Ok

En poursuivant votre navigation sur ce site, vous acceptez l'utilisation de cookies. Ces derniers assurent le bon fonctionnement de nos services. En savoir plus.

mercredi, 26 octobre 2011

Der Renegat der konservativen Revolution: Das Buch „Thomas Mann – Der Amerikaner“

 

mannthomas1_HA_Kult_177690c.jpg

Der Renegat der konservativen Revolution: Das Buch „Thomas Mann – Der Amerikaner“
     

 Geschrieben von: Simon Meyer   

 Ex: http://www.blauenarzisse.de/

 

Als im Sommer 1914 auf die Schüsse von Sarajevo die allgemeine Mobilmachung folgte, machte einer der schon damals berühmtesten Schriftsteller Deutschlands keinen Hehl aus seiner Solidarität mit dem Reich und dessen Kriegsführung: Thomas Mann. Er wurde – nicht zuletzt wegen seines berühmten Namens – vom Kriegsdienst freigestellt. Doch sein literarisches Schaffen stellte er in den Dienst der Sache. Zwanzig Jahre später jedoch, befand er sich geographisch und politisch auf der anderen Seite.

Thomas Manns literarischer Kriegsdienst begann noch 1914 mit der Schrift Gedanken im Kriege, auf die im gleichen Jahr der Großessay Friedrich und die große Koalition folgte. Und er legte nach. 1915 verfaßte er eine leidenschaftliche Verteidigung Deutschlands in einem Beitrag für die Schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet. Drei Jahre später, zum Ende des Krieges, sammelte er seine Gedanken unter dem Titel Betrachtungen eines Unpolitischen – einem der Grundlagenwerke der Konservativen Revolution.

Flucht vor der Heimat und der eigenen politischen Vergangenheit

Um so verwunderlicher: Derselbe Schriftsteller propagierte gut zwei Jahrzehnte später aus seinem amerikanischen Exil heraus unablässig die bedingungslose Vernichtung Deutschlands als notwendig und verdient. Während des Zweiten Weltkriegs hatte Thomas Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben. Seit 1938 hatte er in den Vereinigten Staaten seinen ständigen Aufenthalt. Der Amerikaner Thomas Mann war den Deutschen ein Fremder geworden. In den Nachkriegsjahren war er nicht willkommen, zu frisch war bei vielen die Erinnerung an das, was Mann ihnen in den Rundfunksendungen der Alliierten entgegengeschleudert hatte. Doch auch als die Verhältnisse sich 1968 grundlegend geändert hatten, blieb er ein Fremdkörper. Zu liberal-großbürgerlich erschien Thomas Mann nun und wurde angesichts seiner frühen Schriften schon fast als unsicherer Kantonist behandelt, jedenfalls als Fossil aus einer überholten Epoche.

Warum ging Thomas Mann, der für die Buddenbrooks mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde und darin eine hanseatische Handelsfamilie beschrieb, diesen Weg? Warum wurde er nicht nur aus der Notwendigkeit des Exils sondern aus innerer Überzeugung zum Amerikaner? Wäre nicht der Weg, den etwa Gottfried Benn, Martin Heidegger oder Ernst Jünger während der Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft gingen, für ihn der wahrscheinlichere gewesen? In diese Fragestellungen, so hofft man, würde ein Buch des Deutschamerikaners Hans Rudolf Vaget, Professor an einem College in Massachusetts und ausgewiesener Kenner des Lebens und Schaffens Manns, etwas Klarheit bringen können. Dieses Buch befaßt sich mit den amerikanischen Jahren Manns, ist unlängst im S. Fischer Verlag erschienen und trägt den bezeichnenden Titel Thomas Mann, der Amerikaner.

Ein detailreicher Blick in eine wenig bekannte Epoche Manns

Der Autor beeindruckt im Buch mit einem Detailreichtum, der eine langjährige, akribische Arbeit erahnen läßt. In allen Einzelheiten schildert Vaget die Zeit und die Zeitgenossen Manns in den Vereinigten Staaten, so daß der Leser den Weg des Autors in seinem Exil bis ins einzelne nach verfolgen kann. Viele deutsche Leser Thomas Manns haben sich zunächst mit den Buddenbrooks und dem Zauberberg befaßt und haben auch Tonio Kröger und den Tod in Venedig gelesen. Alles Werke, die für den Deutschen Thomas Mann stehen. Die amerikanischen Jahre und die amerikanischen Verhältnisse jener Zeit sind oft weniger bis überhaupt nicht bekannt. Insoweit eröffnen sich durch das vorliegende Werk in großer Breite neue Aspekte auf einen Zeitraum, mit dem man sich bisher vielleicht kaum oder gar nicht eingelassen hatte.

Leider erschöpft sich das Buch auch häufig in der Aneinanderreihung von Fakten und Ereignissen. Vaget ist stärker in der Schilderung der amerikanischen Protagonisten, etwa Franklin D. Roosevelts oder der Gönnerin Manns, Agnes Meyer. Thomas Mann selbst bleibt in den Schilderungen etwas blaß. Vor allem gelingt es Vaget nicht, den eigentlichen Grund für die Entwicklung Manns aus der Fülle der Details zu entwickeln. Die Verweise auf die Beschäftigung Manns mit den Dichtern Walt Whitman oder Joseph Conrad während der zwanziger Jahren, die eine erste tiefere Verknüpfung Manns zur anglo-amerikanischen Literatur entstehen ließ, mag biographisch interessant sein. Erhellend für die Amerikanisierung Manns sind sie nicht.

Thomas Manns politischer Lagerwechsel wird nicht begründet

Die Verwandlung Manns vom Verteidiger des deutschen Sonderwegs hin zu einem glühenden Anhänger des Sozialdemokraten Roosevelt bleibt dunkel. Denn gerade Roosevelt ist dem, was Mann noch 1918 für richtig hielt diametral entgegengesetzt. Roosevelt war ein Mann von ausgesprochener Deutschfeindlichkeit, der schon vor dem Krieg bedauerte, man habe es 1918/19 versäumt, den Deutschen den ihnen gebührenden Denkzettel zu verpassen. Im Gegensatz hierzu herrschte in der amerikanischen Öffentlichkeit überwiegend die Überzeugung vor, mit Versailles weit über das Ziel hinausgeschossen zu sein, und man blickte verschämt auf das Auseinanderklaffen des eigenen Anspruchs, mit dem man 1917 angetreten war, und dem Ergebnis der Friedensbedingungen. Roosevelt ging es – ähnlich wie Churchill – nicht nur um die Beseitigung Hitlers sondern um die Vernichtung Deutschlands als Subjekt der Geschichte. Thomas Mann erkannte dies und unterstützte Roosevelt trotzdem vorbehaltlos.

Die Frage nach dem „warum“ scheint Vaget aber auch nicht besonders wichtig zu sein. Vaget ist selbst so durchdrungen von der Überzeugung der gerechten Sendung der Amerikaner. Und zwar der Amerikaner in ihrer Variante der demokratischen Partei und ihres Anspruchs auf eine Formung und Umgestaltung der Welt in ihrem Sinne. Eine Alternative, einen dritten Weg gleichsam, kann sich Vaget nicht ernsthaft vorstellen.

Wiederholt schimmert so die eigene Vorliebe des Autors für die amerikanischen Demokraten von F. D. Roosevelt bis hin zu Obama durch. Zuweilen ist es schwer zu unterscheiden, wo die Wiedergabe der Gedanken Manns endet und eigene Ansichten des Autors in den Vordergrund rücken. Man hält den Autor zunächst für einen typischen Amerikaner, der trotz seiner ausgewiesenen Kenntnisse über Goethe, Mann und Nietzsche schlußendlich doch Amerikaner bleibt. Herbert Rosendorfer bemerkte in einem seiner Bücher, sowohl Sprache als auch Geschichte Deutschlands bliebe selbst dem intelligentesten Ausländer dem Grunde nach unbegreiflich. Aber Vaget ist Deutscher, im böhmischen Marienbad geboren. Gleichwohl scheint er sich derart amerikanisiert zu haben, wie dies auch beim späten Thomas Mann der Fall war. Da ihm selbst der Zugang zu dem fehlt, was Mann vor diesem Wandel ausmachte, kann er diesen Wandel auch nicht erklären.

Jünger, Benn und Bergengruen: Das politische Exil war 1933 nicht der alleinige Weg

So selbstverständlich, wie der Autor meint, war selbst 1933 der Weg nicht, den Thomas Mann genommen hatte. Zwar galt Mann seit etwa 1922, damals für viele überraschend, als Anhänger des parlamentarischen Parteienstaats, aber noch 1933 hätte ihn das Regime zumindest aus propagandistischen Zwecken mit offenen Armen begrüßt. Warum Mann nicht in der Schweiz blieb, sondern schlußendlich ein amerikanischer Linksliberaler mit noch dazu einem zuweilen pathologischen Haß auf Deutschland und die Deutschen wurde, bleibt nach der Lektüre dieses sehr umfangreichen Werkes komplett im Dunkeln.

Man kann Thomas Mann nicht vorwerfen, die Möglichkeit eines deutschen Sonderwegs in der Moderne nicht erfaßt zu haben. Er sah dies und ging trotzdem den langen Weg nach Kaisersaschern. Thomas Mann bleibt in der Vielgestaltigkeit seiner Facetten und seiner Entwicklung ein Rätsel. Anders als viele konservativ-bürgerliche Deutsche, die der Ansicht waren, zunächst sollte der Krieg gewonnen werden, wie man danach Hitler loswerde, werde man dann schon sehen, wollte Thomas Mann zuletzt zwischen Hitler und Deutschland nicht mehr trennen. Warum wurde Thomas Mann zum Amerikaner? Eine letzte Antwort hierauf gibt auch das vorliegende Buch nicht und eine letzte Antwort kann hierauf vielleicht auch nicht gefunden werden.

Hans R. Vaget: Thomas Mann, der Amerikaner. S. Fischer Verlag Frankfurt. Gebunden, 545 Seiten. 24,95 Euro

Les commentaires sont fermés.