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jeudi, 11 septembre 2014

Rußlands Krieg und Frankreichs Beitrag

Rußlands Krieg und Frankreichs Beitrag

von Benjamin Jahn Zschocke

Ex: http://www.blauenarzisse.de

McMeekin.jpgExakt ein Jahr nach Christopher Clarks Veröffentlichung der „Schlafwandler“ in Deutschland fragt Benjamin Jahn Zschocke nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion zum Ersten Weltkrieg.

Die Schlafwandler sind zu einem Phänomen geworden, das es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat: Obwohl noch heute an deutschen Gymnasien und Universitäten von der alleinigen Kriegsschuld des deutschen Kaiserreiches, ja des Kaisers selbst, die Rede ist, man also zweifelsfrei von einer Art religiösem Dogma sprechen kann, spricht die ganz Deutschland von Clarks Buch. Dessen Grundthese – nicht Deutschland allein trug die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges, sondern alle europäischen Großmächte – ist mittlerweile trotz mancher Widerstände selbst durch das Feuilleton gerauscht.

Doch hier beginnt das Problem: Wirklich jeder spricht über die Schlafwandler, wirklich jeder hat eine Meinung dazu, wirklich alles ballt sich zu diesem Werk hin. Wirkte Clarks Buch vor einem Jahr als Brechstange, um das Thema selbst im ARD zu diskutieren, hat es sich heute im Mainstream festgesetzt. Und dort liegt es massig im Weg. Es blockiert die Diskussion, ähnlich wie andere Superwerke, sagen wir von Sarrazin, weil die Vielschichtigkeit einer ganzen Diskussion auf ein Buch projiziert wird.kriegsschuldII

McMeekin sieht Rußland in der Hauptverantwortung

Die anderen, teilweise weiter gehenden Beiträge namhafter Geschichtswissenschaftler bleiben im Schatten des Monolithen Clark auf der Strecke. Beispielsweise die 2014 auf deutsch erschienen Bücher von Sean McMeekin. Während Juli 1914. Der Countdown in den Krieg erst letztes Jahr auf englisch erstveröffentlicht wurde, ist Rußlands Weg in den Krieg. Der Erste Weltkrieg – Ursprung der Jahrhundertkatastrophe bereits drei Jahre alt, erschien in Deutschland jedoch nach Juli 1914. Dieses schlägt in eine sehr ähnliche Kerbe wie Clarks Grundlagenwerk, setzt jedoch erst nach dem Attentat von Sarajevo ein.

Auch McMeekin illustriert die Julikrise auf dem europäischen Tableau. Auch für ihn kann es ein Zurück zur nationalen Betrachtungsweise eines Fritz Fischers nicht geben, weswegen dieser von ihm fortwährend scharf kritisiert wird. Anders als Clark – und das macht Juli 1914 aus – wagt McMeekin eine Wertung. Von Schuld ist bei ihm keine Rede, da ein solider Historiker keine moralischen Kategorien bedient. Er setzt folglich die Verantwortung der fünf beteiligen Großmächte ins Verhältnis und kommt zu dem Schluß, daß die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Krieges bei Rußland und Frankreich lag.

Vor dem Hintergrund dieser Feststellung ist es auch zweckmäßig, Rußlands Weg in den Krieg als zweites zu lesen. Darin vertieft McMeekin seine These und verweist darauf, daß das heutige Bild des Ersten Weltkrieges hauptsächlich vom Krieg im Westen bestimmt sei. Dieses „selektive historische Gedächtnis“ hat die letzten hundert Jahre Geschichtsschreibung dominiert.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestand Rußlands geopolitisches Hauptziel laut McMeekins Forschungen in der Eroberung der Konkursmasse des untergehenden Osmanischen Reiches. Besondere Bedeutung kam dabei der Herrschaft über Konstantinopel und die Meerengen zum Schwarzen Meer zu, da diese für Rußlands verletzbaren Süden von entscheidender strategischer Bedeutung waren. Das Motiv der Eroberung Konstantinopels und der Meerengen wurde zum außenpolitischen Mantra der Russen, McMeekin spricht in Bezug auf Rußlands Ziele von „kreuzzugartigem Imperialismus“.

Der russische Außenminister Sergei Dmitrijewitsch Sasonow (18601927) verstand es, alle für sein Land günstigen Gelegenheiten, die meist in außen– oder innenpolitischen Krisen russischer Nachbarländer bestanden , wie beispielsweise dem eng mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reich, geschickt zu nutzen und ein Kriegsszenario zur Umsetzung beider Ziele einzufädeln. Besonders interessant ist der vom 20. bis 23. Juli 1914 in St. Petersburg abgehaltene Gipfel, „auf dem der französische Präsident, der Zar, der russische Außenminister und der französische Premierminister zusammentrafen“. Kein einziges Dokument ist bis heute zu diesem Treffen auffindbar gewesen. Fakt ist aber: einen Tag später – und damit eine Woche vor Deutschland – begann die streng geheime Mobilmachung der russischen Armee.

Mit Blick auf Deutschland kommt McMeekin zu dem Schluß: „Mit Russlands Frühstart, dem bedingungslosen Mitziehen der Franzosen und dem blinden Nachfolgen der Briten gab es keinen Grund mehr für die Deutschen, noch länger zu warten“. Für ihn ist klar: Rußland wollte den Krieg, suchte Gründe, fand diese, mobilisierte und riskierte damit den Krieg.

  • Sean McMeekin: Juli 1914. Der Countdown in den Krieg. 560 Seiten, Europa Verlag 2014. 29,99 Euro.
  • Sean McMeekin: Rußlands Weg in den Krieg. Der Erste Weltkrieg – Ursprung der Jahrhundertkatastrophe. 448 Seiten, Europa Verlag 2014. 29,99 Euro.

Versailler Schicksalsdokument besiegelt den Untergang des alten Europa

kriegsschuldIIIIn seinem Buch Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 19141919 lenkt der altgediente Historiker Hans Fenske den Blick auf den anderen großen Kriegstreiber: Frankreich. Dieses hatte 1870 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt und infolge dessen ein Jahr später Elsaß-​Lothringen verloren. Seither trug es sich mit Revanchegedanken. Fenske hält fest: „Das ‚Hauptziel Frankreichs‘ war, wie der französische Außenminister Delcassé bereits Mitte Oktober 1914 in Bordeaux … dem russischen Botschafter Iswolski gesagt hatte, ‚die Vernichtung des Deutschen Reiches und die möglichste Schwächung der militärischen und politischen Macht Preußens‘. Man wollte das Werk Bismarcks zerschlagen, Preußen amputieren und die föderalistischen Kräfte in Deutschland so stärken, dass faktisch der Deutsche Bund wiederhergestellt wurde.“

Dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die Jahre 1914 bis 1919. Schon nach den verlustreichen Schlachten im ersten Kriegsjahr suchte das Deutsche Reich immer wieder den Ausgleich mit Frankreich, bot Gespräche an, die jedoch strikt abgelehnt wurden. Nachdem Ende 1914 klargeworden war, daß dieser Krieg nicht mit ein paar starken Offensiven zu gewinnen war, ging es um alles oder nichts. Propaganda kam auf, der Krieg wurde moralisch: Der Feind Deutschland sollte nicht geschlagen, sondern vernichtet werden, weswegen alle bis 1918 erfolgten Verständigungsversuche Deutschlands barsch zurückgewiesen wurden, um 1919 in Versailles den ganz großen Knüppel rauszuholen.

Hans Fenske beschreibt prägnant und präzise, wie die deutsche Delegation um den Außenminister Graf Brockdorff-​Rantzau in Versailles gedemütigt wurde. Die Grundlagen des Völker– und Kriegsrechtes wurden damals vor allem von Frankreich vom Tisch gewischt: Deutschland mußte alles schlucken, was es vorgesetzt bekam und wurde mit der Drohung von Waffengewalt zur Unterzeichnung gezwungen.

Auf die Folgen dieses „Vertragsschlusses“ geht Hans-​Christof Kraus sehr anschaulich und lesenswert ein in seinem Buch Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 19191933. Ohne Umschweife leitet er Frankreichs Beweggründe für seine extrem harte Haltung gegen Deutschland her: Deutschland sollte mit dem Kriegsschuldparagraphen alle Last auf seine Schultern laden und damit Frankreichs enorme finanzielle Schieflage ausgleichen. Zudem sollte Frankreichs Sicherheitsbedürfnis durch ein erhofftes Zerfallen des Deutschen Reiches Genüge getan werden.kriegsschuldIV

Die von Graf Brockdorff-​Rantzau (dessen Dokumente und Gedanken um Versailles von 1925 ebenfalls sehr empfehlenswert sind) in Versailles eingeforderte neutrale Untersuchungskommission zur Verantwortlichkeit der Beteiligten am Kriegsausbruch, wurde vom französischen Staatspräsidenten Poincaré, der die „Verhandlungen“ in Versailles leitete, selbstherrlich abgeblockt: Die Schuld sei ein für alle Mal erwiesen, es bedürfe dazu keiner Diskussionen.

Bis ans Ende der Weimarer Republik begleitet Kraus den Leser und legt Frankreichs unglaublich harte Haltung gegen Deutschland dar. Seine These lautet: Der harten Haltung Frankreichs entsprang ein untragbarer Machtfrieden (und eben keinem Rechtsfrieden) gegen Deutschland, welcher dazu führte, daß die Weimarer Republik von Anfang an krankte und schwächelte und letztlich weder innen– noch außenpolitisch lebensfähig war.

  • Hans Fenske: Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 19141919. 144 Seiten, Olzog Verlag 2013. 19,90 Euro.
  • Hans-​Christof Kraus: Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 19191933. 200 Seiten, be.bra Verlag 2013. 19,90 Euro.

Das Manifest zur Kriegsschuldfrage

kriegsschuldVDen zweifelsfrei pointiertesten und aufsehenerregendsten Beitrag liefert Phillippe Simonnot in seinem knackigen Essay „Die Schuld lag nicht bei Deutschland.“ Anmerkungen zur Verantwortung für den Ersten Weltkrieg. Clarks etwas schwammiger These, nach der alle europäischen Großmächte für den Ausbruch des Krieges verantwortlich waren, schließt er sich nicht an, sondern nimmt McMeekins Schlußfolgerungen auf, um diese auf den Punkt zu bringen: Er habe „ausdrücklich den Titel ‚Die Schuld lag nicht bei Deutschland‘ gewählt“. Hätte er nur ausgeführt, „dass Deutschland nicht die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg trug, wäre dies gleichbedeutend mit einer kollektiven Verantwortungszuweisung gewesen. So wäre schließlich niemand verantwortlich gewesen und mit einer solchen Argumentation bringt man die Reflexion nicht voran.“

Mit Blick auf die von Fenske und Kraus ausgeführten Motive für Frankreichs harte Haltung seit 1914 schreibt Simonnot: „Der moralische Mythos der Schuld Deutschlands hatte keine andere Funktion, als die Reparationen zu rechtfertigen. Dies sollte man nie vergessen. Die Geschichte – man weiß dies nur zu gut – wird von den Siegern geschrieben. Aber in diesem Fall ist ihre Verfälschung zu einem Meisterwerk geraten. Dieser Mythos hatte auch zum Ziel, die wahren Verantwortlichen beim Auslösen der Katastrophe zu verheimlichen. Er ergänzte die zerstörerische Arbeit beim Umgang mit Archiven und die systematische Desinformation, die durch einige französische Politiker und Führer geleistet wurde, an erster Stelle durch Poincaré.“

00:05 Publié dans Histoire, Livre, Livre | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : histoire, livre, première guerre mondiale | |  del.icio.us | | Digg! Digg |  Facebook

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