Irreführend und unverständlich wird es, weil natürlich niemand der öffentlich Streitenden von sich behaupten würde, er sei ein Gegner aufklärerischen Gedankenguts.
Im Gegenteil, die glühendsten Verteidiger islamischer Sonderrechte berufen sich auf die Toleranz als oberstes Gebot der Aufklärung und erklären die Kritiker des Islam und seiner weltlichen Ansprüche für paranoid, phobisch oder aber, noch schlimmer, für fremdenfeindlich und rassistisch. Das Absurde ist, dass mit diesem Vorwurf auch islamkritische Türken, Iraner, Ägypter bedacht werden, die vom Verdacht der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus ja ausgeschlossen sein müssten, so dass allein ihre Kritik am Islam Anlass genug ist, sie öffentlich zu diskreditieren.
Nun kann man sich erklären, warum die Vertreter von Milli Görüs und der Ditib im Namen gläubiger Muslime ihre Anforderungen an die deutsche Gesellschaft lauthals vertreten. So verstehen sie ihre Aufgabe, auch wenn das dem Zusammenleben der Muslime mit allen anderen Bürgern des Landes nicht unbedingt zuträglich ist. Dagegen bleibt es ein Rätsel, warum die Grünen und die SPD, deren Mitglieder und Anhängerschaft des religiösen Fundamentalismus dieser oder jener Art kaum verdächtig sind, kleinstadtartige Riesenmoscheen und die Kopftuchpflicht für kleine Mädchen zu Zeichen aufklärerischer Toleranz erheben; warum der sich als links verstehende Journalismus eine geschlossene Kampffront bildet für das Eindringen einer vormodernen Religion mit ihrem reaktionären Frauenbild, ihrer Intoleranz gegenüber anderen Religionen und einem archaischen Rechtssystem. Warum stehen diese Wächter der richtigen Gesinnung nicht auf der Seite der Säkularen aller Konfessionen? Warum verteidigen sie islamische Rechte gegen europäische Werte und nicht umgekehrt?
Das sind entscheidende Fragen,deren Antworten wohl in den Untiefen eines gestörten Identitätsgefüges zu suchen sind. Schon Botho Strauß hat 1993 erkannt, daß die linken Intellektuellen nicht freundlich zum Fremden um seiner selbst willen sind, „sondern weil sie grimmig sind gegen das Unsere und alles begrüßen, was es zerstört“, woran sich utopische Hoffnungen und Wahnideen knüpfen. Was aber das „Unsere“ ist, das gerade die Deutschen so scheuen, läßt sich nicht durch einen Katalog von „Werten“ oder ein regulatives System ersetzen, denn unser gewordenes geschichtliches Sein umfaßt viel mehr als dies.
Jan Werner Müller kritisierte in der Zeit, daß der europäische Rechtspopulismus à la Wilders und Le Pen „Werte wie Freiheit und Emanzipation“ nicht „liberal-universalistisch“ verstehen würde, „sondern als Teil eines nationalen Selbstverständnisses, das die Fremden – vor allem die Muslime – nicht teilen können.“ Das kann man drehen und wenden und bewerten, wie man will: Wilders, Le Pen & Co. sind hier nicht nur faktisch im Recht: sobald diese „Werte“ tatsächlich absolut, als oberster Gott quasi, gesetzt werden, verlieren sie ihren konkreten Sinn und ihre Erdung, entorten und abstrahieren sich ins Bodenlose und Luftleere, machen ihre Gläubigen letztlich politik- und überlebensunfähig.
Das pluralistisch-liberale System, das durchaus dem europäischen Hang zum Individualistischen entgegenkommt, kann nur so lange einigermaßen bestehen, als in der Gesellschaft ein gewisser Konsens existiert, und die „kulturellen Selbstverständlichkeiten“ und Erwartungshaltungen im Großen und Ganzen geteilt werden. Wenn der pluralistische Ansatz jedoch überdehnt wird, droht das ohnehin schon recht fragile und komplizierte Gefüge auseinanderzufallen. Und dieser Fall tritt eben durch die signifkante Zuwanderung von Moslems ein, deren mentale Prägungen und primäre Loyalitäten zu einem erheblichen Teil grundverschieden von den Unseren sind. Dennoch müssen sie vom Rechtsstaat und vom Grundgesetz her als Gleiche behandelt werden. Und das wirft nun einige nicht geringe Probleme auf.
Der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde äußerte in einem Interview dazu:
Den Katalog solcher verbindlicher Normen finden Sie im Grundgesetz. Jenseits dessen gehört es aber auch zur freiheitlichen Ordnung einer Gesellschaft, dass sie innere Vorbehalte gegenüber ihre Wertsetzungen akzeptiert. (…) Entscheidend ist, dass alle Bürger das geltende Recht und die Gesetze anerkennen und befolgen. Wenn aber jemand denkt, „eigentlich ist das nichts Gutes, andere Gesetze wären besser“ – dann ist ihm das unbenommen. Die Gedanken sind frei. Daran darf eine freie Gesellschaft keinen Zweifel lassen.
Ihnen genügt wirklich die formale Anerkenntnis, auch ohne innere Zustimmung?
Innere Zustimmung wäre gewiss wünschenswert. Ich darf sie aber nicht zur Voraussetzung für ein Leben in unserem Land machen. Ich halte gar nichts davon, Einwanderern irgendwelche Wertebekenntnisse abzuverlangen, zumal der Begriff „Wert“ schwammig ist und mit den verschiedensten Inhalten gefüllt werden kann. Verlangen kann und muss ich, dass sich jeder an die Gesetze hält. Mit dieser bürgerlichen Loyalität muss ich es dann aber auch bewenden lassen. Zumal auch diese mehr ist als etwas rein Formales.
Worin liegt das „mehr“?
Im pflichtgemäßen Verhalten gegenüber einer Rechtsordnung, wie sie übrigens der Islam von den Gläubigen in der Diaspora ausdrücklich erwartet.
Schon hier könnte man einwerfen: vor allem aus taktischen Gründen. Und für den gläubigen Moslem steht in jedem Fall das islamische Recht über dem jeweiligen Recht des Diaspora-Staates. Böckenförde zeigte sich dennoch optimistisch:
Das bewirkt eine bestimmte Einstellung. Rechtsgehorsam, wie es das Verfassungsgericht einmal genannt hat, hat so sehr konkrete Verhaltensweisen zur Folge, die auch geeignet sind, mentale Gegensätze auf die Dauer abzuschleifen.
Auf letzteres sollte man nicht vertrauen, zumal die Frage offen bleibt, wodurch der Rechtsgehorsam, der Respekt vor dem Gesetz, also die nicht nur taktische Anerkennung seiner Legitimität denn erzwungen werden soll, wenn nicht von vornherein eine gewisse innere Zustimmung besteht, wie man sie eben bei den meisten Stammeuropäern voraussetzen kann. Sollte sie nur auf Gewaltandrohung beruhen, ist die Grundlage brüchig. Die Respektlosigkeit vor Staatsorganen und Polizei ist europaweit ein typisches und häufiges Phänomen unter moslemischen Einwanderern, insbesondere unter den notorisch unruhigen „Jugendlichen“.
Einspruch gegen das Wulff-Axiom kam auch in der Welt vom 20. April von Martin Mosebach. Im Gegensatz zu der aus der DDR stammenden Monika Maron, die generell mit keiner Form von Religion „behelligt“ werden will, vertritt Mosebach einen dezidiert römisch-katholischen Standpunkt traditionalistischer Prägung. Hier hat die Verteidigung des religionsneutralen, liberal-säkulären Staates, die Maron so am Herzen liegt, geringe bis keine Bedeutung. So argumentiert er auch stärker auf historischer Grundlage, weniger mit „Werten“:
Mosebach: Wenn ein Politiker sich über den Islam äußert, kann er sagen: Die Deutschen, die sich zum Islam bekennen, haben dieselben Bürgerrechte wie die anderen Deutschen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist eine verantwortungslose und demagogische Äußerung. Was hat der Islam zu unserer politischen und gesellschaftlichen Kultur bisher beigetragen? Unser Grundgesetz fußt auf dem Christentum, auf der Aufklärung und auf weit in die deutsche Geschichte zurückreichenden Konstanten, wie etwa dem Partikularismus. Da gibt es kein einziges islamisches Element – woher sollte das auch kommen? Wenn die muslimischen Deutschen die kulturelle Kraft besitzen sollten, der deutschen Kultur islamische Wesenszüge einzuflechten, dann mag man in hundert Jahren vielleicht einmal sagen: der Islam gehört zu Deutschland.
Welt Online: Gehört das Christentum noch zu Ostdeutschland?
Mosebach: Natürlich. Dieses Land ist ein Geschöpf des Christentums. Seine Städte, seine Sprache, seine Kunst, alles. Das vergeht nicht in ein paar Jahrzehnten religiöser Ausdünnung.
Nun gibt es freilich auch hier einige Fallstricke und blinde Flecken, die man häufig bei katholischen Konservativen antrifft. Es gibt hier eine gewisse hartnäckige Verachtung jenes Blutes, das stärker als Wasser ist, all dessen, was etwas voreilig als „biologisch“ oder „nur biologisch“ abgetan hat, wie eben der Volkszugehörigkeit, die, so man es will oder nicht, ein bedeutendes, nicht aus der Welt zu schaffendes Movens unter den Menschen ist. Aber die katholische Welt, so wie ich sie sehe und liebe, ist eben auch die Welt des Konkreten, des Fleisches und der Inkarnation. Sie besteht es aus einer vertikalen und einer horizontalen Linie, Geist und Körper, und beide zusammen formen das Kreuz. Mögen wir alle Brüder in Christo sein, wir gehören dennoch auch irdischen Ordnungen an, für die wir eine ethische Verantwortung tragen.
Mosebach spricht von „Deutschen, die sich zum Islam bekennen“: meint er damit deutsche Konvertiten, von denen es bisher nicht allzu viele gibt, oder ist er gar, nicht anders als ein durchschnittlicher Grüner oder Sozialdemokrat, der Auffassung, daß die deutsche Staatsbürgerschaft ausreiche, um etwa einen Türken, Kurden oder Araber in einen Deutschen zu verwandeln? Jedermann, und gerade der Paßdeutsche selbst, weiß, daß dies nicht der Fall ist. Ein Kalb wird kein Pferd, wenn es in einem Pferdestall geboren wird.Wenn Deutschland in den nächsten Jahrzehnten islamisch wird, dann geschieht dies ja nicht durch massenhafte Konversionen der Stammdeutschen, sondern primär auf demographischem Weg durch die Kolonisierung des Landes durch fremde Völker. Kein Affekt gegen einen „Volksbegriff“ oder die „Biologie“ sollte den Blick für diese Tatsache trüben.
Eine weitere Falle ist hier, die islamische Frage als eine reine Religions- und Konfessionsfrage mißzuverstehen. Wie es dazu kommt, liegt nahe. Ein religiöser Mensch, der die Heißen und die Kalten den Lauwarmen vorzieht, und von einer glaubens- und transzendenzlosen Welt angewidert ist, wird sich nur ungern in eine Reihe mit etwa Monika Maron oder Necla Kelek oder Henryk Broder stellen, die von den Moslems (und eben auch Christen) die Anpassung an die „säkulare, freiheitliche Gesellschaft“ fordern. Mosebach:
Welt Online: Warum sehen so viele Menschen in Deutschland den Islam als Konkurrenz, obwohl sich immer weniger zum Christentum bekennen?
Mosebach: Die Sorge vor dem Islam in Deutschland ist weniger eine Sorge von Christen als von Leuten, die sich von der Kirche schon sehr weit entfernt haben. Die empfinden Religion an sich als gefährlich, und im Islam sehen sie eine Rückkehr der Religion.
Welt Online: Ist Ihnen aus christlicher Sicht ein Muslim lieber als ein Atheist?
Mosebach: Was heißt lieber. Er ist mir auf jeden Fall näher. Selbstverständlich.
Da fragt man sich nun, welchen „Muslim“ Mosebach hier meint. Pierre Vogel? Osama bin Laden? Mullah Krekar? Ibrahim Abou Nagie? Abu Hamza? Mohammed Merah? Allein die Vorstellung ist lachhaft. Und denkt Mosebach, daß sich diese Herren, die allesamt keine Atheisten sind und an ihren Gott glauben, umgekehrt ähnlich generös ihm gegenüber äußern würden? Nun zweifle ich nicht, daß es irgendwo auf der Welt kultivierte moslemische Pendants zu Mosebach gibt, wie es auch in der Tat so etwas wie eine universelle Wahlverwandtschaft der geistigen Menschen gibt, sein „Moslem“ ist aber eine reine Denkfigur aus einer idealisierten Nathan-der-Weise-Sphäre, und diese Aussage erscheint mir, offen gesagt, nicht konsequent für jemanden, der die Religion nicht allein „kulturalistisch“ versteht und bejaht, sondern explizit die Wahrheitsfrage stellt.
Und dann ist „Religion“ eben nicht gleich „Religion“, und dann gibt es auch kein Mehr oder Weniger der Wahrheit, sondern nur ein Entweder-Oder, und dann sind aber auch nicht alle Religionen gleichermaßen respektabel. Aus streng christlicher Sicht ist der Islam die häretische Irrlehre eines falschen Propheten, und Mohammed, den Dante nicht umsonst in der Hölle schmoren ließ, das Urbild dieser Figur. Der falsche Prophet aber ist noch schlimmer als der bloße Ungläubige oder Glaubenslose, denn er verbreitet aktiv die Lüge, wie der Antichrist. Umgekehrt macht es aus islamischer Sicht keinen Unterschied, ob ein Ungläubiger Atheist oder Christ oder Jude ist – er ist gleichermaßen verdammt und wird auch entsprechend behandelt. Der Koran ist diesbezüglich völlig eindeutig.
Mosebach liegt auch falsch, anzunehmen, daß sich die Menschen in erster Linie vor dem Islam als Religion fürchten. Sie fürchten sich viel mehr vor Gewalt, Landnahme, Repression, Erpressung, Enteignung, Entfremdung und Überfremdung. Nicht der Islam an sich ist unser Problem, sondern die Masseneinwanderung inkompatibler Völker. Die „Islamkritiker“ müssen reif werden und zu Einwanderungskritikern werden. In dieser Problematik spielt der Islam allerdings die Rolle eines aggressiven, verschärfenden und beschleunigenden Moments. Man sollte hier sich nicht von dem religiösen Element hypnotisieren lassen wie das Kaninchen von der Schlange.
Gerade viele Konservative erliegen dieser Versuchung, weil sie in dieser religionsfeindlichen Zeit dazu neigen, generell die Partei der geschmähten und hochmütig überwunden geglaubten Religion zu ergreifen. Wir alle wissen, daß uns nur noch ein Gott retten kann. So hat es Martin Heidegger 1966 gesagt. Aber nicht jeder beliebige dahergelaufene Gott. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Trotzdem kenne ich viele verzagte Konservative, unter ihnen nicht wenige dem Traditionalismus nahestehende Christen, die schon unsicher die Hand nach Allah ausstrecken oder sich ihm gegenüber zumindest aufwärmen, weil offenbar keine anderen Götter im Angebot sind.
Hier gilt es, den Skeptiker und Aufklärer einzuschalten. Eine Religion kann, wie etwa bei Canetti nachzulesen, Folge eines Massenwahns und eine Art evolutionäres Vehikel des Willens zur Macht sein, das dann letzten Endes vor allem weltlichen Dingen dient. Der Islam wäre dafür das Beispiel par excellence, und darum ist er auch ausreichend von Nietzsche und vielen Faschisten bewundert worden. Der Koran erteilt den Freibrief zum ungehemmten Willen zur Macht in einem Maße, wie es dem Neuen Testament diametral entgegengesetzt ist, wie das Leben Christi dem des Mohammed. Zu seinen Blütezeiten war der Islam eine pure, gut geölte Machtentfaltungs- und Eroberungsmaschine, und als solche funktioniert er noch heute.
Die Sorge um die Islamisierung hat mit Kirchenferne und Abfall vom Glauben also erstmal rein gar nichts zu tun. Sie ist in der Tat angesichts ihres fortgeschrittenen Stadiums immer noch allzu gering. Wären die Deutschen heute kirchentreu und gläubig, dann würde der Islam kaum so nachsichtig toleriert und verteidigt werden, wie es heute der Fall ist, dann wäre es überhaupt gar nicht erst zu einer derart massiven Landnahme gekommen, und dann würde es heute schon längst heftig krachen zwischen Christen und Moslems. Dafür spricht sowohl die historische als die zeitgenössische Evidenz. Die Glaubensstarken haben einander in der Geschichte selten toleriert, und sie standen sich gegenseitig umso ferner, je stärker ihr Glaube war. Das alte, gläubige Europa hat nicht nur den Islam als Todfeind bekriegt, es hat innerhalb der Christenheit erbittert um die Rechtgläubigkeit gekämpft. Es waren auch nicht die kirchentreuen Christen, die die Moslems in die Mauern Europas ließen, sondern die Glaubenslosen und die Anhänger diverser säkularer Ersatzreligionen, die unter anderem vom Haß auf das Christentum motiviert sind.
Auch hier antwortet Mosebach ausweichend:
Welt Online: Sie fürchten nicht, dass der Islam das Christentum in Europa verdrängt?
Mosebach: Dem Christentum ist ja nicht der historische Erfolg geweissagt. In den verschiedenen Apokalypsen ist ihm geweissagt, dass die Kirche in den letzten Tagen vor dem Ende der Welt fast vollständig verschwinden wird.
Nun gut – aber auch die Welt wird nach dieser Weissagung vollständig verschwinden, die Ernte wird eingefahren, und das große Tier, der falsche Prophet, Gog und Magog werden vernichtet werden. Kein Grund für den Christenmenschen, sich diesen in irgendeiner Weise „nahe“ zu fühlen.
