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samedi, 11 février 2012

Ernst Jünger in Paris

Ernst Jünger in Paris: Tobias Wimbauer hält den Bunsenbrenner an des großen Eindeuters Kitschgemälde      

Geschrieben von: Till Röcke   

 

Ex: http://www.blauenarzisse.de/

Natürlich war es unmöglich, in einer Stadt wie Paris einem halbwegs durchschnittlichen Kriegs- bzw. Etappenleben nachzugehen. Zu viel der Ablenkung, wo hin man blickte ein Verlustieren und Frönen. Literaten und Kollaborateure, Theater und Bordelle, es war alles da, und das war es immer schon gewesen. Stadt der Liebe, Stadt der Sehnsucht. Und dann zeitbedingt eine reizende Insel im Schlachtentaumel. Man möchte das alles einmal aufgeschrieben wissen, wüsste man es nicht besser. Denn diesen Dienst hat Ernst Jünger einst gerne übernommen. Als Offizier im besetzten Paris der vierziger Jahre hatte er Zeit und das, wovon er immer schon am meisten besessen hatte: Muse.

Der ästhetische Beobachter

Jünger-Nestor Tobias Wimbauer ist dem Pariser Treiben nachgegangen. Das Resultat liegt nun als Band in der akribisch-herzlichen „Bibliotope“-Reihe des Hagener Eisenhut Verlags vor. Dabei steht die bereits bekannte, vor einigen Jahren in der FAZ für Aufmerksamkeit sorgende Untersuchung über die amourösen Spielereien Jüngers im Zentrum. Der vernobelte Lackschuh-Landser hielt alles fest, schließlich war er bekennender Diarist. Die Schwierigkeit dabei: In Jüngers Aufzeichnungen dieser Jahre, den nach dem Krieg publizierten „Strahlungen“, mischen sich Fakten und Fiktion – wie es nun mal der erzählenden Dichtung zu eigen ist, mit den doch eher wahrheitsgetreuen Protokollen in Tagebüchern allerdings weniger zu tun hat.

Wimbauers Aufsatz „Kelche sind Körper“ weist den „Strahlungen“ denn auch einen hohen Grad an zusammengeklaubten Liebesmotiven der Weltliteratur nach. Als Pointe erklärt Wimbauer die bekannte „Burgunderszene“ zur Nebelkerze. In dieser Miniatur, ein belletristischer Klassiker obszöner Überhöhung, schildert ein am Gläschen nippender Ich-Erzähler sein tiefenentspanntes Beiwohnen einer Bombardierung. Luftkrieg und Lust, Jünger als universalistischer Ästhet. Denn eigentlich, so Wimbauers Lesart, war es dem Autor daran gelegen, die Liaison mit einer gewissen Sophie Ravoux zu verschleiern. In Kirchhorst wartete schließlich die Frau.

Der Phallus von Paris

Neben der Erotik sah sich Jünger immer wieder gezwungen, den militärischen Dienstpflichten beizukommen. Die Erschießung eines Deserteurs, unter seinem Kommando durchgeführt, stellt sich auch nach Jahrzehnten der Forschung noch als heiße Sache heraus. Diese bildet den zweiten Schwerpunkt des Sammelbandes, der neben dem Herausgeber noch vier weitere Experten zu Wort kommen lässt. Insgesamt ist festzuhalten, dass Wimbauer souverän zusammenstellt, was das französische Abenteuer an wissenschaftlicher Spiegelung bereithält. Gedanke: Man ist eben nie ganz fertig mit Ernst Jünger. Wilflingen ist noch lange nicht genommen.

„Désinvolture“, Schnöselei von hoher Qualität, ist das aus Kennermund oft vorgebrachte Prädikat des Jüngerschen Wesens. Dem ist wohl kaum zu widersprechen, zu sehr war das Vorraussetzung, um ein derart bildgewaltiges Werk zu schaffen. Was davon heute noch übrig ist, was sich aus einer weniger zurückgelehnten und auf Gleichnisgenuss bedachten Perspektive davon noch fruchtbar machen lässt, das weiß irgendwann vielleicht die Jünger-Exegese. Vielleicht auch nicht. Skepsis ist geboten. In diese Richtung zumindest bringt es Textbeiträger Alexander Rubel. Als Jüngers Lebensmotto und künstlerische Daseinsberechtigung mag vorerst Rubels lapidare Feststellung herhalten: „Wer die Welt in ihrer Gesamtheit erfasst, muss sich nicht von ephemeren Ereignissen wie Weltkriegen und Massenvernichtung beunruhigen lassen.“

Tobias Wimbauer (Hg.): Ernst Jünger in Paris. Ernst Jünger, Sophie Ravoux, die Burgunderszene und eine Hinrichtung. Eisenhut Verlag: Hagen Berchum 2011. 12,90 Euro

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