Ok

En poursuivant votre navigation sur ce site, vous acceptez l'utilisation de cookies. Ces derniers assurent le bon fonctionnement de nos services. En savoir plus.

mercredi, 24 octobre 2012

Japans geheime Tradition

 Samurai.png

Japans geheime Tradition

von Johannes Seitz
 
 

Ehre bleibt in Japan ein großes Wort. Zu den grausamsten, radikalsten und zugleich faszinierendsten Beispielen gehört die rituelle Selbsttötung der Samurai, das Seppuku.

Denn im Gegensatz zu Europa hat der Zeitgeist die alten Werte und den damit verbundenen Ehrbegriff noch nicht gänzlich aus Japans Gesellschaft tilgen können. Um das Seppuku zu verstehen, ist ein Blick in die jüngere Geschichte des Landes notwendig.

Rasanter Weg zum ersten Industriestaat Asiens

Vor rund 150 Jahren öffnete sich das wirtschaftlich und kulturell bisher isolierte Land den Handelsnationen aus dem Westen. Damals wurde Japan durch das Feudalsystem der Samurai beherrscht. Schnell stellte sich heraus, dass die alte Ordnung nicht mit dem Reformeifer unter Tenno Mutsuhito mithalten konnte. Der Tenno, dessen Titel mit dem europäischen Kaiser vergleichbar ist, führte unter anderem 1889 eine konstitutionelle Verfassung ein und setzte die allgemeine Schulpflicht durch. 1872 wurde die erste Eisenbahnstrecke zwischen Tokio und Yokokama eröffnet.

Innerhalb von 50 Jahren entwickelte sich Japan so von einer Agrarnation zum ersten Industriestaat Asiens. Mutsuhito reformierte unter dem Einfluss westlicher Berater Verwaltung und Militär umfassend. Die feudale Kriegerkaste der Samurai gehörten zu den ersten Opfer der Meiji-​Ara, die 1868 begann. Sie konnten für die moderne Armee nicht mehr eingesetzt werden. Geschulte Beamte ersetzten die mittelalterliche Kriegerkaste in der Verwaltung. So löste sich der Samurai-​Stand auf und verschwand schrittweise aus der japanischen Gesellschaft. Mit dem Ende der feudalen Lebensweise veränderten sich bestimmte Werte und auch Rituale. Im Bushido, der Lebensphilosophie der Samurai, findet sich zum Beispiel noch eine Anleitung dafür, wie sich ein ehrenwerter Krieger zu jener Zeit verhalten sollte. Der Ehrenkodex der Kriegerkaste ermöglicht einen lebendigen Einblick in die Geburt des modernen Japans.

Symbol des Wertewandels: Das Seppuku

Doch die Rituale und der Ehrenkodex der Samurai verschwanden nicht von heute auf morgen. Sie lösten sich eher mit der Zeit auf oder existierten noch bis ins moderne Japan in ihrer Form verändert fort. Vor allem am Beispiel des Seppuku zeigt sich der Wertewandel der japanischen Gesellschaft innerhalb der letzten 150 Jahre.

Unter Seppuku, dass in Europa und Nordamerika auch fälschlicherweise als Harakiri bekannt ist, versteht man eine rituelle Form der Selbsttötung. Dieses Ritual wurde von Samurai oder Adeligen mit der Hilfe eines Assistenten durchgeführt, wenn deren Ehre durch eigene Schuld als verwirkt galt. Auch der Herr des Entehrten konnte den Seppuku des Untergebenen fordern, wenn dieser seinen Vorgesetzten entehrt hatte. Dabei handelte es sich keineswegs um ein juristisch vollstrecktes Urteil wie die Todesstrafe. Der Entehrte sollte durch diese Handlung seinen Ruf wiederherstellen und seinem Herrn die eigene Loyalität beweisen. Er übernahm somit die volle Verantwortung für sein Fehlverhalten.

seppuku.jpg

Streng ritualisierter Ablauf

Dabei blieb das Seppuku nur den Samurai und Adeligen selbst vorbehalten, während die einfachen Leute durch Henker hingerichtet wurden. Da die Henker aus der untersten Schicht der japanischen Gesellschaft kamen, durften diese nicht Hand an einen Adeligen oder Krieger anlegen. So entwickelte sich das Recht der Selbsttötung für die traditionelle Elite.

Sowohl Assistent als auch Verurteilter mussten sehr strenge Regeln beachten. Nur der kleinste Fehler konnte schon das Ritual und die wiederherzustellende Ehre des Verurteilten gefährden. Es genügte schon, dass der Platz nicht ordnungsgemäß vorbereitet wurde, der erste Sekundant nicht in einem Zug den Kopf abtrennte oder der Verurteilte Schmerzensschreie von sich gab. Es mussten also ein würdiger Platz bestimmt und Sekundanten ausgesucht werden, die bei der Durchführung halfen. Der zum Seppuku Verurteilte durfte dabei unter Umständen seinen Sekundanten und das Schwert, durch welches er enthauptet wurde, selbst wählen. Er musste sich, vor den Anwesenden sitzend, mit einer dolchähnlichen Klinge namens Wakizashi den Bauch aufschneiden. Sobald er die Klinge aus den Körper zog, enthauptete ihn der erste Sekundant.

Bis heute lebt Seppuku im Geheimen fort

Im Zuge der Meiji-​Ära wurde die rituelle Selbsttötung in Japan verboten. Auch das allmähliche Verschwinden der Samurai aus der japanischen Gesellschaft trug dazu bei, dass die Zahl der Seppuku immer mehr zurückging. Nur hohe Beamte des Tenno oder Shogune, die obersten militärischen Befehlshaber des Kriegeradels, Augenzeugen sowie der Herr, auf dessen Grundstück das Seppuku stattfand, verfolgten und ahndeten es zumeist auch. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab es immer wieder Einzelfälle von Seppuku bei hohen Armeeangehörigen, die allesamt dem japanischen Adel entstammten. Gerade nach dem verlorenen Weltkrieg erwartete die japanische Bevölkerung, dass der Kaiser, trotz des Verbotes, die hohen Generäle zum Selbstmord auffordern würde. Doch Tenno Hirohito schwieg und nur einige wenige hochrangige Mitglieder des Militärs, darunter der Kriegsminister Anami Korechika, begingen freiwillig Selbstmord. Durch dieses kaiserliche Schweigen wurde das Ritual in der japanischen Öffentlichkeit als Relikt der Vergangenheit wahrgenommen.

Obwohl das letzte offizielle Seppuku am 25. November 1970 durch den Autor Yukio Mishima ausgeführt wurde, bleibt der Grundgedanke hinter dieser Zeremonie noch immer in Japan lebendig. Bis heute wird es noch in der Kunst der japanischen Gesellschaft thematisiert und auch gewürdigt. Samurai, die diesen Schritt wagten, gilt bis heute Bewunderung. Gerade unter den größten Helden der japanischen Geschichte finden sich viele, die diesen radikalen Weg wählten. Ihre Gräber bleiben bis heute Pilgerstätten, an denen alljährlich Feiern stattfinden. Auch die nach wie vor sehr hohe Selbstmordrate in Japan zeigt, wie sehr sich traditionelle Werte behaupten konnten. Für viele Japaner bleiben selbst mehr oder minder zur modernen Arbeitswelt gehörende Erlebnisse wie eine Kündigung oder Prüfungsversagen eine große Schande. So barbarisch und grausam das Seppuku westlichen Menschen erscheinen mag, spiegelt es doch die im Geheimen fortlebende Kontinuität traditioneller japanische Werte.

Les commentaires sont fermés.