegen die ausländische Einmischung in syrische Angelegenheiten. Als im vergangenen Jahr die sogenannten „Tage des Zorns“ dort begonnen haben, gab es keine großen Demonstrationen. Die Situation in Syrien ist nicht mit der beispielsweise in Ägypten vergleichbar, wo Massen an Menschen tage- oder gar wochenlang auf öffentlichen Plätzen ausharrten, um gegen die Regierung zu rebellieren.
Das versteht man hier im Westen nicht, wo Medien und Politik gerne grobschlächtig alles vereinheitlichen und vereinfachen wollen. Die Demonstrationen fanden vor allem nach den Freitagspredigten statt, und nur wenige Aktivisten nahmen daran teil. Viele Fernsehbilder, die wir zu sehen bekamen und die Massen an Menschen zeigten, stammten in Wirklichkeit gar nicht aus Syrien, sondern aus anderen arabischen Staaten. Die größten Demonstrationen, die das Land jemals gesehen haben dürfte, finden stattdessen für Assad statt. Doch diese Massenversammlungen, auf denen die religiösen Führer des Landes – Christen und Muslime –, syrische Popstars und Künstler ihre Solidarität mit ihrer Regierung bekunden, werden bei uns wiederum entweder ignoriert oder kleingeredet – außer in den von Ihnen bereits genannten „Randmedien“. Auch die ZUERST! brachte in der Vergangenheit zahlreiche Berichte aus erster Hand und veröffentlichte Interviews zu diesem Thema. Natürlich wünscht sich ein Großteil der Syrer Reformen, aber keine Revolution gegen Assad. Dieser galt und gilt dort – man will es bei uns ja kaum glauben – als Reformer. Die neue Verfassung, über die jetzt trotz der bürgerkriegsähnlichen Zustände in manchen Städten abgestimmt wurde, begrüßt man dort einhellig. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete diese Verfassung übrigens als „Farce“, obwohl er sie nicht einmal gelesen haben dürfte. In wenigen Tagen erscheint der zweite Teil dieses Gesprächs: „Nach einer westlichen Befreiung würden die Kirchen brennen!“
Das Gespräch führte BN-Autor Robin Classen. Hat Ihnen dieses Gespräch gefallen? Dann übernehmen Sie eine Autorenpatenschaft für ihn. Mehr darüber hier.
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