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dimanche, 06 avril 2014

Der konservative Ultra

Der konservative Ultra

von Carlos Wefers Verástegui

Ex: http://www.blauenarzisse.de

 

Heinrich_Leo.jpgHeute ist der preußische Historiker Heinrich Leo vergessen. Dabei gehörte dieses „Enfant terrible der Reaktion“ zu den originellsten und bekanntesten Konservativen des 19. Jahrhunderts.

Das Attribut „Enfant terrible der Reaktion“ stammt von seinem Biograph Christoph Freiherr von Maltzahn. Denn Leo (17991878) war einer der bekanntesten und streitbarsten deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts. Selbst aus dem konservativen Geschichtsbewusstsein dürften Leos Person und Werk fast gänzlich verschwunden sein. Das liegt vor allem an dessen Streitlust.

Ein konservativer Ultra…

Der liberale Theologe Karl Schwarz nannte Leo den „Höllenbreughel unter den Historikern“. Selbst konservative Gesinnungsgenossen der Kamarilla um Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, wie die Gebrüder Gerlach, konnten bei Leos Ausbrüchen nicht immer mitgehen. Mit Leopold von Ranke, ebenfalls ein konservativer Historiker, hatte sich Leo überworfen. Obwohl er gläubiger Protestant war, stand Leo innerlich dem Katholizismus nah, nicht nur wegen seiner „kultischen Neigungen“, die der nationalkonservative Historiker Georg von Below ihm attestierte: Die altlutherische, aber zugleich katholisch eingefärbte Liturgie, die Leos Vater, ein Garnisonsprediger, noch im weißen Chorhemd zelebrierte, hinterließ bei ihm einen bleibenden Eindruck.

Als konservativer Ultra hatte Leo politisch kein Auge für gemäßigt liberale Parteien, er kannte nur das „Entweder-​oder“. Leo stand inmitten einer Umbruchszeit gesellschaftlicher, politischer und geistiger Revolutionen, mit denen er sich lautstark auseinandersetzte. Er suchte den Konflikt. Nicht nur politisch blieb Leos Konservatismus Ausdruck der Zeit: er war vor allem Ausdruck seines Naturells.

…und revolutionärer Burschenschafter

Otto von Bismarck dagegen schätzte Leo sehr, sowohl als Menschen und Publizisten als auch als Ratgeber. Der junge Leo genoss die Aufmerksamkeit und Wertschätzung von Männern wie dem Philologen Karl Wilhelm Göttling, dem Turnvater Friedrich Ludwig Jahn, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Wolfgang von Goethe. Neben Göttling erhielt Leo vor allem Förderung von Jahn, welcher ihm das Studium der Philologie und Geschichte nahelegte. Auch Hegel unterstützte Leo nach Kräften. Leo blieb ihm wiederum zeit seines Lebens zu Dank verpflichtet, obwohl er die Junghegelianer später heftig kritisieren sollte.

Leo war eine unbändige Urnatur, die nur allzu gern auf Zwist aus war. Dies führte ihn als jungen Mann geradewegs zur Burschenschaft, die ihn wegen ihres Radikalismus anzog. Leo trug selbst die deutsche Flagge beim Wartburgfest. Zu dieser Zeit blieb er jedoch weder politisch noch religiös festgelegt. Mit Karl Ludwig Sand, dem Mörder des russischen Gesandten und Dramatikers August von Kotzebue, war Leo gut bekannt.

Romantik und Radikalismus

Die Ermordung Kotzebues am 23. März 1819 bedeutete für ihn eine Abkehr von der Burschenschaft. Leo gewann einen zunehmend konservativen Standpunkt. Romantische Motive und romantisches Gedankengut hatten ihn empfänglich für den Konservatismus gemacht. Hegels Philosophie ist es zu verdanken, dass dieser romantische Konservatismus Leos entwicklungsfähig war und es bis zuletzt auch blieb. Zur Religion zurück fand Leo über pietistische Kreise in Halle, wo er Professor für Geschichte war. Die Verschmelzung des Konservatismus mit einem aufrichtigen, christlichen Offenbarungslauben vollzog Leo, unterstützt vom Theologen August Tholuck und den Gebrüdern Gerlach.

Wie der Historiker Gerhard Masur bemerkt, war Leo „nach Temperament und Charakter kein Romantiker.“ Er nennt Leo zwar keinen Reaktionär, bezeichnet ihn aber dennoch als „energisch restaurativ.“ Masur stellt ebenfalls fest, dass Leo der „echteste Romantiker unter den Geschichtsschreibern“ war.

Knorrige Sittlichkeit

Früh eine Halbwaise geworden, sein Vater starb, als Leo 8 Jahre alt war, wuchs er in bescheidenen Verhältnissen im thüringischen Rudolstadt auf. Seine ausgeprägte Naturverbundenheit, ein angeborener bäuerischer Sinn sowie seine Freude am „Knorrigen“, und überhaupt allem, was Ecken und Kanten hat, haben ihn sein Lebtag begleitet. Die urgewaltige Freude am Raufen, die Streit– und Zanksucht, waren ihm genauso angeboren wie sein strenger Sinn für Sittlichkeit. Das erklärt auch Leos Vorliebe fürs Mittelalter, seine ungestüme Vorgehensweise und seine auffallende Verherrlichung des Krieges.

Von seinem radikalen Standpunkt aus verhöhnte Leo gnadenlos Humanität und bürgerliche Zivilisation. Motive und Einflüsse auf seinen Charakter blieben christlich-​pietistisch und allgemein romantisch. Der „mittelalterlichen Natur seines Geistes“, so der Historiker und Nationalökonom Wilhelm Roscher über Leo, entsprachen vollkommen seine barocke, bilderreiche Sprache sowie sein „heldisches Reckentum“, betont Masur.

Ein „frischer, fröhlicher Krieg“

Oberflächlich betrachtet erscheint Leos Kriegsverherrlichung in ihrer antibürgerlichen Zuspitzung unmenschlich. Doch eigentlich ist sie sehr tiefsinnig. 1853, zur Zeit des Krimkrieges, schrieb Leo: „Gott erlöse uns von der europäischen Völkerfäulnis und schicke uns einen frischen fröhlichen Krieg, der Europa durchtobt, die Bevölkerung sichtet und das skrophulöse (nach einem Halsdrüsengeschwulst, Red.) Gesindel zertritt, was jetzt den Raum zu eng macht, um noch ein ordentliches Menschenleben in der Stickluft führen zu können. Jetzt spielt noch die Canaille des materiellen Interesses (…) Ein einziger, ordentlicher, gottgesandter Kriegsregen würde die prahlerische Bestie mit wenigen Tropfen schon zum Schweigen gebracht haben.“

Maltzahn erklärt Leos Kriegsenthusiasmus: „In seiner Universalgeschichte bedauert Leo, dass man den Krieg in die Kategorie des Unglücks gebracht habe, während er dochein so notwendiges Lebensingredienz ist wie der Verkehr und sogar unvergleichlich viel mehr Tugenden der Liebe und Hingebung an höhere Dinge weckt und erzieht als der Friede. Er ist die Quelle von Disziplin, Zucht und des Ordnens der Massen, der Friede aber die Quelle der Zersplitterung der Massen, weil er das Bedürfnis nach schützenden Mächten schwächt. Äußerer Friede ist der Vater des Egoismus.

Kritik am Judentum

Politisch war Leo als junger Mann kein Konservativer. Was ihn mit dem Konservatismus verband, war die Ablehnung der Moderne. Diese Ablehnung war anfangs noch unreflektiert, das heißt mehr Instinkt denn Frucht einer Selbstbesinnung. In diesem Antimodernismus fügt sich auch seine fehlende Religiosität, der anfängliche Rationalismus Hegelscher Färbung sowie seine Ablehnung des Judentums als etwas innerlich der Moderne Verwandtem, betont der Historiker Christhard Hoffmann.

Überhaupt war Leos Verhältnis zum Judentum sehr gespannt, was in seinen Vorlesungen über die Geschichte des jüdischen Staates von 1828 zum Ausdruck kommt. Dort hatte er mit der Bemerkung, „Juden haben einen wahrhaft zerfressenden Verstand“, eine Beziehung zwischen dem Judentum und dem französischen Rationalismus der Aufklärung hergestellt.

Nach seiner religiösen Kehre änderte sich Leos Auffassung vom Judentum, dem er nun auch positive Aspekte zugestand. Nach wie vor schied er jedoch das Judentum vom Deutschtum, ohne jeweils Antisemit noch deutscher Nationalist zu sein. Seine Bewertung des Judentums vollzog sich ganz im Sinne des Individualitätsdenkens der „Historischen Schule“. Trotz seiner persönlichen Abneigung kam Leo nie dazu, es niedriger zu bewerten als das Deutschtum.

Juden seien anders, aber nicht schlechter als Deutsche, so Leo. Im Gegensatz zu den assimilierten erhielten die orthodox gebliebenen Juden seine Anerkennung. Seine Vorurteile gingen aber immerhin soweit, dass sie ihn davon abgehalten, sich rechtzeitig mit der Rechts– und Staatslehre Friedrich Julius Stahls, dem Führer der preußischen Konservativen und einem ehemaligen Juden, vertraut zu machen. Später bereute Leo diesen Fehler und pries die Einsicht und protestantische Orthodoxie Stahls.

Der konservative Ultra II

Heinrich Leo (17991878) war einer der ersten Theoretiker des modernen Konservatismus. Ferdinand Tönnies erkannte in ihm einen „überklugen Erzreaktionär“, Karl Marx wetterte gegen ihn.

Leo wandelte sich vom Gefühlsliberalen des frühen 19. Jahrhunderts zum Konservativen hegelscher Prägung. Dem ging eine intensive Lektüre voraus. Als Korrektiv zu Leos burschenschaftlichen Ansichten hatte der Rechtsgelehrte Karl Friedrich Eichhorn ihm die Lektüre von Karl Ludwig von Hallers Die Restauration der Staatswissenschaften empfohlen. Dazu kamen Edmund Burke, die französischen Traditionalisten Louis de Bonald, Joseph de Maistre, Augustin Barruel sowie von den deutschen Autoren vor allem Adam Müller.

Individualität setzt Glauben und Autorität voraus

Von Haller akzeptierte Leo jedoch nicht die rein privatrechtliche Patrimonialstaatstheorie, die besagte, dass die Fürsten vor allem als Eigentümer eines bestimmten, vererbten Territoriums legitimiert seien. Ebenso wenig konnte Leo dessen naturalistische Rechtfertigung des Staates als eines Gewaltinstituts akzeptieren. Trotzdem blieb er Haller in einigen seiner Gedankengänge sein Leben lang verpflichtet.

Leos eigene, unbändige Urnatur begründete ihrerseits ein ursprüngliches Verhältnis zur Gewalt. Den festesten Halt fand Leos Konservatismus allerdings im christlichen Offenbarungsglauben sowie im Prinzip der monarchischen Autorität und deren göttlicher Berufung. Individualität und Unabhängigkeit stehen bei Leo deswegen in einem Zusammenhang mit Glauben und Autorität. Sie liegen auch Leos antiliberalem Freiheitsbegriff der „Eigengeartetheit“ zugrunde, beziehungsweise der „Eigenheit“ und „Besonderheit“, die den Gedanken der historischen Schule und der Romantik entsprechen.

Die sinnliche Gewalt der Waffen

Obwohl Leo sich in vielen Punkten als konservativer Parteigänger entpuppte und auch sonst dazu neigte, Preußen und seine Monarchie zu verherrlichen, war er dezidierter Realist. Dem lag seine „Betrachtung des Seinsmäßigen und Zuständigen“ zugrunde, wie der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Kurt Mautz in seiner Einleitung zur Neuauflage von Leos Naturlehre des Staates von 1948 schrieb. In diesem Werk überrascht Leo unter anderem mit dieser Erkenntnis: „Alle sinnliche Gewalt also, inwiefern sie Staaten gründet sowohl als erhält, alle sinnliche Gewalt als politisches Element ist in letzter Instanzder Sieg der Waffen.“

Leos Realismus resultiert hier primär aus seinem bäurischen Wesen und seiner einfachen Herkunft. Dazu kommt die intensive, wenn auch noch nicht quellenkritische, geschichtliche Forschung. Ein weiteres Moment dieses Realismus bezog Leo von Hegel. Leos Offenheit für Machiavellis Machtlehre zum Beispiel verdankt Hegel so einiges. Als Historiker hatte Leo Machiavellis Briefe an seine Freunde 1826 ins Deutsche übersetzt und redigiert. Über seine Machiavelliinterpretation entbrannte schließlich der Streit mit dem Historikerfürsten des 19. Jahrhunderts schlechthin, mit Leopold von Ranke.

Ein Urgrund der Politik: Krieg und Gewalt

Leos romantischer Konservatismus hielt zwar ideell am Althergebrachten fest, erhielt aber, dank seines eigentümlichen, durch Haller, Hegel und Machiavelli befruchteten Realismus, einen politischen Gegenwartsbezug. Dies bezeichnet schließlich auch den Weg, den Leo persönlich innerhalb der historischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts nahm. Seine Ideologie wandelte sich vom rein kontemplativen Konservatismus und der politischen Lehre der Historischen Rechtsschule zur neukonservativen Machtstaatspolitik Bismarcks.

Bei Bismarck fühlte sich Leo speziell von dessen „mystischer Gewalt der Persönlichkeit“ angezogen. Anders als bei den Altkonservativen, zum Beispiel den Gerlachs, klaffen bei Leo rückwärts gewandte Utopie und ein fast naturalistischer Realismus derart auseinander, dass die Entscheidung nur zu Gunsten des Realismus ausfallen konnte. Es geht Leo deshalb vor allem um die Rückführung der Politik auf ihren Urgrund der Gewalt.

Marx gegen Leo

Das Vergessen Leos heute suggeriert fälschlicherweise seine geringe Bedeutung und führt zu der Annahme, er selbst sei nur eine exzentrische Figur aus dem 19. Jahrhundert. Tatsächlich ist seine Bedeutung groß genug gewesen. Der Historiker Georg von Below, der Leo gezielt als konservativen Gegenpart progressiver Gesellschaftswissenschaft anführte, wies wiederholt auf die Parallelen zwischen der Kulturgeschichtsschreibung Leos und dem Werk von Karl Marx hin.

In seiner Naturlehre hatte Leo nämlich das Wort „naturwüchsig“ als polemischen Gegensatz zu allen „mechanischen“, das heißt künstlich verbildeten und „gemachten“ Gesellschaftsformen, geprägt. Das Wort „naturwüchsig“ wurde im damaligen Deutschland recht populär. Und tatsächlich geht die Übernahme Leoscher Begrifflichkeit bei Marx in der Deutschen Ideologie von 1847 über die bloß statistische Häufigkeit hinaus. Es heißt dort unter anderem: „Schon die Reaktionäre wussten, dass die Bourgeois in der Konstitution den naturwüchsigen Staat aufheben und einen eigenen Staat errichten und machen (…), dass dieser gemachte Staat wie ein gemachter, gemalter Baum ist“ Marx macht zwar Leo nicht die Freude, ihn zu zitieren. Aber der wiedergegebene Gedankengang bleibt ein mehr als ausreichender Beweis.

Leo bei Burckhardt und Tönnies

Vor Marx hat sich Leo ebenfalls einen klaren Begriff von dem Phänomen der „Ideologie“ gemacht. Mautz zählt darunter anhand von Leo auch „Maskierung“ und „maskierte Interessen“. Aber schon ein bestimmter Gebrauch der Wörter „abstrakt“, „Abstraktion“ zeigt, in wieweit sich Leo des Wesens der „Ideologie“ bewusst war. Das Wesen der modernen, bürgerlichen Ehe wird von Leo, wie auch von Marx, gleichermaßen erkannt. Nur die Bewertung fällt jeweils anders aus: Während für Leo die bürgerliche Ehe „unsittlich“ ist, ist sie für Marx eine „Heuchelei“.

Auch in Ferdinand Tönnies Soziologie tauchen Leos Gedanken nicht nur durch Marxsche Vermittlung auf. In Tönnies Studie Die Entwicklung der Soziologie in Deutschland im 19. Jahrhundert von 1908 fand der „überkluge Erzreaktionär“ Leo als Soziologe Erwähnung. Bei Jakob Burckhardt, der vor allem Leos Geschichte der italienischen Staaten von 1832 gut kannte, fand dessen Kriegsenthusiasmus Zustimmung in den Weltgeschichtlichen Betrachtungen. Tönnies beruft sich hier ausdrücklich auf Leo: „ Sodann ist hier vorauszunehmen schon der Krieg überhaupt als Völkerkrisis und als notwendiges Moment höherer Entwicklung. (…) Denken wir hier vollends auch an H. Leos Wort vom frischen fröhlichen Krieg, der das skrofulöse Gesindel wegfegen soll.

Das Christentum macht den Konservativen

Für den heutigen Konservativen liegt Leos Bedeutung darin, zu erkennen, dass Konservatismus eben kein vergilbter Ideenkatalog zum Schmökern ist. Es gehört eine individuelle Grundlage, eine Persönlichkeit, dazu, um wahrhaft konservativ zu sein. Gerade Leos Vortrag Was ist konservativ? hat zum Ziel, zu verdeutlichen, was einen echten Konservatismus ausmacht und was der Konservative selbst mitbringen muss, um eben ein solcher zu sein.

Allein das Christentum, aber auch dies nur als ein wirkliches und lebendiges, scheidet wahren vom falschen Konservatismus. Leos eigene Persönlichkeit macht zudem auf besonders drastische Weise deutlich, wie sehr es das Leben ist, das dem Konservatismus Kraft gibt. Es kommt nämlich nicht auf die richtigen Ideen, oder, noch schlimmer, den richtigen Diskurs an. Entscheidend bleiben die richtigen Leute, die diese Ideen verkörpern. Auch die Kriegsverherrlichung und die Freude an der Gewalt haben letzten Endes ihren Sinn bei Leo. Sie sollten die innere Ausweglosigkeit, derer er sich nur allzu bewusst war, sprengen.