"Die Deutschen werden zu Vasallen der USA ohne Lohn"
Herr Maschke, hat Gregor Gysi recht, wenn er davon spricht, daß Deutschland einen Angriffskrieg gegen Serbien führt?
Maschke: Ja – unbedingt. Die Frage eines Angriffskrieges zwischen zwei Staaten ist ja kaum zu klären. Jedoch hat in diesem Fall ein Angriff auf deutsches Territorium nicht stattgefunden, und so müßte der Paragraph 26 des Grundgesetzes greifen, wonach ein Angriffskrieg eben verboten ist. Es gibt aber auch andere juristische Probleme. Es ist durch das Eingreifen eindeutig die Charta der Vereinten Nationen verletzt. Im Artikel 2 Absatz 4 ist allen Mitgliedern die Anwendung von und Drohung mit Gewalt untersagt. Dies bezieht sich auf zwischenstaatliche Gewaltanwendung, nicht auf innerstaatliche Gewalt oder Bürgerkriegslagen. Dann ist auch wichtig, daß hier ein Bruch des Nordatlantikvertrages stattfindet. Er erlaubt nur Verteidigung für den Fall, daß ein Mitglied angegriffen worden ist. Es ist jedoch kein Nato-Mitglied angegriffen worden. Auch hinsichtlich des Gelöbnisses des deutschen Soldaten ist dieser Krieg ein Problem, da er nur dafür einstehen soll, die Bundesrepublik Deutschland zu verteidigen. Einsätze außerhalb des Bundesgebietes dürfen nicht der Kriegsführung dienen. Selbst bei einer Legalisierung des Eingriffs der Nato durch die UNO bestünde das Problem, daß der Nordatlantikpakt eben keine regionale Organisation ist wie zum Beispiel die OSZE. Die Nato darf im Auftrag der UNO eigentlich gar nicht handeln, sondern die OSZE müßte selbst ihre Truppen zusammenstellen.
Nun werden Ihnen Kritiker entgegenhalten, Sie führten eine reine Formeldiskussion. Warum kann man Rechtsfragen nicht so lässig behandeln, wie es hier geschieht?
Maschke: Man kann ja gerne den Sinn des modernen Völkerrechts bezweifeln. Das tue ich übrigens auch.
Warum?
Maschke: Weil das moderne Völkerrecht militärische Interventionen erleichtert. Es geht relativ leger mit der Einmischung um. Der momentane Bruch des Völkerrechtes durch die Nato zerstört dieses Völkerrecht jedoch, basiert aber auf einer Art radikalisierten Fortschreibung dieses Rechtes. Wenn jetzt überhaupt keine Barrieren für eine Intervention bestehen, dann ist eine völlig willkürliche Lage da, die sich einer internationalen Anarchie nähern kann. Dann kann künftig überall beliebig interveniert werden, mit Hinweis auf die äußerst deutbaren Menschenrechte. Die dienen dann als Tarnung für imperialistische Interessen.
Wenn ich die Interpretationsmacht habe und auch die notwendige militärische Interventionskraft, dann kann ich überall auf der Welt meinen politischen Willen durchsetzen. Dies wird zu einem recht merkwürdigen Rechtsnihilismus führen. Zwar ist das Völkerrecht nicht der wichtigste Faktor in einer Theorie der internationalen Beziehungen. Die langfristigen Folgen für die zwischenstaatlichen Beziehungen sind aber nicht absehbar. Man muß Gysi in diesem Punkte uneingeschränkt recht geben.
Warum legen die Politiker überhaupt so viel Wert darauf, den Begriff "Krieg" zu vermeiden, und warum sprechen sie in bestem Orwell-Deutsch von "Friedensmaßnahmen", Interventionen etc.?
Maschke: Weil nach der UN-Charta ein Krieg verboten ist! Wenn ich den Kriegszustand anerkenne, hat das auch alle möglichen wirtschaftsrechtlichen, völkerrechtlichen und auch versicherungsrechtlichen Folgen. Die Tabuisierung hat ihren Sinn, weil das Völkerrecht aufbaut auf dem Gewaltverbot, auf dem Kriegsverbot. Man will nicht wahrhaben, daß man den Krieg wieder verrechtlichen muß und daß Krieg und Frieden korrelative Begriffe sind.
Wir müssen also jetzt vom Kosovo-Krieg sprechen.
Maschke: Natürlich! Krieg ist die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei kämpfenden Parteiungen. Es gibt auch Theorien, daß der Wille des einen genügt,um Krieg zu konstituieren. Natürlich ist der Konflikt auf dem Balkan ein Krieg. Wir wissen aus der Kriegsgeschichte, daß der Krieg alle möglichen Formen annehmen kann. "Der Krieg ist ein Chamäleon", sagt Clausewitz. Es ist interessant, daß sich der common sense durchsetzt und die Menschen immer wieder ganz unbefangen von Krieg sprechen.
Sie haben Anfang der 90er Jahre die deutsche Beteiligung am Golfkrieg der Amerikaner schärfstens kritisiert. Worin unterscheidet sich der Krieg gegen Serbien wesentlich vom Krieg gegen den Irak?
Maschke: Zunächst ist es ein europäischer Krieg. Der Golfkrieg diente dazu, eine antiamerikanische, arabische Großraumbildung zu verhindern. Dies natürlich auch im Hinblick auf und im Interesse Israels. Hier geht es im Prinzip darum, daß Europa unfähig ist, amerikanische Interventionen in Europa zu verhindern. Nicht nur das – Europa macht diese Interventionen mit, jedoch eher als Juniorpartner, als Vasall. Die amerikanischen Interessen sind ganz offensichtlich: Aufbau eines Groß-Albaniens und die Produktion von Flüchtlingen. Diese sind für Europa – auch wegen ihres kriminellen Potentials – bedenklich und spielen politisch immer die fünfte Kolonne der USA. Wir, Deutschland, unterstützen diesen Prozeß, was ich für eine ganz fantastische Leistung halte.
Die Idee der Strafaktionen aus der Luft ist so alt wie der Völkerbund.
Maschke:: Die Idee entwickelte sich als sogenannte Luftpolizei im Rahmen des Völkerbundes. Als Beispiel mag da England gelten, dem es gelang, mit einer "Imperial Police" solche Strafaktionen durchzuführen. Eine französische Idee war es, eine internationale Luftpolizei zu gründen. Auch der italienische Luftkriegstheoretiker Douhet glaubte, daß man mit wenigen Schlägen aus der Luft auf die Hauptstadt den Feind in die Knie zwingen könnte. Die Idee des Luftkrieges nach den großen Schlachten des Ersten Weltkrieges war es, Kriege zu begrenzen und kontrollierbar zu machen.
Dies hat auch eine Rolle bei der Gründung der UNO gespielt. Auch hier war die Rede von integrierten Luftstreitkräften, die allerdings nicht zustande kamen. Dies ist im Prinzip die Weiterentwicklung der Idee von großen Blockade-Flotten aus dem 19. Jahrhundert. Es hängt aber auch zusammen mit der Überschätzung der Möglichkeiten der Luftwaffe. Es stellt sich schließlich jedesmal die Frage, welche Ordnung man am Boden herstellt.
In Deutschland spricht man von einer humanitären Katastrophe, die sicherlich nicht wegzudiskutieren ist und die beschämen muß. Das alleine hat aber noch selten internationale Streitkräfte auf den Plan gerufen. Um welche großräumigen Interessen geht es in diesem Konflikt?
Maschke: Ich denke, es geht einfach um die Beherrschung und Kontrolle Europas durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn dort jemand hätte intervenieren müssen, dann die Europäer – die sich bekanntlich nicht einig sind. Unter anderem, weil London und Paris der Auffassung zu sein scheinen, daß ihnen ein schwaches Deutschland bekommt. So setzen diese auch auf die amerikanische Karte. Sie glauben, auch innerhalb der Europäischen Union vorwiegend nationale Interessen verfolgen zu können. Wenn wir, die Deutschen, europäische Interessen verfolgen wollen, müßten wir jedoch alles daran setzen, die Amerikaner aus diesem Konflikt herauszuhalten. In Wirklichkeit sind wir eher die weiche Eintrittsstelle für amerikanische Intervention und Penetration aller Art in Europa. Vor diesem Hintergrund kann man auch nur die Nato-Osterweiterung sehen. Deutschland ist hier der amerikanische Lieblingsvasall, der von der Intervention gar nichts hat.
Kehren nun die Konflikte wieder zurück, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben?
Maschke: Der Balkan war stets nur in Ruhe zu halten durch einen Hegemon, und dieser mußte die Füße auch irgendwie auf dem Boden haben. Dies war Rußland, Österreich-Ungarn oder das Deutsche Reich. Auch dieser Konflikt wurzelt jedoch im Prinzip im Diktat von Versailles. Wir können nach Irak schauen und wir können nach Jugoslawien schauen: Wir finden ständig die Folgen des Diktates von Versailles und des Ersten Weltkrieges – nicht die des Zweiten. Damals hat man eben auf einem Völkerrecht aufgebaut, das dem jetzigen gleicht. Dessen jetziger Bruch ist – seine Fortsetzung! Je weiter wir gehen, um so mehr entfernen wir uns vom richtigen Standpunkt.
Gibt es Parallelen zwischen dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der jetzigen Mächtekonstellation?
Maschke: Es fehlt hier der Gegenpart und die internationale Konfrontation. Es könnte eine gewisse lokale Ausweitung geben, es enthält aber keinen Zündstoff für einen Weltkrieg.
Haben die USA mit dem Nato-Einsatz nicht auch das Ziel, Rußland endgültig aus Europa herauszudrängen?
Maschke: Sicher. Das paßt auch zur Nato- und EU-Osterweiterung. Wir haben uns jetzt selbst eingekreist und können nicht mehr die russische Karte spielen – Rußland wird wieder erstarken ...! Das ist wirklich keine große Meisterleistung.
Wäre eine deutsch-russische Initiative zur Befriedung des Kosovo und Disziplinierung der Serben nicht erfolgversprechend gewesen?
Maschke: Das wirkt etwas science-fiction-haft. Hier muß man die Potenz der Regierung in Deutschland und der deutschen Politiker bedenken.Wir reden zwar davon, wir müßten Verantwortung übernehmen und erwachsen werden. Dies bedeutet jedoch nur, daß wir von der bisherigen Abstinenz Abschied nehmen. Es läuft lediglich darauf hinaus, daß wir zu Mitläufern und Vasallen geworden sind. Dies haben wir schon im Golfkrieg gesehen. Erwachsen werden heißt nun Eingliederung in uns widerstrebende fremde Interessen. Das kann ja wohl nicht Sinn der Übung sein.
Welche Auswirkungen wird dieser erste wirkliche Krieg in Europa seit 1945 auf die Kräfteverhältnisse haben?
Maschke: Dies bedeutet zunächst die ständige Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa. Sie werden den Einigungprozeß Europas vorantreiben – und Europa wird so eine riesige, durch Grenzen nicht mehr geteilte Penetrationssphäre der USA. Dies wird bedeuten, daß sich Rußland andere Partner suchen muß, sei es China oder Indien. Man kann Rußland natürlich durch Kreditpolitik kujonieren, aber das wird Grenzen haben.
Europa ist mit der Einführung des Euro kurz davor, wirtschaftlich zum bedrohlichsten Konkurrenten der USA zu werden. Soll es da politisch ausgeschaltet wird?
Maschke: Die EU ist kein Konkurrent für die USA, denn Amerika ist auf allen Ebenen, sei es militärisch, ökonomisch und vor allem massenkulturell, in Europa präsent. Die europäische Einigung hätte Sinn, wenn man die USA ausschlösse oder zurückdrängen würde. So ist es praktisch nur ein riesiges Lateinamerika de luxe für die USA. Es ist die alte Diskussion: Wollen wir eine europäische Einigung Europas oder eine amerikanische Einigung Europas?
Warum beteiligen sich Frankreich und Großbritannien an diesem Vorgehen der USA?
Maschke: Weil beide den deutschen Einfluß auf dem Balkan fürchten.
Sie schädigen sich doch aber selbst.
Maschke: Ja, weil jede Aktion, die Amerika nach Europa hineinbringt, im Prinzip alle Europäer und eine europäische Einigung Europas schädigt.
Der Angriff der Nato mußte die UNO brüskieren. Bedeutet dies jetzt auch das Ende dieser Organisation?
Maschke: Die UNO ist in den letzten Jahren zunehmend von den Vereinigten Staaten instrumentalisiert worden. Als das nicht mehr ging, hat man versucht, sie zu umgehen. Dies kann beliebig wiederholt werden. Die UNO hat heute gar keine Vermittlungsmacht mehr. Man kann sich heute fragen, ob man nicht zum Naturzustand zurückkehrt. Man kann sagen, daß das Ganze eine größere Simplizität und Ehrlichkeit in die internationalen Beziehungen bringt. Diese nähert sich sozialdarwinistischen Vorstellungen – was nicht beruhigend sein kann.
Das Recht des Stärkeren wird also im Prinzip als Recht der Weltpolizei USA verkauft?
Maschke: Wenn ich jetzt hingehe und argumentiere, es gebe etwas jenseits des Völkerrechts, dann habe ich natürlich Probleme, anderen den Bruch des Völkerrechtes vorzuwerfen. Wenn heute eine westliche Macht den Chinesen Vorhaltungen macht wegen Tibet, dann können die nur mit einem Fragezeichen antworten – nach Kosovo.
Gäbe es überhaupt eine andere Lösung für das Problem des Kosovo, Massenvertreibungen und Massaker zu verhindern?
Maschke: Wenn man interessiert ist an einer Ordnung auf dem Balkan, müßte man mit Bodentruppen eingreifen und eine Art Protektorat errichten. Wichtig ist, welche Folgen die jetzige Handlung hat. Das jetzige Handeln verschärft das Flüchtlingsproblem – und ich vermute, daß dies den USA aus den geschilderten Gründen sehr gut zupaß kommt, aber nicht uns. Die Luftschläge werden keine Lösung bringen, und es wird auch weiter Terror geben, selbst wenn die jugoslawische Armee im Kosovo auf Null gebracht ist. Man kann nicht immer so tun, als hätten alle Konflikte eine eindeutige Lösung. Der Konflikt Israels mit seiner Umgebung hat auch keine Lösung – solche Konflikte haben allenfalls eine Geschichte.
Es gab Ideen, die Albaner – ähnlich wie die Kroaten – massiv zu bewaffnen.
Maschke: Das bedeutet natürlich, daß trotz einer massiven Bewaffnung der Albaner das Verhältnis sehr ungleichgewichtig geblieben wäre. Das zweite wäre, man hätte sich aus dem Konflikt gleichsam verabschieden müssen. Das ist etwa bei dem Konflikt in Süd-Vietnam so gewesen. Dann wäre immer noch die Frage, ob sich die Albaner aus ihren Schwierigkeiten hätten befreien können. Sie hätten immer versucht, jemanden mit in diesen Konflikt hineinzuziehen.
Sie kennen Joschka Fischer als Frankfurter Sponti und haben sich oft mit ihm gestritten. Ist die Wandlung des Friedenskämpfers und Pazifisten zum Außenminister und Angriffskrieger konsequent?
Maschke: Ja. Das ist nicht inkonsequent, denn wenn die Feindschaft der Pazifisten zu den Nicht-Pazifisten groß genug ist, müssen sie – frei nach Carl Schmitt – auch zum Krieg schreiten. Das ist hier der Fall, nur nennen sie es anders. Wir kennen auch die Formeln bereits zur Genüge, sie sind bekannt seit Wilson – wir führen keinen Krieg gegen das deutsche Volk, wir führen keinen Krieg gegen das serbische Volk etc. Im Ernstfall spaltet sich der Pazifismus: der eine Teil sagt, Gewalt kann man nur mit Gewalt begegnen, die andern reagieren wie Ströbele – und sagen, wir wollen es generell nicht. Es gab nach dem Ersten Weltkrieg die Formel "Krieg gegen den Krieg". Jetzt heißt es Aktion gegen den Krieg oder friedenserzwingende Maßnahmen gegen den Krieg. Selbst der "Krieg gegen den Krieg" ist den Pazifisten jetzt zu kriegerisch – terminologisch! Das ist nicht überraschend. Aber in der Kriegsgeschichte des Jahrhunderts war immer festzustellen, daß sich die Pazifisten in solch einer Situation spalten – und die größere Fraktion wird "kriegerisch".
Glauben Sie, daß die Grünen an dieser Frage zerbrechen werden?
Maschke: Es kommt vor allem darauf an, wie lange das dauert. Welche Folgen das für Deutschland hat, wenn es bedeutende Verluste für Deutschland gibt. Wenn es nur kurz ist, wird man dies vergessen – und es werden sich nur sehr kleine Gruppen abspalten.
Ist es nicht seltsam, daß während des Golfkrieges Anfang der neunziger Jahre massenhaft Leute gegen die USA und den Krieg auf die Straße gegangen sind und jetzt kaum jemand zu sehen ist?
Maschke: Es ist sicherlich ganz wesentlich, wer an der Regierung ist. Obwohl man versucht hat, zum Beispiel Hussein zu satanisieren, scheint das nicht so erfolgreich gewesen zu sein wie bei den Serben.Gegen die Serben existiert ein parmanenter Groll, zumal sie erklärte Deutschlandfeinde sind. Der serbische Haß auf Deutschland ist unbezweifelbar, und es gibt einen antiserbischen Affekt in den Medien und einen Affekt für Kroatien. Hinzu kommt, daß ein Entsetzen entsteht, daß die Greuel durch die Serben mitten in Europa geschehen. Wenn das bei den Irakis geschieht, ist das nicht so verwunderlich. Der Europäer ist in seinem Selbstverständnis aufgeklärt und pazifiziert. Das gilt auch für die Serben. Die haben Telefone, Autos, sprechen Deutsch oder Englisch und scheinen zivilisiert, tragen Schlipse. Dann ist man ganz erstaunt, wenn die sich irgendwelche Körperteile abschneiden. Das paßt zu einem Gelben, Braunen, Schwarzen, aber nicht zu einem Europäer. Hier ist die Empörung dann plötzlich größer.
Inwieweit ist überhaupt die Bundesregierung Herr der Lage, wer gibt den Takt vor? Von wem und wie wird über den möglichen Bodenkrieg entschieden?
Maschke: Über den Bodenkrieg werden die entscheiden, die ihn auch durchsetzen wollen – auf parlamentarischem Wege. Da sehe ich Schwierigkeiten. Entscheiden wird es der Hegemon des Bündnisses – die USA. Und dieser kann das auch alleine machen. Doch werden wir das wahrscheinlich wieder mitmachen, weil wir unfähig sind, uns gegen die Vereinigten Staaten zu stellen. Die Grundregel scheint da ganz einfach: Wir tun das, was die USA für richtig halten.
Können sich die Deutschen überhaupt noch aus dem Einsatz zurückziehen? Es heißt ja, wer sich einmischt, übernimmt Verantwortung.
Maschke: Interessant ist ja die Erklärung von Johannes Rau. Er hatte den Einsatz gebilligt und gesagt, er hoffe, daß unsere Soldaten in Zukunft nicht öfters bei solchen und ähnlichen Aktionen mitmachen müssen.Wenn man sich die Konfliktlage in der Welt ansieht und die amerikanische Forderung nach Lastenteilung betrachet, kann man sich vorstellen, daß es eine Multiplizierung ähnlicher Konflikte gibt, bei denen wir des öfteren die Gefährten der USA sein werden. Insgesamt ist dies eine Salamitaktik. Wir machen erst auf dem Niveau mit, dann auf dem Niveau u.s.w. Das bedeutet am Schluß: "Germans to the front" – ohne daß wir wirklich Einfluß nehmen können. Wir haben auch keine eigene Taktik, dies mit einer allmählichen Einflußsteigerung zu verbinden. Wir sind Vasallen ohne Lohn. Das ist unsere Form der Fellachisierung bzw. Selbst-Fellachisierung.
"Die Friedensbewegung und die immer noch zu ängstlichen Politiker und Militärs stehen dem [der totalen Erlösung] immer noch im Wege, aber auch sie werden dem geheimen Wunsch aller, den alle leugnen, nicht mehr lange widerstehen können. Letzteres ist in etwa die Quintessenz des jungen Münsteraner Philosophen Ulrich Horstmann, dessen Essay in der moralparfümierten geistigen Landschaft der Bundesrepublik durch seine Radikalität und seine elegante Schnoddrigkeit auffällt. Der gelegentlich dekadent-pathetische Ton [...] mindert das bösartige Lesevergnügen ein wenig. Und ist es nötig, daß Horstmann, ganz braver Sohn der Alma Mater, all die Scharteken der Außenseiterphilosophen mitschleppt? Doch so leistet er immerhin eine Anthologie der Sehnsucht nach dem Ende. [...] Ist denn das Zuendeführen des Werkes in Horstmanns Sinn ohne solche Spekulationen denkbar? Die Ausrottung der Menschheit wird unter humanitären Parolen erfolgen oder sie wird nicht gelingen. Horstmann scheut leider den Gedanken, ob nicht die von ihm geforderte Ausbreitung des anthropofugalen Denkens - aufgrund der dann entstehenden Gleichgültigkeit - das größte aller Hindernisse für die anthropofugale Sehnsucht wäre. [...] Die Pointe ist [...], daß das anthropofugale Denken gerade keine Garantie dafür bietet, daß ‚unsere Spezies bis auf das letzte Exemplar' vertilgt wird. Wer will, daß die Qual aufhört, legt sich eher aufs Sofa, als daß er den Helmriemen festzieht. Horstmanns Programm wird nicht von seinesgleichen verwirklicht werden, sondern von den Täternaturen, die es immer noch gibt."
Günter Maschke: Daß wir besser nicht da wären. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.8.1983