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Das Leben ist ein Nichts, wenn es nicht allem, was kommt, die Stirn bietet. Heute scheint es aber in dieser EU so zu sein, als lebten mehr Halbtote als Lebende unter uns. Es wird hingenommen, was über einen hereinbricht, man läßt die Oligarchen schalten und walten, obwohl deren tödlichen Früchte bereits heranreifen. Die Schuldknechtschaft, die keiner wahrnehmen will, soll verewigt werden.
Es gibt aber noch aufrichtige, lautere Widerstandskämpfer, Rechts wie Links. die dagegen und gegen weitere politische und gesellschaftliche Übel ihre Stimme erheben. Zu ihnen kann Wilhelm Langthaler, ein eher unorthodoxer Linker, gezählt werden. In einem bemerkenswerten Beitrag (anläßlich der Griechenland-Krise) für die Antiimperialistische Koordination aik@antiimperialista.org setzt er sich nicht nur damit auseinander, sondern zeigt aus seiner Sicht mögliche Gegenstrategien auf.
Wenn es einmal hieß, es sei nicht alles falsch, was Haider sagt, so gilt natürlich auch, daß so manches richtig ist, was von Linken kommt.
Der nachfolgende Beitrag Wilhelm Langthalers möge von recht vielen Grüppchen und politisch Bewegten trotz seiner Länge aufmerksam gelesen werden und als eine Anregung für fruchtbare Diskussionen dienen. Persönlich bin ich von dem vorgebrachten Denkanstoß dieses linken Querdenkers beeindruckt, könnten diese Überlegungen ja doch auch weitgehend als nationalrevolutionär eingestuft werden. Und so bietet dieser idealistische Linke dem “Establishment” also die Stirn:
***Griechenland***
Sofortmaßnahmen einer griechischen Volksregierung/ Überlegungen zu den Möglichkeiten und Zwängen
von Wilhelm Langthaler
Es geht nicht darum in alter, schlechter, linker Tradition Aktionsprogramme von weit weg zu verordnen und über eine nicht zugängliche konkrete Situation abstrakt drüberzustülpen. Doch Griechenland ist kein isolierter Fall. Sein Problem ist europäisch und sogar international.Dann kommt hinzu: Es ist das erste Mal seit vielen Jahrzehnten, dass in Europa die Oligarchie auf massive und frontale Opposition der Mehrheit des Volkes trifft. Es ist die Wiederauferstehung eines totgesagten Subjekts, der Voraussetzung für alternative Politik schlechthin. Auf europäischer Ebene gibt es so was nur ansatzweise in Südeuropa, im Zentrum überhaupt nur in homöopathischen Dosen.
Griechenland ist jedenfalls Ausgangspunkt und Fallbeispiel für Europa. Es kann nur von dort ausgehend diskutiert werden. Daher dieser Versuch. In einem europäischen Programm muss aber viel mehr enthalten sein, namentlich der Sprung von der Peripherie ins Zentrum – etwas, was bisher historisch bisher immer im Ansatz stecken blieb.
1) Sofortiges Schulden-Moratorium
Die allererste Maßnahme ist ein Schulden-Moratorium. Die Schulden werden mit sofortiger Wirkung nicht mehr bedient. Das bedeutet aber nicht automatisch die Streichung der Schulden, sondern auch die Bereitschaft zur Umschuldung, wenn dabei der größte Teil der Schulden erlassen wird. Für kleine Besitzer von Staatstiteln können auch günstigere Ersatzquoten vereinbart werden, denn es geht ja nicht darum, den unteren Mittelstand zu enteignen, sondern die großen Vermögen für die Allgemeinheit heranzuziehen. Auch größere inländische Gläubiger können bevorzugt behandelt werden, wenn sie zur weiteren Kooperation bereit sind und ihr Kapital nicht abziehen wollen (so wie das in Argentinien passierte).
Grundsätzlich geht es darum, die nationale Souveränität wiederherzustellen, wozu nur die Mehrheit des Volkes fähig ist, denn die griechische Oligarchie ist integraler Bestandteil der globalen Elite. Der Bruch ist mit dieser Oligarchie ist also unbedingt notwendig. Die Härte und Schärfe des Bruchs sollte konkret an die Reaktion der Herrschenden angepasst werden.
Historische Vorbilder von sich auch wirtschaftlich unabhängig machenden Peripheriestaaten zeigen den totalen Vernichtungswillen der Herrschenden mit vollständigem Boykott und militärischer Invasion. Doch oft können die Eliten nicht wie sie wollten oder wollen gar nicht, weil sie denken, es gäbe andere Lösungen oder weil sie schlicht uneinig sind.
Es ist also ratsam nicht sofort alle Türen zuzuschlagen und sich Zugänge zum Welt(kapital)markt offenzuhalten. Argentinien gelang das trotz Schuldenannulierung recht gut, allerdings unter völlig anderen Bedingungen.
2) Austritt aus dem Euro
Die Geld- und Währungspolitik ist ein entscheidender Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Der Euro wird von der europäischen Finanzoligarchie kontrolliert. Nur der Austritt ermöglicht die Währungssouveränität im Sinne der Interessen der Mehrheit. Das heißt gleichzeitig die Nationalbank unter die Kontrolle der Politik und zwar der Subalternen zu stellen.
Eine starke Abwertung im Falle des Austritts ist zweifellos unvermeidlich. Das trifft unmittelbar alle Lohnempfänger und Besitzer von kleinen Geldvermögen, die nicht außer Landes gebracht wurden. Denn die großen Geldkapitalien werden zu einem solchen Zeitpunkt das Land bereits verlassen haben. Dagegen sind aber ausgleichende staatliche Maßnahmen möglich, die die Last auch den Reichen aufbürdet. Der Verbleib in der Eurozone würde indes fortgesetzte Austerität bedeutet, die ganz explizit die Unteren trifft.
Mit erhöhter Inflation ist natürlich zu rechnen. Doch geht diese über ein gewisses Maß nicht hinaus, ist sie kein Schreckgespenst. In der Substanz handelt es sich um Eigentumsübertragung der Geldbesitzer an den Staat, der als unter Kontrolle des Volkes stehend angenommen wird. Wichtig ist nur, dass das Umkippen Richtung Hyperinflation vermeiden wird, welches zu einer massiven Kontraktion der Wirtschaftsleistung führt und damit ein Scheitern des gesamten alternativen Projekts anzeigen würde.
3) Kapitalverkehrskontrollen, Zölle
Die Kapitalflucht muss staatlich unterbunden werden. Kapital darf nicht unkontrolliert außer Landes geschafft werden. In weiterer Folge muss auch der Freihandel eingeschränkt werden und ein Zollregime wieder aufgerichtet werden. Dieses muss den politisch festgelegten wirtschaftlichen Zielen entsprechen und die eigenen Produzenten vor dem Weltmarkt schützen.
4) Enteignung und Verstaatlichung der Banken
Die Banken waren und sind das Zentrum der Umverteilung von unten nach oben. Das Finanzkapital hat im Neoliberalismus auf Kosten der Unteren gewaltige Reichtümer angehäuft und will diese in der Krise vom Staat gesichert haben. Doch dieser abermalige Schub der Umverteilung von unten nach oben darf nicht zugelassen werden. Unproduktive Sektoren können durchaus in den Bankrott geschickt und ihr Kapital ausgelöscht werden (was übrigens nichts anderes als der normale kapitalistische Prozess ist). Die für die Gesellschaft wichtigen Unternehmen müssen aber weiterhin finanziert werden, wofür es die entsprechenden Institute (Banken) braucht. Werden diese vom Staat rekapitalisiert, dann muss auch die Kontrolle in die Hand des Staates übergehen. Das wird für alle größeren griechischen Geldhäuser gelten.
5) Reiche und Kapital besteuern
Im neoliberal-kapitalistischen System tragen die Mittelschichten die steuerliche Hauptlast, während die unteren Schichten verarmen. Die oberen Schichten bereichern sich auch mit Hilfe des Staates ununterbrochen, ganz oben manchmal selbst in Krisenzeiten. Dieses System muss umgekehrt werden. Vor allem die unproduktiven, großen Vermögen, aber bis zu einem gewissen Maß auch produktiv investiertes Kapital (es darf indes keine De-facto-Investitionssperre sein), müssen die Hauptlast des staatlichen Haushalts tragen.
Nimmt man eine kapitalistische Volkswirtschaft isoliert, vom Weltmarkt abstrahiert, d.h. man schließt die Kapitalflucht gedanklich aus, dann führt
a) Umverteilung nach unten zu mehr Konsum und Nachfrage und
b) sind staatliche Investitionen zielgerichteter und ausgewogener hinsichtlich der Interessen der Mehrheit als private. Das Problem ist die globale Oligarchie und ihr Weltmarkt, gegenüber denen man strukturell der Schwächere ist.
6) Politisch-staatliches Investitions- und Wirtschaftsprogramm
Die skizzierten Notmaßnahmen entziehen der globalen Oligarchie mit einem Schlag die Kontrolle über die Wirtschaft und legen sie in die Hand der politisch-staatlichen Institutionen über die die alten Elite die Herrschaft verloren hat und auch haben muss (denn sonst sind solche Schritte gar nicht möglich). Es bedarf also eines Wirtschaftprogramms, eines Rahmenplans. Dabei geht es um nichts weniger als um eine Alternative zur Herrschaft der globalen kapitalistischen Elite in einem Land der Peripherie, einer Problemstellung, die das ganze 20. Jahrhundert beherrschte – diesmal aber verdammt nahe am Zentrum.
a) Lebensmittel und einfache Konsumgüter können und müssen im Inland produziert werden. Dazu bedarf es des Zollschutzes und günstiger Kreditbedingungen für Produzenten. Damit kann der wirtschaftliche Kreislauf wieder in Schwung gebracht werden. Allerdings darf die staatliche Protektion nicht zur Bewahrung unproduktiver Verhältnisse führen.
Es ist ein schwieriger Gang auf des Messers Schneide zwischen Verteidigung gegen einen strukturell überlegenen Weltmarkt auf der einen Seite und dem gleichzeitigen Aussperren der Produktivitätspeitsche auf der anderen Seite. Diese soll zu spüren bleiben, aber eben abgefedert. Messbar muss das an der Verringerung des Produktivitätsabstandes sein, der aber nie ganz eingeholt werden kann. Diesen Abstand gilt es staatlich auszugleichen.
b) Der Staat muss große strategische Industrie- und Infrastrukturprojekte anstoßen, lenken, fördern oder auch selbst durchführen. Dabei ist die Kooperation mit ausländischem Großkapital oft unvermeidlich, will man nicht heillos unproduktiv sein. Dabei müssen möglichst hohe Auflagen hinsichtlich inländischer Wertschöpfung und Technologietransfer gesetzt werden.
Vielleicht kann an dieser Stelle die Tendenz zur multipolaren Welt von Vorteil sein und den zu befürchtenden politischen Boykott aufweichen.
c) Die Autarkie ist ein definitiv gescheitertes Konzept. Der Weltmarkt bleibt Messlatte auch wenn er nur sehr begrenzt erreicht werden kann. Nachdem Außenhandel unerlässlich ist, will man nicht völlig aus der Welt fallen (Treibstoffe, Elektronik, Pharma, usw.) müssen entsprechend Produkte exportiert werden, die auf dem Weltmarkt reüssieren können. Das heißt auch der Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit.
Als kleine Volkswirtschaft empfiehlt sich einerseits eine Strategie der Nischen- und Spezialprodukte, andererseits der internationalen Kooperation eventuell mit Kräften, die ebenfalls im Konflikt mit der globalen Finanzoligarchie stehen.
d) Investitionen in Bildung, Gesundheit und Forschung. Diese sind nicht zwar nicht unmittelbar produktiv, befriedigen aber elementare Bedürfnisse der Bevölkerung, steigern so die Loyalität und ermöglichen mittel- und langfristig die Steigerung der Produktivität und die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit.
e) Die Handelsbilanz muss im Großen und Ganzen ausgeglichen sein. Nur so können notwendige Güter eingeführt und finanziert werden. Nur so kann eine gewisse Kreditfähigkeit wiederhergestellt werden, die zur Erhöhung der Produktivität durch kreditfinanzierte Investitionen notwendig ist. Nur so kann die Entwertung der Währung mit den entsprechenden sozialen Folgen hintangehalten werden und die eigene Währung eine global handelbare Ware bleiben. (Ist sie das nicht, können auf der einen Seite keine Kredite aufgenommen werden.
Auf der anderen Seite verliert die Wirtschaftssteuerung über die Geldpolitik an Wirkung und der Weltmarkt kehrt als Schwarzmarkt mit all seinen negativen Folgen zurück.) Nur so kann die Inflation im Zaum gehalten werden.
f) Wie bereits angedeutet ist eine winzige Volkswirtschaft wie die griechische allein gegen die kapitalistische Oligarchie chancenlos. Kooperation mit kleinen und großen Partnern ist unerlässlich, wobei die Bedingungen nicht immer selbst bestimmt werden können, insbesondere was die großen Spieler anbelangt, die selbst kapitalistisch sind, aber eventuell trotzdem im Konflikt mit dem Zentrum stehen.
Daher sind Verbindungen mit anderen „Schurkenstaaten“ besonders wichtig. So können beispielsweise Treibstoffe gegen Nischenprodukte zu günstigen Bedingungen ausgetauscht werden. (Venezuela hält so Kuba am Leben.)
Grundsätzliche Bemerkungen
Die angeführten Punkte sind eine Skizze, wie unmittelbare und mittelfristige Maßnahmen für den Bruch mit der Oligarchie in einem winzigen Staat der „zentralen Peripherie“ aussehen können. Die Geschichte wiederholt sich zwar nie, dennoch gibt es Analogien und die bereits angedeutet kann man auf Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts zurückgreifen. Ich möchte sie folgendermaßen auf den Punkt bringen:
1) Demokratische Mitwirkung und Konsens
Da man strukturell der Schwächere ist und ständig sich am Rande des wirtschaftlichen Ausnahmezustands bewegt, ist die Tendenz zur Diktatur der anfangs vom Volk mandatierten neuen politischen und in der Folge auch wirtschaftlichen Elite groß.
Das aktive Mitwirken, die demokratische Partizipation, die ständige Erneuerung des politischen Mandats ist ein entscheidendes Kriterium des Erfolgs auch der Wirtschaft. Denn es geht darum Politik, Wirtschaft und Gesellschaft letztlich unter die Herrschaft und Gestaltungshoheit der Mehrheit zu stellen. Das ist ein gewaltiger, auch kultureller Transformationsprozess, der nur langfristig zu leisten sein wird. Doch auf die Bewegungsrichtung kommt es an.
2) Möglichst langsamer Übergang weg vom Kapitalismus
Der Bruch, die Entmachtung und die Enteignung der Oligarchie müssen sofort und blitzschnell erfolgen und auch mit der nötigen Härte und Vehemenz durchgezogen werden. Das bedeutet jedoch noch nicht automatisch den Bruch mit dem Kapitalismus als solchen. Der Übergang zu sozialistischen Formen hat sich an der Peripherie als äußert schwierig, langwierig und von tiefen, zerstörerischen Rückschlägen gekennzeichnet erwiesen.
Die Idee des Einholens und Überholens hat sich selbst in einem riesigen Volkswirtschaftsverbund wie der UdSSR und seines Blockes als nicht möglich erwiesen, ganz zu schweigen von kleinen Staaten. Das oligarchische Zentrum kontrolliert das kollektive Erbe der Menschheit. Solange das so ist, bleibt man wirtschaftlich unterlegen. Das Ziel kann nur sein diese Herrschaft politisch zu beenden.
Daher ist es angezeigt, einen langsamen Übergang weg vom Kapitalismus zu konzipieren. Die Brüche und Attacken kommen ohnehin, welche zu forcierten Maßnahmen zwingen, zu mehr als einem lieb sein wird. Selbst muss man schauen die kulturellen Voraussetzungen für diese Transformation zu schaffen.
3) Inhomogene Gesellschaft
Man muss die Koexistenz verschiedener kultureller, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Formen als strukturell und unvermeidlich konzipieren. Während ein Sektor weit vorstürmt, kann es durchaus gleichzeitig andere Sektoren geben, die nicht können oder wollen und denen materiell wenig angeboten werden kann.
Es ist eine Frage von Vorbild, Bespiel und Überzeugung und nicht von Zwang, der nur kurzfristig wirkt. Der Nachteil der Inhomogenität, der Differenz, des Konflikts kann an einem gewissen Punkt zum Vorteil umschlagen, weil er auch Akzeptanz und Konsens in der Unterschiedlichkeit schafft.
Es ist auch ein Moment der realen Freiheit und der Massendemokratie, was einen wesentlichen Vorteil gegenüber der Herrschaft der kapitalistischen Oligarchie ausmacht.
Anmerkung: Wenn Wilhelm Langthaler nun meint, die politische Herrschaft der Oligarchen gehöre beendet, dann müßten dazu wohl erst einmal Links und Rechts zusammengeführt werden. Das aber werden die Oligarchen mit allen Mitteln (und Helfershelfern) zu verhindern trachten.