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jeudi, 10 mars 2016

Die geistig Toten

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Die geistig Toten

von Carlos Wefers Verástegui
Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der spanische Reaktionär Juan Donoso Cortés (18091853) bemerkte im Zeitalter der Revolutionen wie der Verfall des Glaubens zum Verfall der Wahrheit führt.

Dem Aufbegehren gegen Gott entspricht der Verstandeshochmut, die Emanzipation der Menschheit von Gott bestätigt diese in ihrem eigenen Schöpfertum. Das wiederum erzeugt in ihr den Glauben an sich selbst, an ihre eigene Göttlichkeit. Der Irrtum, nicht nur in Metaphysik und Glauben, wird so mit Notwendigkeit zum ständigen Begleiter einer jeden unabhängigen Vernunft. Die Wahrheit haben die einmal unabhängig, selbständig und hochmütig gewordenen Verstände der Menschen unwiederbringlich verloren und damit einen geistigen Tod herbeigeführt.

Aufklärung führt zu Agnostizismus und geistigem Tod

Die (geistig) Toten sind jedoch nicht mit den Ungebildeten und Idioten gleichzusetzen. Es ist nämlich eine bestimmte Bildungsrichtung, die das geistige Totsein unserer Zeitgenossen verbürgt: die aufklärerische. Diese Bildung gibt sich gern fortschrittlich und kritisch und will zu Mündigkeit und Toleranz erziehen. Gegen den christlichen Glauben ist sie nur vordergründig neutral. Allein die Neutralität gegen den Glauben aber würde von sich aus schon ausreichen, diesen herunterzusetzen und zu zersetzen.

Bei der Neutralität bleibt es niemals. Erklärtes Ziel ist nämlich, den Zweifel, ohne nach seiner Vernunft oder Berechtigung zu fragen, in aller Herzen zu säen. Diese Bildung, die viel eher Verbildung heißen müsste, bringt den Agnostizismus hervor. Mit der Fähigkeit zum Glauben fällt aber auch die Fähigkeit zur Wahrheit überhaupt. Juan Donoso Cortés hat das so dargestellt: „Die Verminderung des Glaubens, die die Verminderung der Wahrheit herbeiführt, führt nicht zwangsläufig zur Verminderung, sondern zur Abirrung des menschlichen Verstandes. Gnädig und zur selben Zeit gerecht, hält Gott den schuldigen Verständen die Wahrheit vor, das Leben [d.h. das physische Leben; C.W.V.] aber hält er ihnen nicht vor. Er verurteilt sie zum Irrtum, zum Tode jedoch verurteilt er sie nicht.“

juan782204097987.jpgDer Tote irrt grundsätzlich

Der (geistig) Tote ist also einem verhängnisvollen Irrtum erlegen, ohne auch nur das Geringste davon zu ahnen. Das springt bei einem Gespräch mit ihm sofort ins Auge: der Tote gibt sich interessiert und beteiligt. Er scheint auf sein Gegenüber einzugehen. Tatsächlich liegt ihm jedoch nichts an alledem. Er will nur sich selbst wiederfinden und dazu noch gut unterhalten sein. Anstatt einer fordernden Aufgabe will er Bestätigung. Aus diesem Grund lässt sich nichts Vernünftiges anfangen mit ihm. Man kann nichts von ihm fordern, nichts von ihm verlangen, man kann ihn nicht in die Pflicht nehmen. Der Tote kann dabei über ein außerordentliches Wissen verfügen und sogar intelligent sein; an zwei entscheidenden Dingen fehlt es ihm jedoch: an der notwendigen Einsicht sowie an der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis.

Der Tote ist und bleibt Skeptiker, nicht nur in religiösen Fragen. Fichte hat das wunderbar in seinen „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters“ dargestellt. Diesem „Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit“ wird es Fichte zufolge „der Gipfel der Klugheit sein, an allem zu zweifeln und bei keinem Dinge über das Für oder das Wider Partei zu nehmen: in diese Neutralität, diese unbestechbare Gleichgültigkeit für alle Wahrheit wird es die echte und vollkommene Weltweisheit setzen“. Die unerkannte Wahrheit des Skeptizismus ist daher seine Gleichgültigkeit und Selbstgefälligkeit. Beide haben das Privileg, sich allen und allem überlegen dünken zu dürfen. Die gleichgültige, einer geistigen Leichenstarre entsprechenden Störrigkeit und kecke Aufmüpfigkeit wird dabei allzu gern als Unerschütterlichkeit ausgegeben.

Statt Vernunft gibt’s in Wahrheit nur Gefühlspantheismus

Damit auch kein Zweifel darüber besteht, dass der Tote auch wirklich geistig vollkommen hinüber und mausetot ist, ergeht er sich in allerlei Inkonsequenzen. Die wichtigste Inkonsequenz besteht darin, trotz der Skepsis Wahrheiten anzunehmen. Statt Wahrheit gibt es allerdings nur Gefühlsanwandlungen: Gemütszustände, Neigungen, Empfindungen wie Wohlwollen, Beifall, Fürsprache, aber auch ein Organ für all das, was einem „gegen den Strich“ geht. Anstatt Vernunft gibt es beim Toten Gefühlspantheismus. Allein, dass es sich hierbei um Pantheismus handelt, ist wichtig festzuhalten. Der Pantheismus reflektiert nämlich, wie der Philosoph Paul Yorck von Wartenburg unterstrich, keine Gottes-​, sondern eine Weltauffassung. Gefühlsmäßig und somit unvernünftig wird das Ganze dadurch, dass der Gott der Welt – der Mensch, seine Gesellschaft und Geschichte – wesentlich unerkennbar ist. Im Gefühl, nicht in der Ratio, geben sich dann die Hand der Pantheismus und der Agnostizismus. Das Menschenbild ist damit von Grund auf gefälscht und unrichtig.

Wer genau wissen will, ob er es mit einem Toten zu tun hat, braucht nicht erst darauf zu warten, dass dieser ihn zur Weißglut bringt. Er reicht vollkommen aus, sein Verständnis von Wahrheit zu prüfen. Auch ist es sehr ratsam, seine Redlichkeit auf die Probe zu stellen. Zuallerletzt wird dann sein Ehrgefühl unter die Lupe genommen. Jeder, der bei dieser Untersuchung durchfällt, hat für geistig tot zu gelten. Schon bei der Wahrheitsfindung kommt heraus: Niemals kommt der Tote über die Frage des Pilatus hinaus „Was ist Wahrheit?“ Das ist nur natürlich, denn, wer sind sie, die Toten, eigentlich, um über die Wahrheit oder Unwahrheit zu entscheiden?

Schlechte Schauspieler, die den Sokrates spielen

Würden sich die Toten darauf beschränken, nur sich selbst dieser Entscheidung, was Wahrheit ist und was nicht, zu entheben, wären sie weniger lästig. Nun stellen aber die Toten ihrerseits die Forderung: „Du musst es genauso machen wie ich. Wer bist du, der du dich anmaßt, die Wahrheit zu kennen?“ Gegen diese Frage – es ist keine Dummheit, sondern Absurdität! –, die bei allem mitschwingt, was die Toten so von sich geben, kommen selbst Götter nicht an. Zu sehr gefallen sie sich nämlich in der Rolle des sokratischen Fragers.

Dabei halten sie dazu noch die Köstlichkeit ihres Selbsterlebnisses für den Beweis ihrer eigenen Göttlichkeit. Dass sie nur eine Rolle spielen, noch dazu schlecht, ansonsten aber keine kompetenten Jünger von Sokrates sind, zeigt ihr Unmut: werden sie selbst hinterfragt, kommen die üblichen, großen und kleinen Gemeinheiten, die Unkenrufe und die Kindereien. Zum platonischen Dialog als einem Musterbeispiel für eine rationale Erörterung, selbst verschiedenster Argumente und sogar von Gegenpositionen, taugen sie nicht. Auch ist er ihnen verhasst, denn der platonische Dialog soll nicht unterhalten, er dient der Wahrheitsfindung.

juansello_donoso-cortes.jpgDie Wahrheit ist verhasst und muss unmöglich gemacht werden

Die Verhasstheit der Wahrheit ist der Grund, warum tote Menschen sie auf verschiedene Weise unmöglich machen. Dazu bieten sich drei Kunstgriffe an: Verbot, sterile Diskussion und Verneinung. Das interessanteste Wahrheitsvergütungsmittel ist bei weitem die sterile Diskussion: Wird der Toten darauf hingewiesen, wie unzulänglich er selbst und, mit ihm, seine Argumente sind, reagiert er auf eigentümliche Weise: er tut so, als hörte er nicht oder nur sehr schlecht. Das Überhören, Weghören, Durcheinander– und Falschhören ist der Toten täglich Brot.

Eine andere Möglichkeit der Abwehr in der Diskussion ist die von den Toten geübte, besondere Verstehenskunst: das bald gepflegt, bald wild auftretende Missverständnis. Sagt einer z.B. „hüh“, versteht der Tote grundsätzlich „hott“. Wer sich einem Toten gegenüber traut, Allgemeines über die Wahrheit zu sagen, muss in Kauf nehmen, dass dieser kontert: „Das ist deine persönliche Meinung“ bzw. „Das ist deine persönliche Sichtweise“. Will jemand die Unanfechtbarkeit logischer Sätze beweisen, platzt der Tote aus sich heraus: „Das ist Behauptung!“ und „Das muss nicht immer so sein!“ Wer dem Toten gegenüber ausführt: „Dinge, die die Moral und das Zusammenleben betreffen, können nicht von jedermann begriffen werden. Es ist besser, sie der breiten Masse als Dogma vorzuschreiben“, erntet für gewöhnlich Geschrei und Gekeife: der Tote schreit empört Zetermordio – ob der vom autoritären Bösewicht gemeuchelten Demokratie.

Der Rationalismus hat die Leute unfähig für die Wahrheit und somit tot gemacht

Unerreicht in ihrer Klassizität ist die Darstellung von Donoso Cortés in seinem berühmten Essay über den Katholizismus, den Liberalismus und den Sozialismus, in dem er sich mit der pathologischen Unfähigkeit zur Wahrheit des vom Rationalismus verwirrten Menschen beschäftigt. Der in einem fatalen Irrtum gefangene Mensch, dessen Kopf unumkehrbar verworren und verkehrt ist, ist keine philosophisch-​theologische Hypothese, er ist wirklich. Der geistige Tod, aus dem niemand mehr zurückkehrt, ist unlängst Realität von Millionen von Mitmenschen.

Die Gefahr, die von diesen Toten ausgeht, ist nicht zu unterschätzen. Gerade weil die Toten den wenigen wirklich Lebendigen zahlenmäßig überlegen sind, und noch dazu die politischen und Bildungseliten stellen, ist der Katastrophenfall permanent: es ist der Normalfall. Die alte Frage, ob die Welt nicht zum Irrenhaus geworden ist, ist mit „Ja“ zu beantworten. Aber mehr noch als ein Irrenhaus ist es ein Totenreich.

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